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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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hoch über alle Steinmassen, noch ungeheure uralte
Bäume hervor, deren glatte Stämme man wie in
der Luft schwebend erblickt, während auf dem höch-
sten Gipfel eine kühne Brücke, auf beiden Seiten von
den Bäumen eingefaßt, gleich einem hehren Himmels-
portal plötzlich die breiteste, glänzendste Lichtmasse,
hinter der man die Wolken fern vorüberziehen sieht,
unter dem Schwibbogen und den dunklen Baumkro-
nen durchbrechen läßt.

Stelle Dir nun vor: diese magische Dekoration
auf einmal zu übersehen, verbinde die Erinnerung
damit, daß hier neun Jahrhunderte stolzer Gewalt,
kühner Siege und vernichtender Niederlagen, bluti-
ger Thaten und wilder Größe, vielleicht auch sanfter
Liebe und edler Großmuth, zum Theil ihre sichtli-
chen
Spuren, oder wo das nicht ist, doch ihr ro-
mantisch ungewisses Andenken, zurückgelassen haben
-- und urtheile dann, mit welchem Gefühl ich mich
in die Lage des Mannes versetzen konnte, dem solche
Erinnerungen des Lebens seiner Vorfahren durch die-
sen Anblick täglich zurück gerufen werden, und der
noch immer dasselbe Schloß des ersten Besitzers der
Veste Warwick bewohnt, desselben halb-fabelhaften
Guy, der vor einem Jahrtausend lebte, und dessen
verwitterte Rüstung mit hundert Waffen berühmter
Ahnen in der alterthümlichen Halle aufbewahrt wird.
Giebt es einen so unpoetischen Menschen, in dessen
Augen nicht die Glorie dieses Andenkens, auch den
schwächsten Repräsentanten eines solchen Adels, noch
heute umglänzte?

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hoch über alle Steinmaſſen, noch ungeheure uralte
Bäume hervor, deren glatte Stämme man wie in
der Luft ſchwebend erblickt, während auf dem höch-
ſten Gipfel eine kühne Brücke, auf beiden Seiten von
den Bäumen eingefaßt, gleich einem hehren Himmels-
portal plötzlich die breiteſte, glänzendſte Lichtmaſſe,
hinter der man die Wolken fern vorüberziehen ſieht,
unter dem Schwibbogen und den dunklen Baumkro-
nen durchbrechen läßt.

Stelle Dir nun vor: dieſe magiſche Dekoration
auf einmal zu überſehen, verbinde die Erinnerung
damit, daß hier neun Jahrhunderte ſtolzer Gewalt,
kühner Siege und vernichtender Niederlagen, bluti-
ger Thaten und wilder Größe, vielleicht auch ſanfter
Liebe und edler Großmuth, zum Theil ihre ſichtli-
chen
Spuren, oder wo das nicht iſt, doch ihr ro-
mantiſch ungewiſſes Andenken, zurückgelaſſen haben
— und urtheile dann, mit welchem Gefühl ich mich
in die Lage des Mannes verſetzen konnte, dem ſolche
Erinnerungen des Lebens ſeiner Vorfahren durch die-
ſen Anblick täglich zurück gerufen werden, und der
noch immer daſſelbe Schloß des erſten Beſitzers der
Veſte Warwick bewohnt, deſſelben halb-fabelhaften
Guy, der vor einem Jahrtauſend lebte, und deſſen
verwitterte Rüſtung mit hundert Waffen berühmter
Ahnen in der alterthümlichen Halle aufbewahrt wird.
Giebt es einen ſo unpoetiſchen Menſchen, in deſſen
Augen nicht die Glorie dieſes Andenkens, auch den
ſchwächſten Repräſentanten eines ſolchen Adels, noch
heute umglänzte?

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[227/0271] hoch über alle Steinmaſſen, noch ungeheure uralte Bäume hervor, deren glatte Stämme man wie in der Luft ſchwebend erblickt, während auf dem höch- ſten Gipfel eine kühne Brücke, auf beiden Seiten von den Bäumen eingefaßt, gleich einem hehren Himmels- portal plötzlich die breiteſte, glänzendſte Lichtmaſſe, hinter der man die Wolken fern vorüberziehen ſieht, unter dem Schwibbogen und den dunklen Baumkro- nen durchbrechen läßt. Stelle Dir nun vor: dieſe magiſche Dekoration auf einmal zu überſehen, verbinde die Erinnerung damit, daß hier neun Jahrhunderte ſtolzer Gewalt, kühner Siege und vernichtender Niederlagen, bluti- ger Thaten und wilder Größe, vielleicht auch ſanfter Liebe und edler Großmuth, zum Theil ihre ſichtli- chen Spuren, oder wo das nicht iſt, doch ihr ro- mantiſch ungewiſſes Andenken, zurückgelaſſen haben — und urtheile dann, mit welchem Gefühl ich mich in die Lage des Mannes verſetzen konnte, dem ſolche Erinnerungen des Lebens ſeiner Vorfahren durch die- ſen Anblick täglich zurück gerufen werden, und der noch immer daſſelbe Schloß des erſten Beſitzers der Veſte Warwick bewohnt, deſſelben halb-fabelhaften Guy, der vor einem Jahrtauſend lebte, und deſſen verwitterte Rüſtung mit hundert Waffen berühmter Ahnen in der alterthümlichen Halle aufbewahrt wird. Giebt es einen ſo unpoetiſchen Menſchen, in deſſen Augen nicht die Glorie dieſes Andenkens, auch den ſchwächſten Repräſentanten eines ſolchen Adels, noch heute umglänzte? 15*

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/271>, abgerufen am 26.11.2024.