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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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Da stand er, der den ganzen Tag über den ein¬
zigen sichern Platz in Kloster Amelungsborn und weit
rundum für sich allein gehabt hatte und doch nicht
darin mit seinem Schicksal zufrieden gewesen war.
Inmitten der von ihm angerichteten Verwüstung stand
zwischen den Beinen des Magisters Buchius der schwarze
Kämpfer aus der Schlacht auf dem Wodansfelde,
Wodans -- Odins Vogel, geisterhaft, gespenstisch frech
und unbefangen, aber dessenungeachtet so wenig mit
Triumphatorgefühlen wie die zwei großen Feldherren
von Braunschweig und von Broglio in ihren Haupt¬
quartieren zu Wickensen und zu Einbeck am heutigen
Abend.

Er war grimmig hungrig, ob er von Hugin oder
ob er von Munin stammte, der dunkle Bote Wodans,
und er sperrte den Schnabel darnach auf und schrie
empor zum guten alten Magister Buchius. Papier
sättigt nicht, und der Spukvogel vom Odfeld hatte
seinen Magen höchstens voll von Papier -- Papier
aus des Iburgischen Schloßpredigers Theodori Kampf's
gelehrten Untersuchungen über das, was von Eulen-
und Leichhühner-Schreien, von seines eigenen schwarz¬
geflügelten Geschlechtes Geschrei und andern Anzei¬
gungen des Todes zu halten sei.

"Du bist es?" sprach der Magister, sein letztes
Erschrecken bezwingend und seines Grauens noch ein¬
mal Herr werdend. "Du? Du? Du? O Gespenst,
meldest Du Dich nun wieder und zerrest an mir und

Da ſtand er, der den ganzen Tag über den ein¬
zigen ſichern Platz in Kloſter Amelungsborn und weit
rundum für ſich allein gehabt hatte und doch nicht
darin mit ſeinem Schickſal zufrieden geweſen war.
Inmitten der von ihm angerichteten Verwüſtung ſtand
zwiſchen den Beinen des Magiſters Buchius der ſchwarze
Kämpfer aus der Schlacht auf dem Wodansfelde,
Wodans — Odins Vogel, geiſterhaft, geſpenſtiſch frech
und unbefangen, aber deſſenungeachtet ſo wenig mit
Triumphatorgefühlen wie die zwei großen Feldherren
von Braunſchweig und von Broglio in ihren Haupt¬
quartieren zu Wickenſen und zu Einbeck am heutigen
Abend.

Er war grimmig hungrig, ob er von Hugin oder
ob er von Munin ſtammte, der dunkle Bote Wodans,
und er ſperrte den Schnabel darnach auf und ſchrie
empor zum guten alten Magiſter Buchius. Papier
ſättigt nicht, und der Spukvogel vom Odfeld hatte
ſeinen Magen höchſtens voll von Papier — Papier
aus des Iburgiſchen Schloßpredigers Theodori Kampf's
gelehrten Unterſuchungen über das, was von Eulen-
und Leichhühner-Schreien, von ſeines eigenen ſchwarz¬
geflügelten Geſchlechtes Geſchrei und andern Anzei¬
gungen des Todes zu halten ſei.

„Du biſt es?“ ſprach der Magiſter, ſein letztes
Erſchrecken bezwingend und ſeines Grauens noch ein¬
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[296/0304] Da ſtand er, der den ganzen Tag über den ein¬ zigen ſichern Platz in Kloſter Amelungsborn und weit rundum für ſich allein gehabt hatte und doch nicht darin mit ſeinem Schickſal zufrieden geweſen war. Inmitten der von ihm angerichteten Verwüſtung ſtand zwiſchen den Beinen des Magiſters Buchius der ſchwarze Kämpfer aus der Schlacht auf dem Wodansfelde, Wodans — Odins Vogel, geiſterhaft, geſpenſtiſch frech und unbefangen, aber deſſenungeachtet ſo wenig mit Triumphatorgefühlen wie die zwei großen Feldherren von Braunſchweig und von Broglio in ihren Haupt¬ quartieren zu Wickenſen und zu Einbeck am heutigen Abend. Er war grimmig hungrig, ob er von Hugin oder ob er von Munin ſtammte, der dunkle Bote Wodans, und er ſperrte den Schnabel darnach auf und ſchrie empor zum guten alten Magiſter Buchius. Papier ſättigt nicht, und der Spukvogel vom Odfeld hatte ſeinen Magen höchſtens voll von Papier — Papier aus des Iburgiſchen Schloßpredigers Theodori Kampf's gelehrten Unterſuchungen über das, was von Eulen- und Leichhühner-Schreien, von ſeines eigenen ſchwarz¬ geflügelten Geſchlechtes Geſchrei und andern Anzei¬ gungen des Todes zu halten ſei. „Du biſt es?“ ſprach der Magiſter, ſein letztes Erſchrecken bezwingend und ſeines Grauens noch ein¬ mal Herr werdend. „Du? Du? Du? O Geſpenſt, meldeſt Du Dich nun wieder und zerreſt an mir und

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/304>, abgerufen am 21.11.2024.