Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.6) Carolinger im Flor 752-814. Zeiten so geurtheilet, Carl der Große sey Nachfol-ger Justinians gewesen; folglich müßte auch das Justinianische Gesetzbuch in Teutschland eben so- wohl als in Rom gelten. Man nahm so gar aus dem Propheten Daniel eine Weissagung von vier Monarchien an, deren letzte, die bis ans Ende der Welt währen würde, die Römische sey, wel- che von den Griechen auf die Franken sey übertra- gen worden. Im Grunde war es keine Uebertra- gung der Kaiserwürde von Constantinopel; denn die östliche Kaiserwürde behielt daselbst nach wie vor ihren Fortgang. Es war nur eine Erneuerung der westlichen Kaiserwürde, so wie sie ehemals schon in Osten und Westen abgetheilt gewesen war. So hieß es auch auf damaligen Münzen ganz richtig: Renouatio imperii, nicht translatio. Diesen letztern Ausdruck hat man aber in folgen- den Jahrhunderten zu Rom gebraucht, und nun noch den großen Satz damit verbunden: der Pabst sey es, der auf göttlichen Befehl oder vielleicht gar nach eignem Gutfinden als Statthalter Gottes das Reich von Osten nach Westen zurückgebracht, und die Kaiserwürde von den Griechen auf die Franken übertragen habe. So dachte man zu Carls des Großen Zeiten gewiß noch nicht. Es war inzwi- schen der Mühe werth, hier einsweilen die Sache in ihrem wahren Lichte vorzustellen, weil in der Folge so ungemein vieles auf so irrigen Vorstel- lungen doch mit unglaublichem Erfolge gebauet worden ist. Die Kaiserkrone hatte Carl schon etliche JahreXX. Sach- E
6) Carolinger im Flor 752-814. Zeiten ſo geurtheilet, Carl der Große ſey Nachfol-ger Juſtinians geweſen; folglich muͤßte auch das Juſtinianiſche Geſetzbuch in Teutſchland eben ſo- wohl als in Rom gelten. Man nahm ſo gar aus dem Propheten Daniel eine Weiſſagung von vier Monarchien an, deren letzte, die bis ans Ende der Welt waͤhren wuͤrde, die Roͤmiſche ſey, wel- che von den Griechen auf die Franken ſey uͤbertra- gen worden. Im Grunde war es keine Uebertra- gung der Kaiſerwuͤrde von Conſtantinopel; denn die oͤſtliche Kaiſerwuͤrde behielt daſelbſt nach wie vor ihren Fortgang. Es war nur eine Erneuerung der weſtlichen Kaiſerwuͤrde, ſo wie ſie ehemals ſchon in Oſten und Weſten abgetheilt geweſen war. So hieß es auch auf damaligen Muͤnzen ganz richtig: Renouatio imperii, nicht translatio. Dieſen letztern Ausdruck hat man aber in folgen- den Jahrhunderten zu Rom gebraucht, und nun noch den großen Satz damit verbunden: der Pabſt ſey es, der auf goͤttlichen Befehl oder vielleicht gar nach eignem Gutfinden als Statthalter Gottes das Reich von Oſten nach Weſten zuruͤckgebracht, und die Kaiſerwuͤrde von den Griechen auf die Franken uͤbertragen habe. So dachte man zu Carls des Großen Zeiten gewiß noch nicht. Es war inzwi- ſchen der Muͤhe werth, hier einsweilen die Sache in ihrem wahren Lichte vorzuſtellen, weil in der Folge ſo ungemein vieles auf ſo irrigen Vorſtel- lungen doch mit unglaublichem Erfolge gebauet worden iſt. Die Kaiſerkrone hatte Carl ſchon etliche JahreXX. Sach- E
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6) Carolinger im Flor 752-814.
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ger Juſtinians geweſen; folglich muͤßte auch das
Juſtinianiſche Geſetzbuch in Teutſchland eben ſo-
wohl als in Rom gelten. Man nahm ſo gar aus
dem Propheten Daniel eine Weiſſagung von vier
Monarchien an, deren letzte, die bis ans Ende
der Welt waͤhren wuͤrde, die Roͤmiſche ſey, wel-
che von den Griechen auf die Franken ſey uͤbertra-
gen worden. Im Grunde war es keine Uebertra-
gung der Kaiſerwuͤrde von Conſtantinopel; denn
die oͤſtliche Kaiſerwuͤrde behielt daſelbſt nach wie
vor ihren Fortgang. Es war nur eine Erneuerung
der weſtlichen Kaiſerwuͤrde, ſo wie ſie ehemals
ſchon in Oſten und Weſten abgetheilt geweſen war.
So hieß es auch auf damaligen Muͤnzen ganz
richtig: Renouatio imperii, nicht translatio.
Dieſen letztern Ausdruck hat man aber in folgen-
den Jahrhunderten zu Rom gebraucht, und nun
noch den großen Satz damit verbunden: der Pabſt
ſey es, der auf goͤttlichen Befehl oder vielleicht gar
nach eignem Gutfinden als Statthalter Gottes das
Reich von Oſten nach Weſten zuruͤckgebracht, und
die Kaiſerwuͤrde von den Griechen auf die Franken
uͤbertragen habe. So dachte man zu Carls des
Großen Zeiten gewiß noch nicht. Es war inzwi-
ſchen der Muͤhe werth, hier einsweilen die Sache
in ihrem wahren Lichte vorzuſtellen, weil in der
Folge ſo ungemein vieles auf ſo irrigen Vorſtel-
lungen doch mit unglaublichem Erfolge gebauet
worden iſt.
Die Kaiſerkrone hatte Carl ſchon etliche Jahre
im Beſitz, als er endlich im Jahre 804. mit den
Sach-
XX.
804
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