An ein Recht der Erstgebuhrt dachte man so wenig, daß vielmehr häufig selbst dem Erstge- bohrnen und mehr älteren Söhnen der geistliche Stand angewiesen, und soviel Pfründen als mög- lich zugewandt wurden, um dem jüngern, den man alsdann zum Stammhalter zu bestimmen pflegte, die väterliche Erbfolge desto vortheilhafter zu ma- chen, (wie noch jetzt in catholischen gräflichen und adelichen Häusern auf ähnliche Art häufig geschieht.)
XIII.
Was aber endlich den ehemaligen Zustand des Teutschen Reichs in Ansehung der weltlichen Reichs- stände und Länder in den folgenden Zeiten haupt- sächlich geändert hat, bestehet in dem sonderba- ren Umstande, daß unglaublich viele fürstliche und insonderheit noch weit mehr gräfliche und dynastische Häuser in dem großen Zeitraume vom zwölften Jahr- hundert bis auf unsere Tage ausgestorben und erlo- schen sind. Die Anzahl gräflicher und dynastischer Häuser, die ehedem gewesen, und jetzt nicht mehr sind, geht gewiß in tausende; wovon die meisten das Schicksal gehabt haben, daß ihre Länder durch Lehnsconsolidationen, oder Anwartschaften, Vermäh- lungen, Erbverbrüderungen oder andere Mittel und Wege an fürstliche Häuser gekommen sind, und von denselben entweder noch jetzt als besondere Grafschaften oder Herrschaften besessen werden, oder als Aemter größeren Ländern einverleibet sind. Dadurch hat sich nicht nur die persönliche An- zahl der weltlichen Reichsstände nach und nach ungemein verringert, sondern auch ein ganz ver- ändertes Verhältniß in dem ursprünglichen Gleich- gewichte sowohl zwischen Kaiser und Ständen,
als
II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.
XII.
An ein Recht der Erſtgebuhrt dachte man ſo wenig, daß vielmehr haͤufig ſelbſt dem Erſtge- bohrnen und mehr aͤlteren Soͤhnen der geiſtliche Stand angewieſen, und ſoviel Pfruͤnden als moͤg- lich zugewandt wurden, um dem juͤngern, den man alsdann zum Stammhalter zu beſtimmen pflegte, die vaͤterliche Erbfolge deſto vortheilhafter zu ma- chen, (wie noch jetzt in catholiſchen graͤflichen und adelichen Haͤuſern auf aͤhnliche Art haͤufig geſchieht.)
XIII.
Was aber endlich den ehemaligen Zuſtand des Teutſchen Reichs in Anſehung der weltlichen Reichs- ſtaͤnde und Laͤnder in den folgenden Zeiten haupt- ſaͤchlich geaͤndert hat, beſtehet in dem ſonderba- ren Umſtande, daß unglaublich viele fuͤrſtliche und inſonderheit noch weit mehr graͤfliche und dynaſtiſche Haͤuſer in dem großen Zeitraume vom zwoͤlften Jahr- hundert bis auf unſere Tage ausgeſtorben und erlo- ſchen ſind. Die Anzahl graͤflicher und dynaſtiſcher Haͤuſer, die ehedem geweſen, und jetzt nicht mehr ſind, geht gewiß in tauſende; wovon die meiſten das Schickſal gehabt haben, daß ihre Laͤnder durch Lehnsconſolidationen, oder Anwartſchaften, Vermaͤh- lungen, Erbverbruͤderungen oder andere Mittel und Wege an fuͤrſtliche Haͤuſer gekommen ſind, und von denſelben entweder noch jetzt als beſondere Grafſchaften oder Herrſchaften beſeſſen werden, oder als Aemter groͤßeren Laͤndern einverleibet ſind. Dadurch hat ſich nicht nur die perſoͤnliche An- zahl der weltlichen Reichsſtaͤnde nach und nach ungemein verringert, ſondern auch ein ganz ver- aͤndertes Verhaͤltniß in dem urſpruͤnglichen Gleich- gewichte ſowohl zwiſchen Kaiſer und Staͤnden,
als
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II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.
An ein Recht der Erſtgebuhrt dachte man
ſo wenig, daß vielmehr haͤufig ſelbſt dem Erſtge-
bohrnen und mehr aͤlteren Soͤhnen der geiſtliche
Stand angewieſen, und ſoviel Pfruͤnden als moͤg-
lich zugewandt wurden, um dem juͤngern, den man
alsdann zum Stammhalter zu beſtimmen pflegte,
die vaͤterliche Erbfolge deſto vortheilhafter zu ma-
chen, (wie noch jetzt in catholiſchen graͤflichen und
adelichen Haͤuſern auf aͤhnliche Art haͤufig geſchieht.)
Was aber endlich den ehemaligen Zuſtand des
Teutſchen Reichs in Anſehung der weltlichen Reichs-
ſtaͤnde und Laͤnder in den folgenden Zeiten haupt-
ſaͤchlich geaͤndert hat, beſtehet in dem ſonderba-
ren Umſtande, daß unglaublich viele fuͤrſtliche und
inſonderheit noch weit mehr graͤfliche und dynaſtiſche
Haͤuſer in dem großen Zeitraume vom zwoͤlften Jahr-
hundert bis auf unſere Tage ausgeſtorben und erlo-
ſchen ſind. Die Anzahl graͤflicher und dynaſtiſcher
Haͤuſer, die ehedem geweſen, und jetzt nicht mehr
ſind, geht gewiß in tauſende; wovon die meiſten
das Schickſal gehabt haben, daß ihre Laͤnder durch
Lehnsconſolidationen, oder Anwartſchaften, Vermaͤh-
lungen, Erbverbruͤderungen oder andere Mittel und
Wege an fuͤrſtliche Haͤuſer gekommen ſind, und
von denſelben entweder noch jetzt als beſondere
Grafſchaften oder Herrſchaften beſeſſen werden,
oder als Aemter groͤßeren Laͤndern einverleibet ſind.
Dadurch hat ſich nicht nur die perſoͤnliche An-
zahl der weltlichen Reichsſtaͤnde nach und nach
ungemein verringert, ſondern auch ein ganz ver-
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gewichte ſowohl zwiſchen Kaiſer und Staͤnden,
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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/208>, abgerufen am 24.11.2024.
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