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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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und kannst Du ihn wirklich ruhig sitzen lassen, ohne
den Kitzel wenigstens weg zu jucken? Ein Gott
hätte man sein müssen, um das zu können, und,
wie ich mich auch schätzte, auf diesen hohen Stand-
punkt, oder bis zu dieser, wenn Du lieber willst,
Dickfelligkeit hatte ich mich noch nicht erhoben, und
da sagte ich mir denn: Na, so kratze Dich, da es
juckt und wo es juckt! sitze erst mal selber zu Gerichte
über den verjährten Sünder: nimm ihn mal unter-
wegs vor, aber allein! Ist Dir in der Sache schon
einmal allein der Präsentirteller unter die Nase ge-
halten worden, so macht sich das sicherlich auch zum
andern Male. Laß sie Dich nicht umsonst Stopf-
kuchen genannt haben. Friß auch dieses für Dich
allein herunter. Und am liebsten auch wieder unter
der Hecke, so unterm Brombeerbusch, bei ruhigem
blauem Himmel und heller Sonne, mit den Feld-
grillen als Beisitzern und dem Angeklagten, dem
Landbriefträger Friedrich Störzer auf dem Chaussee-
grabenrand Dir gegenüber. . . . Aber, Kind, Meta,
so laß Dich doch endlich mal wieder sehen! Heraus
da aus dem dunkeln Winkel und hier an den Tisch,
Mädchen!"

Der Folterer klappte mit dem Hammer an die
Daumschrauben -- nein, er klopfte mit dem Deckel
seines Kruges, und Meta bleich, aufgeregt, mit
fliegendem Athem wankte hinter ihrem Schenktische
hervor.

"O Gott, Gott, Herr Stopf -- Herr Schaumann,

und kannſt Du ihn wirklich ruhig ſitzen laſſen, ohne
den Kitzel wenigſtens weg zu jucken? Ein Gott
hätte man ſein müſſen, um das zu können, und,
wie ich mich auch ſchätzte, auf dieſen hohen Stand-
punkt, oder bis zu dieſer, wenn Du lieber willſt,
Dickfelligkeit hatte ich mich noch nicht erhoben, und
da ſagte ich mir denn: Na, ſo kratze Dich, da es
juckt und wo es juckt! ſitze erſt mal ſelber zu Gerichte
über den verjährten Sünder: nimm ihn mal unter-
wegs vor, aber allein! Iſt Dir in der Sache ſchon
einmal allein der Präſentirteller unter die Naſe ge-
halten worden, ſo macht ſich das ſicherlich auch zum
andern Male. Laß ſie Dich nicht umſonſt Stopf-
kuchen genannt haben. Friß auch dieſes für Dich
allein herunter. Und am liebſten auch wieder unter
der Hecke, ſo unterm Brombeerbuſch, bei ruhigem
blauem Himmel und heller Sonne, mit den Feld-
grillen als Beiſitzern und dem Angeklagten, dem
Landbriefträger Friedrich Störzer auf dem Chauſſee-
grabenrand Dir gegenüber. . . . Aber, Kind, Meta,
ſo laß Dich doch endlich mal wieder ſehen! Heraus
da aus dem dunkeln Winkel und hier an den Tiſch,
Mädchen!“

Der Folterer klappte mit dem Hammer an die
Daumſchrauben — nein, er klopfte mit dem Deckel
ſeines Kruges, und Meta bleich, aufgeregt, mit
fliegendem Athem wankte hinter ihrem Schenktiſche
hervor.

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[247/0257] und kannſt Du ihn wirklich ruhig ſitzen laſſen, ohne den Kitzel wenigſtens weg zu jucken? Ein Gott hätte man ſein müſſen, um das zu können, und, wie ich mich auch ſchätzte, auf dieſen hohen Stand- punkt, oder bis zu dieſer, wenn Du lieber willſt, Dickfelligkeit hatte ich mich noch nicht erhoben, und da ſagte ich mir denn: Na, ſo kratze Dich, da es juckt und wo es juckt! ſitze erſt mal ſelber zu Gerichte über den verjährten Sünder: nimm ihn mal unter- wegs vor, aber allein! Iſt Dir in der Sache ſchon einmal allein der Präſentirteller unter die Naſe ge- halten worden, ſo macht ſich das ſicherlich auch zum andern Male. Laß ſie Dich nicht umſonſt Stopf- kuchen genannt haben. Friß auch dieſes für Dich allein herunter. Und am liebſten auch wieder unter der Hecke, ſo unterm Brombeerbuſch, bei ruhigem blauem Himmel und heller Sonne, mit den Feld- grillen als Beiſitzern und dem Angeklagten, dem Landbriefträger Friedrich Störzer auf dem Chauſſee- grabenrand Dir gegenüber. . . . Aber, Kind, Meta, ſo laß Dich doch endlich mal wieder ſehen! Heraus da aus dem dunkeln Winkel und hier an den Tiſch, Mädchen!“ Der Folterer klappte mit dem Hammer an die Daumſchrauben — nein, er klopfte mit dem Deckel ſeines Kruges, und Meta bleich, aufgeregt, mit fliegendem Athem wankte hinter ihrem Schenktiſche hervor. „O Gott, Gott, Herr Stopf — Herr Schaumann,

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/257>, abgerufen am 21.11.2024.