Natürlich vermehrte das alles die allgemeine Erwartung, was auf Luthers Appellation vom Aus- spruche des Cardinal Cajetans von Rom aus für ein Urtheil erfolgen würde. Und nun erfolgte eine den 15. Jun. 1520. zu Rom datirte Bulle, wor- in Leo der X. Luthern als einen Ketzer verdammte, seine Schriften zu lesen verbot, zu verbrennen be- fahl, und gleiche Strenge seinen Gehülfen und Anhängern drohete. -- Was mußte das auf Lu- thern selbst, und auf alle, die ihn bisher ihres Beyfalls gewürdiget hatten, für einen Eindruck machen? Bloß darum, weil Luther den Ablaßhan- del gerüget hatte, den die ganze Welt für Miß- brauch erkannte, sollte Luther verdammt und ver- folget werden; jeden, der eben so dächte, sollte gleiches Schicksal drohen. Was konnte man da anders für Entscheidungsgründe annehmen, als die Geldvortheile, die dem päbstlichen Hofe und allen, die mit dem Ablaßhandel zu thun hatten, davon zuflossen? Was war natürlicher, als daß Luther, den jetzt freylich die Sache zunächst angieng, dar- über noch auf weitere Nachforschungen, zuletzt auf ganz andere Gedanken von Unfehlbarkeit des Pab- stes und von der Rechtmäßigkeit der ganzen päbst- lichen Gewalt gerieth?
IV.
Sollte derjenige, der an Christi Stelle das sicht- bare Oberhaupt seiner Kirche zu seyn behauptete, einen so klar am Tage liegenden Mißbrauch, nach so vielen darüber entstandenen Bewegungen, durch einen so feierlichen Ausspruch billigen? Sollte es mit dieser bisher behaupteten Statthalterschaft Chri- sti auch wohl seine völlige Richtigkeit haben? Sollte es selbst nöthig seyn, sollte es sich aus der Bibel
bewei-
V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
III.
Natuͤrlich vermehrte das alles die allgemeine Erwartung, was auf Luthers Appellation vom Aus- ſpruche des Cardinal Cajetans von Rom aus fuͤr ein Urtheil erfolgen wuͤrde. Und nun erfolgte eine den 15. Jun. 1520. zu Rom datirte Bulle, wor- in Leo der X. Luthern als einen Ketzer verdammte, ſeine Schriften zu leſen verbot, zu verbrennen be- fahl, und gleiche Strenge ſeinen Gehuͤlfen und Anhaͤngern drohete. — Was mußte das auf Lu- thern ſelbſt, und auf alle, die ihn bisher ihres Beyfalls gewuͤrdiget hatten, fuͤr einen Eindruck machen? Bloß darum, weil Luther den Ablaßhan- del geruͤget hatte, den die ganze Welt fuͤr Miß- brauch erkannte, ſollte Luther verdammt und ver- folget werden; jeden, der eben ſo daͤchte, ſollte gleiches Schickſal drohen. Was konnte man da anders fuͤr Entſcheidungsgruͤnde annehmen, als die Geldvortheile, die dem paͤbſtlichen Hofe und allen, die mit dem Ablaßhandel zu thun hatten, davon zufloſſen? Was war natuͤrlicher, als daß Luther, den jetzt freylich die Sache zunaͤchſt angieng, dar- uͤber noch auf weitere Nachforſchungen, zuletzt auf ganz andere Gedanken von Unfehlbarkeit des Pab- ſtes und von der Rechtmaͤßigkeit der ganzen paͤbſt- lichen Gewalt gerieth?
IV.
Sollte derjenige, der an Chriſti Stelle das ſicht- bare Oberhaupt ſeiner Kirche zu ſeyn behauptete, einen ſo klar am Tage liegenden Mißbrauch, nach ſo vielen daruͤber entſtandenen Bewegungen, durch einen ſo feierlichen Ausſpruch billigen? Sollte es mit dieſer bisher behaupteten Statthalterſchaft Chri- ſti auch wohl ſeine voͤllige Richtigkeit haben? Sollte es ſelbſt noͤthig ſeyn, ſollte es ſich aus der Bibel
bewei-
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V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
Natuͤrlich vermehrte das alles die allgemeine
Erwartung, was auf Luthers Appellation vom Aus-
ſpruche des Cardinal Cajetans von Rom aus fuͤr
ein Urtheil erfolgen wuͤrde. Und nun erfolgte eine
den 15. Jun. 1520. zu Rom datirte Bulle, wor-
in Leo der X. Luthern als einen Ketzer verdammte,
ſeine Schriften zu leſen verbot, zu verbrennen be-
fahl, und gleiche Strenge ſeinen Gehuͤlfen und
Anhaͤngern drohete. — Was mußte das auf Lu-
thern ſelbſt, und auf alle, die ihn bisher ihres
Beyfalls gewuͤrdiget hatten, fuͤr einen Eindruck
machen? Bloß darum, weil Luther den Ablaßhan-
del geruͤget hatte, den die ganze Welt fuͤr Miß-
brauch erkannte, ſollte Luther verdammt und ver-
folget werden; jeden, der eben ſo daͤchte, ſollte
gleiches Schickſal drohen. Was konnte man da
anders fuͤr Entſcheidungsgruͤnde annehmen, als die
Geldvortheile, die dem paͤbſtlichen Hofe und allen,
die mit dem Ablaßhandel zu thun hatten, davon
zufloſſen? Was war natuͤrlicher, als daß Luther,
den jetzt freylich die Sache zunaͤchſt angieng, dar-
uͤber noch auf weitere Nachforſchungen, zuletzt auf
ganz andere Gedanken von Unfehlbarkeit des Pab-
ſtes und von der Rechtmaͤßigkeit der ganzen paͤbſt-
lichen Gewalt gerieth?
Sollte derjenige, der an Chriſti Stelle das ſicht-
bare Oberhaupt ſeiner Kirche zu ſeyn behauptete,
einen ſo klar am Tage liegenden Mißbrauch, nach
ſo vielen daruͤber entſtandenen Bewegungen, durch
einen ſo feierlichen Ausſpruch billigen? Sollte es
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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/390>, abgerufen am 22.11.2024.
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