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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Von seinem Platz auf dem Holzhaufen vernahm der Scharfrichter noch im Innern des Gemaches die heisere, weinerliche Stimme des alten Heyliger, dann noch einmal die sanften, überredenden Laute der Jungfrau, dann ward Alles still. Eben wollte Wolf Scheffer leise zur Erde niedersteigen, als er noch einmal anhielt; im Innern der Silberburg ließ sich ein knarrender Ton vernehmen, und das alte Gebäude zitterte in seinen Grundvesten. Es war, als ob ein alter Balken unter zu großer Last gebrochen sei.

Teufel, murmelte der Scharfrichter, der alte Kasten scheint doch die Gicht in den Knochen zu haben. Bah, was thut's, ich werd' mich nicht lang damit plagen. Es wird sich schon Einer finden, der ihn mir abnimmt für gut Geld; mag ihm das alte Gebäude dabei auf den Kopf fallen, was schiert's mich. Geld und Geld und Geld und zu Ende der Spaß hier! Zu Pferd und fort nach dem lustigen Frankreich. Vive le roi! Vive la joie! Vive Paris!

Auf dem Erdboden angekommen, schüttelte sich der Lauscher und verschwand in der Dunkelheit. Eine Viertelstunde später erhellten sich zwei Fenster in der Scharfrichterei auf dem Herrenberge. Wolf Scheffer saß daselbst am Tisch, hatte einen Kalender vor sich, starrte unverwandt auf diesen Kalender des Jahres 1705, welcher dieser Tage erst beim Bücherverkäufer am Fenster erschienen war. Es war ein Datum darin roth unterstrichen, und Wolf hielt den Finger darauf, rechnete die

Von seinem Platz auf dem Holzhaufen vernahm der Scharfrichter noch im Innern des Gemaches die heisere, weinerliche Stimme des alten Heyliger, dann noch einmal die sanften, überredenden Laute der Jungfrau, dann ward Alles still. Eben wollte Wolf Scheffer leise zur Erde niedersteigen, als er noch einmal anhielt; im Innern der Silberburg ließ sich ein knarrender Ton vernehmen, und das alte Gebäude zitterte in seinen Grundvesten. Es war, als ob ein alter Balken unter zu großer Last gebrochen sei.

Teufel, murmelte der Scharfrichter, der alte Kasten scheint doch die Gicht in den Knochen zu haben. Bah, was thut's, ich werd' mich nicht lang damit plagen. Es wird sich schon Einer finden, der ihn mir abnimmt für gut Geld; mag ihm das alte Gebäude dabei auf den Kopf fallen, was schiert's mich. Geld und Geld und Geld und zu Ende der Spaß hier! Zu Pferd und fort nach dem lustigen Frankreich. Vive le roi! Vive la joie! Vive Paris!

Auf dem Erdboden angekommen, schüttelte sich der Lauscher und verschwand in der Dunkelheit. Eine Viertelstunde später erhellten sich zwei Fenster in der Scharfrichterei auf dem Herrenberge. Wolf Scheffer saß daselbst am Tisch, hatte einen Kalender vor sich, starrte unverwandt auf diesen Kalender des Jahres 1705, welcher dieser Tage erst beim Bücherverkäufer am Fenster erschienen war. Es war ein Datum darin roth unterstrichen, und Wolf hielt den Finger darauf, rechnete die

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[0049] Von seinem Platz auf dem Holzhaufen vernahm der Scharfrichter noch im Innern des Gemaches die heisere, weinerliche Stimme des alten Heyliger, dann noch einmal die sanften, überredenden Laute der Jungfrau, dann ward Alles still. Eben wollte Wolf Scheffer leise zur Erde niedersteigen, als er noch einmal anhielt; im Innern der Silberburg ließ sich ein knarrender Ton vernehmen, und das alte Gebäude zitterte in seinen Grundvesten. Es war, als ob ein alter Balken unter zu großer Last gebrochen sei. Teufel, murmelte der Scharfrichter, der alte Kasten scheint doch die Gicht in den Knochen zu haben. Bah, was thut's, ich werd' mich nicht lang damit plagen. Es wird sich schon Einer finden, der ihn mir abnimmt für gut Geld; mag ihm das alte Gebäude dabei auf den Kopf fallen, was schiert's mich. Geld und Geld und Geld und zu Ende der Spaß hier! Zu Pferd und fort nach dem lustigen Frankreich. Vive le roi! Vive la joie! Vive Paris! Auf dem Erdboden angekommen, schüttelte sich der Lauscher und verschwand in der Dunkelheit. Eine Viertelstunde später erhellten sich zwei Fenster in der Scharfrichterei auf dem Herrenberge. Wolf Scheffer saß daselbst am Tisch, hatte einen Kalender vor sich, starrte unverwandt auf diesen Kalender des Jahres 1705, welcher dieser Tage erst beim Bücherverkäufer am Fenster erschienen war. Es war ein Datum darin roth unterstrichen, und Wolf hielt den Finger darauf, rechnete die

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/49>, abgerufen am 28.04.2024.