Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite
Von Erlernung der Sprachen

Es ward uns Gelegenheit gegeben, die ältere
und neuere Geschichte zu erlernen. Man lehrte uns
die Geographie, und andre davon abhangende Wis-
senschaften. Man bemühte sich, uns einen kleinen
Vorschmack von den Rechten eines jeden Reichs,
und hauptsächlich unsers Vaterlands beyzubringen.
Es wurden auf Kosten der Obern Leute gehalten,
welche die Jugend in der französischen und italiäni-
schen Sprache unterrichten sollten. Ja, welches
beynahe unglaublich ist, so gar in der deutschen
Sprache gab man uns Anleitung. Die mathema-
tischen Wissenschaften wurden getrieben, so viel es
auf Schulen möglich ist. Von der Malerey, Mu-
sik, und Tanzkunst will ich nicht einmal etwas er-
wähnen, so wenig, als von der Anweisung, wie
man die Buchstaben leserlich und schön schreiben
soll.

Was meynen Sie davon, mein Herr? Jch
weis, Sie lassen mir die Gerechtigkeit wiederfahren,
und trauen mir zu, daß ich die kostbare Zeit mit der-
gleichen Sachen nicht verderbt habe. Es wäre
dieses ein Fehler gewesen, welchen man kaum mit
dem gelinden Namen einer Jugendsünde hätte ent-
schuldigen können; und ich glaube, meine Enkel
würden sich dereinst schämen müssen, wenn man ih-
nen dergleichen gelehrte Schwachheiten von ihrem
Großvater vorwürfe.

Meine Bemühungen waren weit rühmlicher.
Lateinisch, Griechisch, Ebräisch, die Redekunst, und
die Logik, dieses sind die Wissenschaften, worauf ich

mich
Von Erlernung der Sprachen

Es ward uns Gelegenheit gegeben, die aͤltere
und neuere Geſchichte zu erlernen. Man lehrte uns
die Geographie, und andre davon abhangende Wiſ-
ſenſchaften. Man bemuͤhte ſich, uns einen kleinen
Vorſchmack von den Rechten eines jeden Reichs,
und hauptſaͤchlich unſers Vaterlands beyzubringen.
Es wurden auf Koſten der Obern Leute gehalten,
welche die Jugend in der franzoͤſiſchen und italiaͤni-
ſchen Sprache unterrichten ſollten. Ja, welches
beynahe unglaublich iſt, ſo gar in der deutſchen
Sprache gab man uns Anleitung. Die mathema-
tiſchen Wiſſenſchaften wurden getrieben, ſo viel es
auf Schulen moͤglich iſt. Von der Malerey, Mu-
ſik, und Tanzkunſt will ich nicht einmal etwas er-
waͤhnen, ſo wenig, als von der Anweiſung, wie
man die Buchſtaben leſerlich und ſchoͤn ſchreiben
ſoll.

Was meynen Sie davon, mein Herr? Jch
weis, Sie laſſen mir die Gerechtigkeit wiederfahren,
und trauen mir zu, daß ich die koſtbare Zeit mit der-
gleichen Sachen nicht verderbt habe. Es waͤre
dieſes ein Fehler geweſen, welchen man kaum mit
dem gelinden Namen einer Jugendſuͤnde haͤtte ent-
ſchuldigen koͤnnen; und ich glaube, meine Enkel
wuͤrden ſich dereinſt ſchaͤmen muͤſſen, wenn man ih-
nen dergleichen gelehrte Schwachheiten von ihrem
Großvater vorwuͤrfe.

Meine Bemuͤhungen waren weit ruͤhmlicher.
Lateiniſch, Griechiſch, Ebraͤiſch, die Redekunſt, und
die Logik, dieſes ſind die Wiſſenſchaften, worauf ich

