[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.Vorbericht. tyren bessern werden, und da er den Beyfall der ver-nünftigen Welt auf seiner Seite hat, so muß der Lasterhafte sich schämen, ihn anzufeinden. Jch lasse ihm Platz, sich zu bessern, da ich seine Person geschont habe. Noch ist er unerkannt; noch weis niemand, daß er dieser Lasterhafte ist; nur ich weis es, und sein Gewissen. Er hat noch Zeit, tugend- haft zu werden; und die Welt soll es nicht erfah- ren, daß er lasterhaft gewesen ist. Es kann nicht fehlen; eine allgemeine Satyre muß eine allgemei- ne Besserung wirken. Die Thorheit, die in Leipzig lächerlich ist, eben diese Thorheit ist in Lissabon und in Moskau lächerlich. Die Narren sehen, wie die Menschen, alle einander ähnlich, nur einige Züge verändert das Clima. Kann meine Eigenliebe etwas mehr verlangen, als die schmeichelhafte Vorstellung, daß, wenn ich die satyrische Geißel wider die Unge- reimtheiten meines Nachbars aufhebe, sich alle Tho- ren eines ganzen Landes bücken, aus Furcht, daß der Streich ihnen gilt? Wird aber dieses geschehen, wenn ich ihnen sage, daß ich meinen Nachbar mey- ne? Eine allgemeine Satyre bleibt der Nachwelt immer neu. Eben die Thoren, die uns lächerlich sind, sind auch die Thoren ihrer Zeit. Schildre ich das Laster allgemein, so liest der Enkel den Cha- rakter c 5
Vorbericht. tyren beſſern werden, und da er den Beyfall der ver-nuͤnftigen Welt auf ſeiner Seite hat, ſo muß der Laſterhafte ſich ſchaͤmen, ihn anzufeinden. Jch laſſe ihm Platz, ſich zu beſſern, da ich ſeine Perſon geſchont habe. Noch iſt er unerkannt; noch weis niemand, daß er dieſer Laſterhafte iſt; nur ich weis es, und ſein Gewiſſen. Er hat noch Zeit, tugend- haft zu werden; und die Welt ſoll es nicht erfah- ren, daß er laſterhaft geweſen iſt. Es kann nicht fehlen; eine allgemeine Satyre muß eine allgemei- ne Beſſerung wirken. Die Thorheit, die in Leipzig laͤcherlich iſt, eben dieſe Thorheit iſt in Liſſabon und in Moskau laͤcherlich. Die Narren ſehen, wie die Menſchen, alle einander aͤhnlich, nur einige Zuͤge veraͤndert das Clima. Kann meine Eigenliebe etwas mehr verlangen, als die ſchmeichelhafte Vorſtellung, daß, wenn ich die ſatyriſche Geißel wider die Unge- reimtheiten meines Nachbars aufhebe, ſich alle Tho- ren eines ganzen Landes buͤcken, aus Furcht, daß der Streich ihnen gilt? Wird aber dieſes geſchehen, wenn ich ihnen ſage, daß ich meinen Nachbar mey- ne? Eine allgemeine Satyre bleibt der Nachwelt immer neu. Eben die Thoren, die uns laͤcherlich ſind, ſind auch die Thoren ihrer Zeit. Schildre ich das Laſter allgemein, ſo lieſt der Enkel den Cha- rakter c 5
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Vorbericht.
tyren beſſern werden, und da er den Beyfall der ver-
nuͤnftigen Welt auf ſeiner Seite hat, ſo muß der
Laſterhafte ſich ſchaͤmen, ihn anzufeinden. Jch
laſſe ihm Platz, ſich zu beſſern, da ich ſeine Perſon
geſchont habe. Noch iſt er unerkannt; noch weis
niemand, daß er dieſer Laſterhafte iſt; nur ich weis
es, und ſein Gewiſſen. Er hat noch Zeit, tugend-
haft zu werden; und die Welt ſoll es nicht erfah-
ren, daß er laſterhaft geweſen iſt. Es kann nicht
fehlen; eine allgemeine Satyre muß eine allgemei-
ne Beſſerung wirken. Die Thorheit, die in Leipzig
laͤcherlich iſt, eben dieſe Thorheit iſt in Liſſabon und
in Moskau laͤcherlich. Die Narren ſehen, wie die
Menſchen, alle einander aͤhnlich, nur einige Zuͤge
veraͤndert das Clima. Kann meine Eigenliebe etwas
mehr verlangen, als die ſchmeichelhafte Vorſtellung,
daß, wenn ich die ſatyriſche Geißel wider die Unge-
reimtheiten meines Nachbars aufhebe, ſich alle Tho-
ren eines ganzen Landes buͤcken, aus Furcht, daß
der Streich ihnen gilt? Wird aber dieſes geſchehen,
wenn ich ihnen ſage, daß ich meinen Nachbar mey-
ne? Eine allgemeine Satyre bleibt der Nachwelt
immer neu. Eben die Thoren, die uns laͤcherlich
ſind, ſind auch die Thoren ihrer Zeit. Schildre
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