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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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von den abgeschiednen Seelen.
herrlichen Elixiere, durch meine vortrefflichen Pillen
curirt! Nein! Zum wenigsten sein ganzes Vater-
land war es, dem er geholfen hatte, und so oft seine
Pillen bey einem Patienten so, wie ich oben erzählt
habe, durchschlugen, so oft gratulirte er auch dem
ganzen gemeinen Wesen. Beynahe hätte ich den
wichtigsten Umstand ganz mit Stillschweigen über-
gangen. Ordentlicher Weise haben unsre Markt-
schreyer etliche Schnuren angereihter Zähne an
dem Halse hangen, welche sie preßhaften Patienten
ausgerissen haben, und nunmehr als Siegeszeichen
herumtragen. Meine Leser können wohl glauben, daß
unser Arzt dergleichen redende Zeugen seiner Ge-
schicklichkeit und Erfahrung eben so wohl an sich han-
gen hatte. Zwar waren es keine Zähne, an deren
Stelle aber eine große Schnur zusammengereihter
und auserlesener Donatschnitzer, welche er aus den
Schriften gelehrter Männer herausgehoben hatte.
Jch konnte mich bey dem Anblicke dieser kostbaren
Pracht unmöglich des Lachens enthalten; zu meinem
größten Unglücke aber ward ich von einem dieser witzi-
gen Adepten darüber entdeckt, weicher sich durch die
andern Geister drängte, und, indem er auf mich zu-
eilte, einmal über das andre rief: Halt auf! Halt
auf!
Jch suchte, mich unter dem Volke zu verber-
gen, er fand mich aber dennoch, und als er mich an-
gepackt hatte, sagte er: Lasse sich der Herr curiren!
Der Herr hat den Staar, einen gefährlichen Staar!
Er kömmt nicht aus meinen Händen, bis ich ihm
denselben gestochen habe! Halte der Herr im Guten,
oder ich brauche Gewalt! Hier half weder Bitten

noch
C 2

von den abgeſchiednen Seelen.
herrlichen Elixiere, durch meine vortrefflichen Pillen
curirt! Nein! Zum wenigſten ſein ganzes Vater-
land war es, dem er geholfen hatte, und ſo oft ſeine
Pillen bey einem Patienten ſo, wie ich oben erzaͤhlt
habe, durchſchlugen, ſo oft gratulirte er auch dem
ganzen gemeinen Weſen. Beynahe haͤtte ich den
wichtigſten Umſtand ganz mit Stillſchweigen uͤber-
gangen. Ordentlicher Weiſe haben unſre Markt-
ſchreyer etliche Schnuren angereihter Zaͤhne an
dem Halſe hangen, welche ſie preßhaften Patienten
ausgeriſſen haben, und nunmehr als Siegeszeichen
herumtragen. Meine Leſer koͤnnen wohl glauben, daß
unſer Arzt dergleichen redende Zeugen ſeiner Ge-
ſchicklichkeit und Erfahrung eben ſo wohl an ſich han-
gen hatte. Zwar waren es keine Zaͤhne, an deren
Stelle aber eine große Schnur zuſammengereihter
und auserleſener Donatſchnitzer, welche er aus den
Schriften gelehrter Maͤnner herausgehoben hatte.
Jch konnte mich bey dem Anblicke dieſer koſtbaren
Pracht unmoͤglich des Lachens enthalten; zu meinem
groͤßten Ungluͤcke aber ward ich von einem dieſer witzi-
gen Adepten daruͤber entdeckt, weicher ſich durch die
andern Geiſter draͤngte, und, indem er auf mich zu-
eilte, einmal uͤber das andre rief: Halt auf! Halt
auf!
Jch ſuchte, mich unter dem Volke zu verber-
gen, er fand mich aber dennoch, und als er mich an-
gepackt hatte, ſagte er: Laſſe ſich der Herr curiren!
Der Herr hat den Staar, einen gefaͤhrlichen Staar!
Er koͤmmt nicht aus meinen Haͤnden, bis ich ihm
denſelben geſtochen habe! Halte der Herr im Guten,
oder ich brauche Gewalt! Hier half weder Bitten

noch
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[35/0035] von den abgeſchiednen Seelen. herrlichen Elixiere, durch meine vortrefflichen Pillen curirt! Nein! Zum wenigſten ſein ganzes Vater- land war es, dem er geholfen hatte, und ſo oft ſeine Pillen bey einem Patienten ſo, wie ich oben erzaͤhlt habe, durchſchlugen, ſo oft gratulirte er auch dem ganzen gemeinen Weſen. Beynahe haͤtte ich den wichtigſten Umſtand ganz mit Stillſchweigen uͤber- gangen. Ordentlicher Weiſe haben unſre Markt- ſchreyer etliche Schnuren angereihter Zaͤhne an dem Halſe hangen, welche ſie preßhaften Patienten ausgeriſſen haben, und nunmehr als Siegeszeichen herumtragen. Meine Leſer koͤnnen wohl glauben, daß unſer Arzt dergleichen redende Zeugen ſeiner Ge- ſchicklichkeit und Erfahrung eben ſo wohl an ſich han- gen hatte. Zwar waren es keine Zaͤhne, an deren Stelle aber eine große Schnur zuſammengereihter und auserleſener Donatſchnitzer, welche er aus den Schriften gelehrter Maͤnner herausgehoben hatte. Jch konnte mich bey dem Anblicke dieſer koſtbaren Pracht unmoͤglich des Lachens enthalten; zu meinem groͤßten Ungluͤcke aber ward ich von einem dieſer witzi- gen Adepten daruͤber entdeckt, weicher ſich durch die andern Geiſter draͤngte, und, indem er auf mich zu- eilte, einmal uͤber das andre rief: Halt auf! Halt auf! Jch ſuchte, mich unter dem Volke zu verber- gen, er fand mich aber dennoch, und als er mich an- gepackt hatte, ſagte er: Laſſe ſich der Herr curiren! Der Herr hat den Staar, einen gefaͤhrlichen Staar! Er koͤmmt nicht aus meinen Haͤnden, bis ich ihm denſelben geſtochen habe! Halte der Herr im Guten, oder ich brauche Gewalt! Hier half weder Bitten noch C 2

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/35>, abgerufen am 29.04.2024.