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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Ein Traum
bat ihn, mich zu begleiten. Jch will es endlich
thun, sagte derselbe, allein, entdecke mir vor allen
Dingen, ob du ein Poet bist? Dieser Zweifel gieng
mir durch die Seele, und in meinem Leben hätte ich
es niemanden rathen wollen, eine so unbehutsame
Frage an mich zu thun. Jch empfand den schmerz-
lichen Verlust meiner zurückgelaßnen Schriften auf
einmal wieder. Jch war so thöricht, daß ich um-
kehren, und einige gedruckte Beweise holen wollte.
Jch gab solches meinem Führer zu verstehen; allein,
er machte mir eine so ernsthafte Miene, daß ich mich
über meine Autorschaft zum erstenmale schämte. Jch
versicherte ihn also nur mit furchtsamen Geberden,
daß ich in meinem Leben kein Feind der Dichtkunst
gewesen wäre. Das ist gut, sagte er, ich habe die-
se Frage deswegen an dich gethan, weil man sich
in dieser Gegend, welche du betrachten willst, ohne
eine Kenntniß der Gemüthsarten, und Ausschwei-
fungen der Poeten in gar nichts finden kann.
Du wirst wunderliche Gegenstände sehen. Es
scheint, als ob sich die Natur an diesem Orte ver-
loren hätte, und du wirst finden, daß daselbst alle
Handlungen nicht so sind, wie sie natürlicher Weise
zu seyn pflegen, weil dergleichen Poeten nicht so den-
ken, wie sie natürlich denken sollten. Die ganze
Gegend, fuhr er fort, wird besonders von einer
Seele in Bewegung gesetzt, welche sich in ihrem Le-
ben durch poßierliche Handlungen von andern unter-
schieden hat. Jhr ganzer Aufzug sieht einem Trau-
me ähnlicher, als einer wirklichen Begebenheit,
welches eben daher kömmt, daß diese Seele mit

der-

Ein Traum
bat ihn, mich zu begleiten. Jch will es endlich
thun, ſagte derſelbe, allein, entdecke mir vor allen
Dingen, ob du ein Poet biſt? Dieſer Zweifel gieng
mir durch die Seele, und in meinem Leben haͤtte ich
es niemanden rathen wollen, eine ſo unbehutſame
Frage an mich zu thun. Jch empfand den ſchmerz-
lichen Verluſt meiner zuruͤckgelaßnen Schriften auf
einmal wieder. Jch war ſo thoͤricht, daß ich um-
kehren, und einige gedruckte Beweiſe holen wollte.
Jch gab ſolches meinem Fuͤhrer zu verſtehen; allein,
er machte mir eine ſo ernſthafte Miene, daß ich mich
uͤber meine Autorſchaft zum erſtenmale ſchaͤmte. Jch
verſicherte ihn alſo nur mit furchtſamen Geberden,
daß ich in meinem Leben kein Feind der Dichtkunſt
geweſen waͤre. Das iſt gut, ſagte er, ich habe die-
ſe Frage deswegen an dich gethan, weil man ſich
in dieſer Gegend, welche du betrachten willſt, ohne
eine Kenntniß der Gemuͤthsarten, und Ausſchwei-
fungen der Poeten in gar nichts finden kann.
Du wirſt wunderliche Gegenſtaͤnde ſehen. Es
ſcheint, als ob ſich die Natur an dieſem Orte ver-
loren haͤtte, und du wirſt finden, daß daſelbſt alle
Handlungen nicht ſo ſind, wie ſie natuͤrlicher Weiſe
zu ſeyn pflegen, weil dergleichen Poeten nicht ſo den-
ken, wie ſie natuͤrlich denken ſollten. Die ganze
Gegend, fuhr er fort, wird beſonders von einer
Seele in Bewegung geſetzt, welche ſich in ihrem Le-
ben durch poßierliche Handlungen von andern unter-
ſchieden hat. Jhr ganzer Aufzug ſieht einem Trau-
me aͤhnlicher, als einer wirklichen Begebenheit,
welches eben daher koͤmmt, daß dieſe Seele mit

der-
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[28/0028] Ein Traum bat ihn, mich zu begleiten. Jch will es endlich thun, ſagte derſelbe, allein, entdecke mir vor allen Dingen, ob du ein Poet biſt? Dieſer Zweifel gieng mir durch die Seele, und in meinem Leben haͤtte ich es niemanden rathen wollen, eine ſo unbehutſame Frage an mich zu thun. Jch empfand den ſchmerz- lichen Verluſt meiner zuruͤckgelaßnen Schriften auf einmal wieder. Jch war ſo thoͤricht, daß ich um- kehren, und einige gedruckte Beweiſe holen wollte. Jch gab ſolches meinem Fuͤhrer zu verſtehen; allein, er machte mir eine ſo ernſthafte Miene, daß ich mich uͤber meine Autorſchaft zum erſtenmale ſchaͤmte. Jch verſicherte ihn alſo nur mit furchtſamen Geberden, daß ich in meinem Leben kein Feind der Dichtkunſt geweſen waͤre. Das iſt gut, ſagte er, ich habe die- ſe Frage deswegen an dich gethan, weil man ſich in dieſer Gegend, welche du betrachten willſt, ohne eine Kenntniß der Gemuͤthsarten, und Ausſchwei- fungen der Poeten in gar nichts finden kann. Du wirſt wunderliche Gegenſtaͤnde ſehen. Es ſcheint, als ob ſich die Natur an dieſem Orte ver- loren haͤtte, und du wirſt finden, daß daſelbſt alle Handlungen nicht ſo ſind, wie ſie natuͤrlicher Weiſe zu ſeyn pflegen, weil dergleichen Poeten nicht ſo den- ken, wie ſie natuͤrlich denken ſollten. Die ganze Gegend, fuhr er fort, wird beſonders von einer Seele in Bewegung geſetzt, welche ſich in ihrem Le- ben durch poßierliche Handlungen von andern unter- ſchieden hat. Jhr ganzer Aufzug ſieht einem Trau- me aͤhnlicher, als einer wirklichen Begebenheit, welches eben daher koͤmmt, daß dieſe Seele mit der-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/28>, abgerufen am 29.04.2024.