mich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0184" n="110"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von Erlernung der Sprachen</hi> </fw><lb/>
        <p>Es ward uns Gelegenheit gegeben, die a&#x0364;ltere<lb/>
und neuere Ge&#x017F;chichte zu erlernen. Man lehrte uns<lb/>
die Geographie, und andre davon abhangende Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaften. Man bemu&#x0364;hte &#x017F;ich, uns einen kleinen<lb/>
Vor&#x017F;chmack von den Rechten eines jeden Reichs,<lb/>
und haupt&#x017F;a&#x0364;chlich un&#x017F;ers Vaterlands beyzubringen.<lb/>
Es wurden auf Ko&#x017F;ten der Obern Leute gehalten,<lb/>
welche die Jugend in der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen und italia&#x0364;ni-<lb/>
&#x017F;chen Sprache unterrichten &#x017F;ollten. Ja, welches<lb/>
beynahe unglaublich i&#x017F;t, &#x017F;o gar in der deut&#x017F;chen<lb/>
Sprache gab man uns Anleitung. Die mathema-<lb/>
ti&#x017F;chen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften wurden getrieben, &#x017F;o viel es<lb/>
auf Schulen mo&#x0364;glich i&#x017F;t. Von der Malerey, Mu-<lb/>
&#x017F;ik, und Tanzkun&#x017F;t will ich nicht einmal etwas er-<lb/>
wa&#x0364;hnen, &#x017F;o wenig, als von der Anwei&#x017F;ung, wie<lb/>
man die Buch&#x017F;taben le&#x017F;erlich und &#x017F;cho&#x0364;n &#x017F;chreiben<lb/>
&#x017F;oll.</p><lb/>
        <p>Was meynen Sie davon, mein Herr? Jch<lb/>
weis, Sie la&#x017F;&#x017F;en mir die Gerechtigkeit wiederfahren,<lb/>
und trauen mir zu, daß ich die ko&#x017F;tbare Zeit mit der-<lb/>
gleichen Sachen nicht verderbt habe. Es wa&#x0364;re<lb/>
die&#x017F;es ein Fehler gewe&#x017F;en, welchen man kaum mit<lb/>
dem gelinden Namen einer Jugend&#x017F;u&#x0364;nde ha&#x0364;tte ent-<lb/>
&#x017F;chuldigen ko&#x0364;nnen; und ich glaube, meine Enkel<lb/>
wu&#x0364;rden &#x017F;ich derein&#x017F;t &#x017F;cha&#x0364;men mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn man ih-<lb/>
nen dergleichen gelehrte Schwachheiten von ihrem<lb/>
Großvater vorwu&#x0364;rfe.</p><lb/>
        <p>Meine Bemu&#x0364;hungen waren weit ru&#x0364;hmlicher.<lb/>
Lateini&#x017F;ch, Griechi&#x017F;ch, Ebra&#x0364;i&#x017F;ch, die Redekun&#x017F;t, und<lb/>
die Logik, die&#x017F;es &#x017F;ind die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, worauf ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mich</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0184] Von Erlernung der Sprachen Es ward uns Gelegenheit gegeben, die aͤltere und neuere Geſchichte zu erlernen. Man lehrte uns die Geographie, und andre davon abhangende Wiſ- ſenſchaften. Man bemuͤhte ſich, uns einen kleinen Vorſchmack von den Rechten eines jeden Reichs, und hauptſaͤchlich unſers Vaterlands beyzubringen. Es wurden auf Koſten der Obern Leute gehalten, welche die Jugend in der franzoͤſiſchen und italiaͤni- ſchen Sprache unterrichten ſollten. Ja, welches beynahe unglaublich iſt, ſo gar in der deutſchen Sprache gab man uns Anleitung. Die mathema- tiſchen Wiſſenſchaften wurden getrieben, ſo viel es auf Schulen moͤglich iſt. Von der Malerey, Mu- ſik, und Tanzkunſt will ich nicht einmal etwas er- waͤhnen, ſo wenig, als von der Anweiſung, wie man die Buchſtaben leſerlich und ſchoͤn ſchreiben ſoll. Was meynen Sie davon, mein Herr? Jch weis, Sie laſſen mir die Gerechtigkeit wiederfahren, und trauen mir zu, daß ich die koſtbare Zeit mit der- gleichen Sachen nicht verderbt habe. Es waͤre dieſes ein Fehler geweſen, welchen man kaum mit dem gelinden Namen einer Jugendſuͤnde haͤtte ent- ſchuldigen koͤnnen; und ich glaube, meine Enkel wuͤrden ſich dereinſt ſchaͤmen muͤſſen, wenn man ih- nen dergleichen gelehrte Schwachheiten von ihrem Großvater vorwuͤrfe. Meine Bemuͤhungen waren weit ruͤhmlicher. Lateiniſch, Griechiſch, Ebraͤiſch, die Redekunſt, und die Logik, dieſes ſind die Wiſſenſchaften, worauf ich mich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/184
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/184>, abgerufen am 21.11.2024.