Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen glauben. Ich bestärkte mich hier von Neuem
in meiner Ueberzeugung, daß der große Dichter, mehr
noch als der mittelmäßige, auch großer Schauspieler be-
darf, um vollständig verstanden und gewürdigt zu
werden. In Berlin z. B. erschien die Erdrosselungs-
Scene nicht nur lächerlich, sondern wahrhaft indecent.
Hier wahrlich gefror das Blut zu Eis in den Adern,
und selbst das rohe englische Publikum war eine
lange Zeit lautlos, und wie vom Blitze gerührt. Ja
ich gestehe, daß einigemal während der Tragödie,
Othello's lange Marter, die ihm der satanische Jago
so tropfenweis mit teuflischer Ruhe zumißt -- für
mich so peinlich wurde, und die Furcht vor dem was
ich wußte, daß noch nachfolgen würde, so in mir an-
wuchs, daß ich unwillkührlich mein Gesicht wie von
einer zu erschütternden Scene abwenden mußte.
Youngs Darstellung des Jago ist ein vollendetes
Meisterwerk, und erst durch sein Spiel ist mir die-
ser Charakter völlig klar geworden. Es ist vielleicht, --
und ich muß hier einer früher gemachten Aeusserung,
wenigstens Ausnahmsweise widersprechen, Jago, sage
ich, ist vielleicht wider Shakspeare's sonstige Weise, kein
ganz in der Natur begründeter Charakter, sondern mehr
eine glänzende Phantasie des Dichters, aber mit
welcher bewunderungswürdigen Consequenz durchge-
führt! Es ist der verkörperte Teufel, ein Wesen von
Galle und Bitterkeit genährt, das weder Vergnü-
gens noch Freude fähig, das Böse wie sein Element
ansieht, und das einzige Wohlbehagen im Philoso-
phiren über sich selbst, dem Beschauen und der be-

ſehen glauben. Ich beſtärkte mich hier von Neuem
in meiner Ueberzeugung, daß der große Dichter, mehr
noch als der mittelmäßige, auch großer Schauſpieler be-
darf, um vollſtändig verſtanden und gewürdigt zu
werden. In Berlin z. B. erſchien die Erdroſſelungs-
Scene nicht nur lächerlich, ſondern wahrhaft indecent.
Hier wahrlich gefror das Blut zu Eis in den Adern,
und ſelbſt das rohe engliſche Publikum war eine
lange Zeit lautlos, und wie vom Blitze gerührt. Ja
ich geſtehe, daß einigemal während der Tragödie,
Othello’s lange Marter, die ihm der ſataniſche Jago
ſo tropfenweis mit teufliſcher Ruhe zumißt — für
mich ſo peinlich wurde, und die Furcht vor dem was
ich wußte, daß noch nachfolgen würde, ſo in mir an-
wuchs, daß ich unwillkührlich mein Geſicht wie von
einer zu erſchütternden Scene abwenden mußte.
Youngs Darſtellung des Jago iſt ein vollendetes
Meiſterwerk, und erſt durch ſein Spiel iſt mir die-
ſer Charakter völlig klar geworden. Es iſt vielleicht, —
und ich muß hier einer früher gemachten Aeuſſerung,
wenigſtens Ausnahmsweiſe widerſprechen, Jago, ſage
ich, iſt vielleicht wider Shakspeare’s ſonſtige Weiſe, kein
ganz in der Natur begründeter Charakter, ſondern mehr
eine glänzende Phantaſie des Dichters, aber mit
welcher bewunderungswürdigen Conſequenz durchge-
führt! Es iſt der verkörperte Teufel, ein Weſen von
Galle und Bitterkeit genährt, das weder Vergnü-
gens noch Freude fähig, das Böſe wie ſein Element
anſieht, und das einzige Wohlbehagen im Philoſo-
phiren über ſich ſelbſt, dem Beſchauen und der be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0359" n="341"/>
&#x017F;ehen glauben. Ich be&#x017F;tärkte mich hier von Neuem<lb/>
in meiner Ueberzeugung, daß der große Dichter, mehr<lb/>
noch als der mittelmäßige, auch großer Schau&#x017F;pieler be-<lb/>
darf, um voll&#x017F;tändig ver&#x017F;tanden und gewürdigt zu<lb/>
werden. In Berlin z. B. er&#x017F;chien die Erdro&#x017F;&#x017F;elungs-<lb/>
