Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

wir wenigstens die rothe Schanze und Quakatz hinter
uns haben."


Nun war es seltsam, wie sich in dieser Nacht
in den Heiligen drei Königen Vergangenheit und
Gegenwart im Bett, Schlaf, Traum und Halbtraum
vermischte. Es rauschte und rollte, wie großer
Platzregen und schwerer Donner: ich lag im Bett
in den Heiligen drei Königen als Gatte, Vater,
Grundbesitzer und großer Schafzüchter am Orange-
fluß, und lief zu gleicher Zeit mit dem Landbrief-
träger Störzer als zwölfjähriger Schuljunge im
strömenden Gewitterschauer, unter Blitz und Donner
über das freie Feld, um Maiholzen, das gute Dorf
hinter der rothen Schanze zu erreichen -- wenn
nicht mit trockenen Kleidern, so doch wenigstens bei
lebendigem Leibe.

Erst als der Kellner mit dem Rasirwasser kam,
erfuhr ich, daß es wirklich gegen Morgen noch ein
heftiges Gewitter gegeben habe, und es war wirklich
nichts dagegen zu sagen, daß der junge Mann den
höflichen Wunsch äußerte, ich möge "die Sache an-
genehm verschlafen haben."

Das wirkliche Gewitter der Nacht hatte ich an-
genehm verschlafen, oder sein Getöse hatte sich doch
so sehr mit dem Rollen und Rauschen der Vergangen-
heit vermischt, daß ein Unterscheiden von Traum und

wir wenigſtens die rothe Schanze und Quakatz hinter
uns haben.“


Nun war es ſeltſam, wie ſich in dieſer Nacht
in den Heiligen drei Königen Vergangenheit und
Gegenwart im Bett, Schlaf, Traum und Halbtraum
vermiſchte. Es rauſchte und rollte, wie großer
Platzregen und ſchwerer Donner: ich lag im Bett
in den Heiligen drei Königen als Gatte, Vater,
Grundbeſitzer und großer Schafzüchter am Orange-
fluß, und lief zu gleicher Zeit mit dem Landbrief-
träger Störzer als zwölfjähriger Schuljunge im
ſtrömenden Gewitterſchauer, unter Blitz und Donner
über das freie Feld, um Maiholzen, das gute Dorf
hinter der rothen Schanze zu erreichen — wenn
nicht mit trockenen Kleidern, ſo doch wenigſtens bei
lebendigem Leibe.

Erſt als der Kellner mit dem Raſirwaſſer kam,
erfuhr ich, daß es wirklich gegen Morgen noch ein
heftiges Gewitter gegeben habe, und es war wirklich
nichts dagegen zu ſagen, daß der junge Mann den
höflichen Wunſch äußerte, ich möge „die Sache an-
genehm verſchlafen haben.“

Das wirkliche Gewitter der Nacht hatte ich an-
genehm verſchlafen, oder ſein Getöſe hatte ſich doch
ſo ſehr mit dem Rollen und Rauſchen der Vergangen-
heit vermiſcht, daß ein Unterſcheiden von Traum und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="26"/>
wir wenig&#x017F;tens die rothe Schanze und Quakatz hinter<lb/>
uns haben.&#x201C;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Nun war es &#x017F;elt&#x017F;am, wie &#x017F;ich in die&#x017F;er Nacht<lb/>
in den Heiligen drei Königen Vergangenheit und<lb/>
Gegenwart im Bett, Schlaf, Traum und Halbtraum<lb/>
vermi&#x017F;chte. Es rau&#x017F;chte und rollte, wie großer<lb/>
Platzregen und &#x017F;chwerer Donner: ich lag im Bett<lb/>
in den Heiligen drei Königen als Gatte, Vater,<lb/>
Grundbe&#x017F;itzer und großer Schafzüchter am Orange-<lb/>
fluß, und lief zu gleicher Zeit mit dem Landbrief-<lb/>
träger Störzer als zwölfjähriger Schuljunge im<lb/>
&#x017F;trömenden Gewitter&#x017F;chauer, unter Blitz und Donner<lb/>
über das freie Feld, um Maiholzen, das gute Dorf<lb/>
hinter der rothen Schanze zu erreichen &#x2014; wenn<lb/>
nicht mit trockenen Kleidern, &#x017F;o doch wenig&#x017F;tens bei<lb/>
lebendigem Leibe.</p><lb/>
        <p>Er&#x017F;t als der Kellner mit dem Ra&#x017F;irwa&#x017F;&#x017F;er kam,<lb/>
erfuhr ich, daß es wirklich gegen Morgen noch ein<lb/>
heftiges Gewitter gegeben habe, und es war wirklich<lb/>
nichts dagegen zu &#x017F;agen, daß der junge Mann den<lb/>
höflichen Wun&#x017F;ch äußerte, ich möge &#x201E;die Sache an-<lb/>
genehm ver&#x017F;chlafen haben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Das wirkliche Gewitter der Nacht hatte ich an-<lb/>
genehm ver&#x017F;chlafen, oder &#x017F;ein Getö&#x017F;e hatte &#x017F;ich doch<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr mit dem Rollen und Rau&#x017F;chen der Vergangen-<lb/>
heit vermi&#x017F;cht, daß ein Unter&#x017F;cheiden von Traum und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0036] wir wenigſtens die rothe Schanze und Quakatz hinter uns haben.“ Nun war es ſeltſam, wie ſich in dieſer Nacht in den Heiligen drei Königen Vergangenheit und Gegenwart im Bett, Schlaf, Traum und Halbtraum vermiſchte. Es rauſchte und rollte, wie großer Platzregen und ſchwerer Donner: ich lag im Bett in den Heiligen drei Königen als Gatte, Vater, Grundbeſitzer und großer Schafzüchter am Orange- fluß, und lief zu gleicher Zeit mit dem Landbrief- träger Störzer als zwölfjähriger Schuljunge im ſtrömenden Gewitterſchauer, unter Blitz und Donner über das freie Feld, um Maiholzen, das gute Dorf hinter der rothen Schanze zu erreichen — wenn nicht mit trockenen Kleidern, ſo doch wenigſtens bei lebendigem Leibe. Erſt als der Kellner mit dem Raſirwaſſer kam, erfuhr ich, daß es wirklich gegen Morgen noch ein heftiges Gewitter gegeben habe, und es war wirklich nichts dagegen zu ſagen, daß der junge Mann den höflichen Wunſch äußerte, ich möge „die Sache an- genehm verſchlafen haben.“ Das wirkliche Gewitter der Nacht hatte ich an- genehm verſchlafen, oder ſein Getöſe hatte ſich doch ſo ſehr mit dem Rollen und Rauſchen der Vergangen- heit vermiſcht, daß ein Unterſcheiden von Traum und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/36
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/36>, abgerufen am 21.11.2024.