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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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diesem Traum und in dieser Nacht von Neuem wach
geworden. Aber selbst im Traume war es dem Magister
Buchius verwunderlich, daß er plötzlich auch Mademoi¬
selle Selinde Fegebanck mit gelöstem Rabengelock auf
sich einstürmen sah: "Baroco! facrono!" -- was half
es ihm, daß er der Walkyria entgegenzeterte: "Bocardo!
docambroc!?"
Sie umfittichte ihn näher und näher,
schlug ihm die Perrücke vom Haupte und faßte ihn
mit den Krallen in die Brustklappen seines Rockes und
hieb auf seinen Busen ein. Da sank er unter dem
harpyischen Gespenst und Omen tiefer und tiefer aus
den dunkeln Lüften hinab auf seinen Campus Odini,
und als er den Boden berührte, erwachte er natürlich,
und es war sein schwarzer gefiederter Schützling und
Gastfreund vom Odfelde, der ihm in Fleisch, Blut und
Federn auf der Brust saß und an den Knöpfen seines
Nachtkamisols zupfte. Er erhob sich jäh, der Magister
Buchius nämlich, und das Scheusal flatterte mit Ge¬
krächz von ihm und zurück in den Ofenwinkel; der
Magister aber lag schweißtriefend, halbaufgerichtet auf
seinem rechten Ellenbogen und horchte nach seinem andern
Schützling und Gastfreund hin. Der wendete sich eben
in seinem Traum von der Linken auf die Rechte und
murmelte unruhvoll, ja weinend:

"Dieser Zeit Gemüther
"Führen falsche Güter,
"Weil der Zeug der Welt
"Keine Farbe hält.

dieſem Traum und in dieſer Nacht von Neuem wach
geworden. Aber ſelbſt im Traume war es dem Magiſter
Buchius verwunderlich, daß er plötzlich auch Mademoi¬
ſelle Selinde Fegebanck mit gelöſtem Rabengelock auf
ſich einſtürmen ſah: „Baroco! facrono!“ — was half
es ihm, daß er der Walkyria entgegenzeterte: „Bocardo!
docambroc!?“
Sie umfittichte ihn näher und näher,
ſchlug ihm die Perrücke vom Haupte und faßte ihn
mit den Krallen in die Bruſtklappen ſeines Rockes und
hieb auf ſeinen Buſen ein. Da ſank er unter dem
harpyiſchen Geſpenſt und Omen tiefer und tiefer aus
den dunkeln Lüften hinab auf ſeinen Campus Odini,
und als er den Boden berührte, erwachte er natürlich,
und es war ſein ſchwarzer gefiederter Schützling und
Gaſtfreund vom Odfelde, der ihm in Fleiſch, Blut und
Federn auf der Bruſt ſaß und an den Knöpfen ſeines
Nachtkamiſols zupfte. Er erhob ſich jäh, der Magiſter
Buchius nämlich, und das Scheuſal flatterte mit Ge¬
krächz von ihm und zurück in den Ofenwinkel; der
Magiſter aber lag ſchweißtriefend, halbaufgerichtet auf
ſeinem rechten Ellenbogen und horchte nach ſeinem andern
Schützling und Gaſtfreund hin. Der wendete ſich eben
in ſeinem Traum von der Linken auf die Rechte und
murmelte unruhvoll, ja weinend:

„Dieſer Zeit Gemüther
„Führen falſche Güter,
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[110/0118] dieſem Traum und in dieſer Nacht von Neuem wach geworden. Aber ſelbſt im Traume war es dem Magiſter Buchius verwunderlich, daß er plötzlich auch Mademoi¬ ſelle Selinde Fegebanck mit gelöſtem Rabengelock auf ſich einſtürmen ſah: „Baroco! facrono!“ — was half es ihm, daß er der Walkyria entgegenzeterte: „Bocardo! docambroc!?“ Sie umfittichte ihn näher und näher, ſchlug ihm die Perrücke vom Haupte und faßte ihn mit den Krallen in die Bruſtklappen ſeines Rockes und hieb auf ſeinen Buſen ein. Da ſank er unter dem harpyiſchen Geſpenſt und Omen tiefer und tiefer aus den dunkeln Lüften hinab auf ſeinen Campus Odini, und als er den Boden berührte, erwachte er natürlich, und es war ſein ſchwarzer gefiederter Schützling und Gaſtfreund vom Odfelde, der ihm in Fleiſch, Blut und Federn auf der Bruſt ſaß und an den Knöpfen ſeines Nachtkamiſols zupfte. Er erhob ſich jäh, der Magiſter Buchius nämlich, und das Scheuſal flatterte mit Ge¬ krächz von ihm und zurück in den Ofenwinkel; der Magiſter aber lag ſchweißtriefend, halbaufgerichtet auf ſeinem rechten Ellenbogen und horchte nach ſeinem andern Schützling und Gaſtfreund hin. Der wendete ſich eben in ſeinem Traum von der Linken auf die Rechte und murmelte unruhvoll, ja weinend: „Dieſer Zeit Gemüther „Führen falſche Güter, „Weil der Zeug der Welt „Keine Farbe hält.

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/118>, abgerufen am 21.11.2024.