ter-Glorie oben über uns schwebt, und alle Zustände der Menschen, wie Einer der Herzen und Nieren prüft, erkennt und schildert, ohne nöthig zu haben, sie selbst zu theilen, noch sie aus eigner Erfahrung sich zu abstrahiren. Nicht richtiger hat Rha- damanth, als ich in der Unterwelt ankam, mir im Herzen gelesen, und selbst wenn mit wohlwollender Feinheit der gütige Mei- ster andeutet, wie manche heterogene Auf- sätze in jenem wunderlichen Buche wohl auch von fremder Hand seyn könnten, so hat er auch darin im Wesentlichen Recht, denn zeigte es sich auch am Ende, daß Herausgeber und Autor nur eine Person wären, und Ein und Derselbe das Ganze geschrieben (was jedoch nur mystisch möglich seyn könnte, da ich todt bin, und Du noch lebst) so wissen wir doch, daß es auch in demselben Individuo verschiedene Naturen geben könne, und daß, wenn die Linke nicht wissen soll, was die Rechte thut, auch manchmal die Linke thut, wovon die Rechte nichts wissen will.
Du, mein treuer Herausgeber, gehst ebenfalls nicht leer aus, und es wird Dir zum Verdienst angerechnet, daß Du "offen aber nicht aufrichtig" bekanntest, wie gewisse besondere Umstände Dich nöthigten,
ter-Glorie oben uͤber uns ſchwebt, und alle Zuſtaͤnde der Menſchen, wie Einer der Herzen und Nieren pruͤft, erkennt und ſchildert, ohne noͤthig zu haben, ſie ſelbſt zu theilen, noch ſie aus eigner Erfahrung ſich zu abſtrahiren. Nicht richtiger hat Rha- damanth, als ich in der Unterwelt ankam, mir im Herzen geleſen, und ſelbſt wenn mit wohlwollender Feinheit der guͤtige Mei- ſter andeutet, wie manche heterogene Auf- ſaͤtze in jenem wunderlichen Buche wohl auch von fremder Hand ſeyn koͤnnten, ſo hat er auch darin im Weſentlichen Recht, denn zeigte es ſich auch am Ende, daß Herausgeber und Autor nur eine Perſon waͤren, und Ein und Derſelbe das Ganze geſchrieben (was jedoch nur myſtiſch moͤglich ſeyn koͤnnte, da ich todt bin, und Du noch lebſt) ſo wiſſen wir doch, daß es auch in demſelben Individuo verſchiedene Naturen geben koͤnne, und daß, wenn die Linke nicht wiſſen ſoll, was die Rechte thut, auch manchmal die Linke thut, wovon die Rechte nichts wiſſen will.
Du, mein treuer Herausgeber, gehſt ebenfalls nicht leer aus, und es wird Dir zum Verdienſt angerechnet, daß Du »offen aber nicht aufrichtig« bekannteſt, wie gewiſſe beſondere Umſtaͤnde Dich noͤthigten,
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0022"n="XIV"/>
ter-Glorie oben uͤber uns ſchwebt, und<lb/>
alle Zuſtaͤnde der Menſchen, wie Einer<lb/>
der Herzen und Nieren pruͤft, erkennt und<lb/>ſchildert, ohne noͤthig zu haben, ſie ſelbſt<lb/>
zu theilen, noch ſie aus eigner Erfahrung<lb/>ſich zu abſtrahiren. Nicht richtiger hat Rha-<lb/>
damanth, als ich in der Unterwelt ankam,<lb/>
mir im Herzen geleſen, und ſelbſt wenn<lb/>
mit wohlwollender Feinheit der guͤtige Mei-<lb/>ſter andeutet, wie manche heterogene Auf-<lb/>ſaͤtze in jenem wunderlichen Buche wohl auch<lb/>
von fremder Hand ſeyn koͤnnten, ſo hat er<lb/>
auch darin im Weſentlichen Recht, denn zeigte<lb/>
es ſich auch am Ende, daß Herausgeber und<lb/>
Autor nur eine Perſon waͤren, und Ein und<lb/>
Derſelbe das Ganze geſchrieben (was jedoch<lb/>
nur myſtiſch moͤglich ſeyn koͤnnte, da ich<lb/>
todt bin, und Du noch lebſt) ſo wiſſen wir<lb/>
doch, daß es auch in demſelben Individuo<lb/>
verſchiedene Naturen geben koͤnne, und daß,<lb/>
wenn die Linke nicht wiſſen ſoll, was die<lb/>
Rechte thut, auch manchmal die Linke thut,<lb/>
wovon die Rechte nichts wiſſen will.</p><lb/><p>Du, mein treuer Herausgeber, gehſt<lb/>
ebenfalls nicht leer aus, und es wird Dir<lb/>
zum Verdienſt angerechnet, daß Du »<hirendition="#g">offen<lb/>
aber nicht aufrichtig</hi>« bekannteſt, wie<lb/>
gewiſſe beſondere Umſtaͤnde Dich noͤthigten,<lb/></p></div></front></text></TEI>
[XIV/0022]
ter-Glorie oben uͤber uns ſchwebt, und
alle Zuſtaͤnde der Menſchen, wie Einer
der Herzen und Nieren pruͤft, erkennt und
ſchildert, ohne noͤthig zu haben, ſie ſelbſt
zu theilen, noch ſie aus eigner Erfahrung
ſich zu abſtrahiren. Nicht richtiger hat Rha-
damanth, als ich in der Unterwelt ankam,
mir im Herzen geleſen, und ſelbſt wenn
mit wohlwollender Feinheit der guͤtige Mei-
ſter andeutet, wie manche heterogene Auf-
ſaͤtze in jenem wunderlichen Buche wohl auch
von fremder Hand ſeyn koͤnnten, ſo hat er
auch darin im Weſentlichen Recht, denn zeigte
es ſich auch am Ende, daß Herausgeber und
Autor nur eine Perſon waͤren, und Ein und
Derſelbe das Ganze geſchrieben (was jedoch
nur myſtiſch moͤglich ſeyn koͤnnte, da ich
todt bin, und Du noch lebſt) ſo wiſſen wir
doch, daß es auch in demſelben Individuo
verſchiedene Naturen geben koͤnne, und daß,
wenn die Linke nicht wiſſen ſoll, was die
Rechte thut, auch manchmal die Linke thut,
wovon die Rechte nichts wiſſen will.
Du, mein treuer Herausgeber, gehſt
ebenfalls nicht leer aus, und es wird Dir
zum Verdienſt angerechnet, daß Du »offen
aber nicht aufrichtig« bekannteſt, wie
gewiſſe beſondere Umſtaͤnde Dich noͤthigten,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/22>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.