Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich bin wieder auf dem ersten Blatt der
Chronik des Vogelsangs.

"Du mußt und willst doch auch wohl als erster
guter alter Freund von Allen nach Berlin?" hatte
meine Frau an jenem Novemberabend gefragt, und:
"Morgen, wenn es mir irgend möglich ist," hatte
ich ihr geantwortet. Dann waren wir Beide, Anna
und ich, zu unserem jungen Volk gegangen, um
uns zu vergewissern, daß wenigstens da noch Alles
in Ordnung auf Erden sei. Am anderen Mittag
war ich in Berlin. Meine Stellung in unserem
Staatswesen erlaubte mir, den nöthigen Urlaub,
wenigstens für einige Tage, mir selber zu geben.

"Erkälte Dich nicht, Alter," hatte meine Frau
gesagt. "Bedenke Deinen Rheumatismus und denke
auch ein wenig an Deine Jahre und daß wir im
November sind."

Ich bedachte freilich Manches in meinem Blitz¬
zuge; auch nicht zum mindesten meine wohlgezählten
achtundvierzig Lebensjahre. Würde ich aber noch
einmal von meinen Thüren, die ein Bedienter öffnete,
von meiner behaglichen Luftheizung, meinen amt¬
lichen Aussichten auf die Zukunft und darin den
Titel Excellenz, ja, würde ich auch nur noch einmal
von Weib und Kindern reden, so liefe das nur auf
eine Wiederholung von schon Gesagtem hinaus.

Ich bin wieder auf dem erſten Blatt der
Chronik des Vogelſangs.

„Du mußt und willſt doch auch wohl als erſter
guter alter Freund von Allen nach Berlin?“ hatte
meine Frau an jenem Novemberabend gefragt, und:
„Morgen, wenn es mir irgend möglich iſt,“ hatte
ich ihr geantwortet. Dann waren wir Beide, Anna
und ich, zu unſerem jungen Volk gegangen, um
uns zu vergewiſſern, daß wenigſtens da noch Alles
in Ordnung auf Erden ſei. Am anderen Mittag
war ich in Berlin. Meine Stellung in unſerem
Staatsweſen erlaubte mir, den nöthigen Urlaub,
wenigſtens für einige Tage, mir ſelber zu geben.

„Erkälte Dich nicht, Alter,“ hatte meine Frau
geſagt. „Bedenke Deinen Rheumatismus und denke
auch ein wenig an Deine Jahre und daß wir im
November ſind.“

Ich bedachte freilich Manches in meinem Blitz¬
zuge; auch nicht zum mindeſten meine wohlgezählten
achtundvierzig Lebensjahre. Würde ich aber noch
einmal von meinen Thüren, die ein Bedienter öffnete,
von meiner behaglichen Luftheizung, meinen amt¬
lichen Ausſichten auf die Zukunft und darin den
Titel Excellenz, ja, würde ich auch nur noch einmal
von Weib und Kindern reden, ſo liefe das nur auf
eine Wiederholung von ſchon Geſagtem hinaus.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0296" n="286"/>
      <p>Ich bin wieder auf dem er&#x017F;ten Blatt der<lb/><hi rendition="#g">Chronik des Vogel&#x017F;angs</hi>.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Du mußt und will&#x017F;t doch auch wohl als er&#x017F;ter<lb/>
guter alter Freund von Allen nach Berlin?&#x201C; hatte<lb/>
meine Frau an jenem Novemberabend gefragt, und:<lb/>
&#x201E;Morgen, wenn es mir irgend möglich i&#x017F;t,&#x201C; hatte<lb/>
ich ihr geantwortet. Dann waren wir Beide, Anna<lb/>
und ich, zu un&#x017F;erem jungen Volk gegangen, um<lb/>
uns zu vergewi&#x017F;&#x017F;ern, daß wenig&#x017F;tens da noch Alles<lb/>
in Ordnung auf Erden &#x017F;ei. Am anderen Mittag<lb/>
war ich in Berlin. Meine Stellung in un&#x017F;erem<lb/>
Staatswe&#x017F;en erlaubte mir, den nöthigen Urlaub,<lb/>
wenig&#x017F;tens für einige Tage, mir &#x017F;elber zu geben.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Erkälte Dich nicht, Alter,&#x201C; hatte meine Frau<lb/>
ge&#x017F;agt. &#x201E;Bedenke Deinen Rheumatismus und denke<lb/>
auch ein wenig an Deine Jahre und daß wir im<lb/>
November &#x017F;ind.&#x201C;</p><lb/>
      <p>Ich bedachte freilich Manches in meinem Blitz¬<lb/>
zuge; auch nicht zum minde&#x017F;ten meine wohlgezählten<lb/>
achtundvierzig Lebensjahre. Würde ich aber noch<lb/>
einmal von meinen Thüren, die ein Bedienter öffnete,<lb/>
von meiner behaglichen Luftheizung, meinen amt¬<lb/>
lichen Aus&#x017F;ichten auf die Zukunft und darin den<lb/>
Titel Excellenz, ja, würde ich auch nur noch einmal<lb/>
von Weib und Kindern reden, &#x017F;o liefe das nur auf<lb/>
eine Wiederholung von &#x017F;chon Ge&#x017F;agtem hinaus.<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[286/0296] Ich bin wieder auf dem erſten Blatt der Chronik des Vogelſangs. „Du mußt und willſt doch auch wohl als erſter guter alter Freund von Allen nach Berlin?“ hatte meine Frau an jenem Novemberabend gefragt, und: „Morgen, wenn es mir irgend möglich iſt,“ hatte ich ihr geantwortet. Dann waren wir Beide, Anna und ich, zu unſerem jungen Volk gegangen, um uns zu vergewiſſern, daß wenigſtens da noch Alles in Ordnung auf Erden ſei. Am anderen Mittag war ich in Berlin. Meine Stellung in unſerem Staatsweſen erlaubte mir, den nöthigen Urlaub, wenigſtens für einige Tage, mir ſelber zu geben. „Erkälte Dich nicht, Alter,“ hatte meine Frau geſagt. „Bedenke Deinen Rheumatismus und denke auch ein wenig an Deine Jahre und daß wir im November ſind.“ Ich bedachte freilich Manches in meinem Blitz¬ zuge; auch nicht zum mindeſten meine wohlgezählten achtundvierzig Lebensjahre. Würde ich aber noch einmal von meinen Thüren, die ein Bedienter öffnete, von meiner behaglichen Luftheizung, meinen amt¬ lichen Ausſichten auf die Zukunft und darin den Titel Excellenz, ja, würde ich auch nur noch einmal von Weib und Kindern reden, ſo liefe das nur auf eine Wiederholung von ſchon Geſagtem hinaus.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/296
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/296>, abgerufen am 22.11.2024.