Scene nicht nur lächerlich, &#x017F;ondern wahrhaft indecent.<lb/>
Hier wahrlich gefror das Blut zu Eis in den Adern,<lb/>
und &#x017F;elb&#x017F;t das rohe engli&#x017F;che Publikum war eine<lb/>
lange Zeit lautlos, und wie vom Blitze gerührt. Ja<lb/>
ich ge&#x017F;tehe, daß einigemal während der Tragödie,<lb/>
Othello&#x2019;s lange Marter, die ihm der &#x017F;atani&#x017F;che Jago<lb/>
&#x017F;o tropfenweis mit teufli&#x017F;cher Ruhe zumißt &#x2014; für<lb/>
mich &#x017F;o peinlich wurde, und die Furcht vor dem was<lb/>
ich wußte, daß noch nachfolgen würde, &#x017F;o in mir an-<lb/>
wuchs, daß ich unwillkührlich mein Ge&#x017F;icht wie von<lb/>
einer zu er&#x017F;chütternden Scene abwenden mußte.<lb/>
Youngs Dar&#x017F;tellung des Jago i&#x017F;t ein vollendetes<lb/>
Mei&#x017F;terwerk, und er&#x017F;t durch <hi rendition="#g">&#x017F;ein</hi> Spiel i&#x017F;t mir die-<lb/>
&#x017F;er Charakter völlig klar geworden. Es i&#x017F;t vielleicht, &#x2014;<lb/>
und ich muß hier einer früher gemachten Aeu&#x017F;&#x017F;erung,<lb/>
wenig&#x017F;tens Ausnahmswei&#x017F;e wider&#x017F;prechen, Jago, &#x017F;age<lb/>
ich, i&#x017F;t vielleicht wider Shakspeare&#x2019;s &#x017F;on&#x017F;tige Wei&#x017F;e, kein<lb/>
ganz in der Natur begründeter Charakter, &#x017F;ondern mehr<lb/>
eine glänzende Phanta&#x017F;ie des Dichters, aber mit<lb/>
welcher bewunderungswürdigen Con&#x017F;equenz durchge-<lb/>
führt! Es i&#x017F;t der verkörperte Teufel, ein We&#x017F;en von<lb/>
Galle und Bitterkeit genährt, das weder Vergnü-<lb/>
gens noch Freude fähig, das Bö&#x017F;e wie &#x017F;ein Element<lb/>
an&#x017F;ieht, und das einzige Wohlbehagen im Philo&#x017F;o-<lb/>
phiren über &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, dem Be&#x017F;chauen und der be-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0359] ſehen glauben. Ich beſtärkte mich hier von Neuem in meiner Ueberzeugung, daß der große Dichter, mehr noch als der mittelmäßige, auch großer Schauſpieler be- darf, um vollſtändig verſtanden und gewürdigt zu werden. In Berlin z. B. erſchien die Erdroſſelungs- Scene nicht nur lächerlich, ſondern wahrhaft indecent. Hier wahrlich gefror das Blut zu Eis in den Adern, und ſelbſt das rohe engliſche Publikum war eine lange Zeit lautlos, und wie vom Blitze gerührt. Ja ich geſtehe, daß einigemal während der Tragödie, Othello’s lange Marter, die ihm der ſataniſche Jago ſo tropfenweis mit teufliſcher Ruhe zumißt — für mich ſo peinlich wurde, und die Furcht vor dem was ich wußte, daß noch nachfolgen würde, ſo in mir an- wuchs, daß ich unwillkührlich mein Geſicht wie von einer zu erſchütternden Scene abwenden mußte. Youngs Darſtellung des Jago iſt ein vollendetes Meiſterwerk, und erſt durch ſein Spiel iſt mir die- ſer Charakter völlig klar geworden. Es iſt vielleicht, — und ich muß hier einer früher gemachten Aeuſſerung, wenigſtens Ausnahmsweiſe widerſprechen, Jago, ſage ich, iſt vielleicht wider Shakspeare’s ſonſtige Weiſe, kein ganz in der Natur begründeter Charakter, ſondern mehr eine glänzende Phantaſie des Dichters, aber mit welcher bewunderungswürdigen Conſequenz durchge- führt! Es iſt der verkörperte Teufel, ein Weſen von Galle und Bitterkeit genährt, das weder Vergnü- gens noch Freude fähig, das Böſe wie ſein Element anſieht, und das einzige Wohlbehagen im Philoſo- phiren über ſich ſelbſt, dem Beſchauen und der be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/359
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/359>, abgerufen am 23.12.2024.