Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.barg -- O, ich weiß das Alles noch ganz genau! So Es lernt und sieht sich so Manches auf einem solchen Sieh dort an der Ecke die arme, mit Lumpen be- Dort kommt eine elegante Equipage, Kutscher und Sieh den Arbeiter, der dort das Beil sinken läßt barg — O, ich weiß das Alles noch ganz genau! So Es lernt und ſieht ſich ſo Manches auf einem ſolchen Sieh dort an der Ecke die arme, mit Lumpen be- Dort kommt eine elegante Equipage, Kutſcher und Sieh den Arbeiter, der dort das Beil ſinken läßt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0040" n="30"/> barg — O, ich weiß das Alles noch ganz genau! So<lb/> iſt das Menſchenherz! Viele Jahre ſind vorüber gegangen<lb/> ſeit jenem traurigen Tage, und heute noch erinnere ich<lb/> mich an alle die finſtern Gedanken, die damals durch<lb/> meine Bruſt zogen, während ich ſo manche jüngere Freude<lb/> vergeſſen habe!</p><lb/> <p>Es lernt und ſieht ſich ſo Manches auf einem ſolchen<lb/> Gange, für den, der es verſteht, auf den Geſichtern der<lb/> Begegnenden und Nachſchauenden zu leſen.</p><lb/> <p>Sieh dort an der Ecke die arme, mit Lumpen be-<lb/> kleidete Frau aus dem Volk, wie ſie ihr Kind feſter an<lb/> ſich drückt und flüſtert: „Was ſollte aus dir werden,<lb/> mein kleines Herz, wenn ich heute ſo ſtill liege wie die,<lb/> welche man da fortträgt.“ —</p><lb/> <p>Dort kommt eine elegante Equipage, Kutſcher und<lb/> Bediente in prächtiger Livree mit Blumenſträußen im<lb/> Knopfloch. Bunte Hochzeitsbänder flattern an den Kopf-<lb/> geſchirren der Pferde; der junge vornehme Mann führt<lb/> ſeine ſchöne Braut zur Trauung, ihr Auge trifft den<lb/> Sarg, der langſam auf den Schultern der Träger daher<lb/> ſchwankt und die junge Verlobte birgt zitternd ihr<lb/> Juwelenblitzendes Haupt an der Bruſt neben ihr. —</p><lb/> <p>Sieh den Arbeiter, der dort das Beil ſinken läßt<lb/> und ſtier dem Zuge des Todes nachſieht. „Schaffe weiter<lb/> Proletarier, auch dein Weib liegt zu Hauſe ſterbend;<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [30/0040]
barg — O, ich weiß das Alles noch ganz genau! So
iſt das Menſchenherz! Viele Jahre ſind vorüber gegangen
ſeit jenem traurigen Tage, und heute noch erinnere ich
mich an alle die finſtern Gedanken, die damals durch
meine Bruſt zogen, während ich ſo manche jüngere Freude
vergeſſen habe!
Es lernt und ſieht ſich ſo Manches auf einem ſolchen
Gange, für den, der es verſteht, auf den Geſichtern der
Begegnenden und Nachſchauenden zu leſen.
Sieh dort an der Ecke die arme, mit Lumpen be-
kleidete Frau aus dem Volk, wie ſie ihr Kind feſter an
ſich drückt und flüſtert: „Was ſollte aus dir werden,
mein kleines Herz, wenn ich heute ſo ſtill liege wie die,
welche man da fortträgt.“ —
Dort kommt eine elegante Equipage, Kutſcher und
Bediente in prächtiger Livree mit Blumenſträußen im
Knopfloch. Bunte Hochzeitsbänder flattern an den Kopf-
geſchirren der Pferde; der junge vornehme Mann führt
ſeine ſchöne Braut zur Trauung, ihr Auge trifft den
Sarg, der langſam auf den Schultern der Träger daher
ſchwankt und die junge Verlobte birgt zitternd ihr
Juwelenblitzendes Haupt an der Bruſt neben ihr. —
Sieh den Arbeiter, der dort das Beil ſinken läßt
und ſtier dem Zuge des Todes nachſieht. „Schaffe weiter
Proletarier, auch dein Weib liegt zu Hauſe ſterbend;
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