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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Ein Traum
Welt eine doppelte Berufsarbeit haben, und die Rei-
senden entweder um ein Allmosen ansprechen, oder
bestehlen. Allein ich merkte meinen Jrrthum, als
ich näher kam, und sah, daß es die wirthschaftliche
Seele des Vaters von diesem jungen Kaufmanne
war. Jch erinnerte mich, ihn in seinem Leben ge-
kannt zu haben. Er war der Reichste dieser Stadt,
und darum merkwürdig, weil er sich, mit ökonomi-
schen Händen, die Schuhe und Strümpfe selbst ge-
flickt, und es vor allen seinen Mitbürgern in der
Kunst, zu hungern, am weitesten gebracht hatte. Wohl
nimmermehr hätte er geglaubt, daß sein landübli-
cher Wucher und seine exemplarische Sparsamkeit
seinem Sohne Gelegenheit geben sollte, sich mit la-
chendem Muthe, und vollen Händen, desjenigen zu
entschütten, was er unter Sorgen und Kummer ein-
zeln zusammen gescharrt hatte. Und eben dieses war
die beständige Marter, welche seine abgeschiedne
Seele seit ihrer Trennung vom Leibe gequält hatte.
Jeder Tag gab dem Sohne eine neue Gelegenheit
zur Verschwendung, und also auch jeder Tag dieser
Seele eine neue Art von Peinigung.

Eben itzt hatte sich der Kaufmann eine Kutsche
machen lassen, welche gleich so viel kostete, als sein
Vater durch eine vorsichtige Abschwörung eines ei-
genhändig ausgestellten Wechsels sich und seinen
Nachkommen zum Besten verdient hatte. Hätte
wohl unsrer Seele irgend etwas empfindlicher seyn
können, als dieses? Wohl hundertmal versuchte
sie den Kutscher vom Sitze zu werfen, aber vergebens.
Dieser war zu körperlich, und die Seele zu ätherisch.

Sie

Ein Traum
Welt eine doppelte Berufsarbeit haben, und die Rei-
ſenden entweder um ein Allmoſen anſprechen, oder
beſtehlen. Allein ich merkte meinen Jrrthum, als
ich naͤher kam, und ſah, daß es die wirthſchaftliche
Seele des Vaters von dieſem jungen Kaufmanne
war. Jch erinnerte mich, ihn in ſeinem Leben ge-
kannt zu haben. Er war der Reichſte dieſer Stadt,
und darum merkwuͤrdig, weil er ſich, mit oͤkonomi-
ſchen Haͤnden, die Schuhe und Struͤmpfe ſelbſt ge-
flickt, und es vor allen ſeinen Mitbuͤrgern in der
Kunſt, zu hungern, am weiteſten gebracht hatte. Wohl
nimmermehr haͤtte er geglaubt, daß ſein landuͤbli-
cher Wucher und ſeine exemplariſche Sparſamkeit
ſeinem Sohne Gelegenheit geben ſollte, ſich mit la-
chendem Muthe, und vollen Haͤnden, desjenigen zu
entſchuͤtten, was er unter Sorgen und Kummer ein-
zeln zuſammen geſcharrt hatte. Und eben dieſes war
die beſtaͤndige Marter, welche ſeine abgeſchiedne
Seele ſeit ihrer Trennung vom Leibe gequaͤlt hatte.
Jeder Tag gab dem Sohne eine neue Gelegenheit
zur Verſchwendung, und alſo auch jeder Tag dieſer
Seele eine neue Art von Peinigung.

Eben itzt hatte ſich der Kaufmann eine Kutſche
machen laſſen, welche gleich ſo viel koſtete, als ſein
Vater durch eine vorſichtige Abſchwoͤrung eines ei-
genhaͤndig ausgeſtellten Wechſels ſich und ſeinen
Nachkommen zum Beſten verdient hatte. Haͤtte
wohl unſrer Seele irgend etwas empfindlicher ſeyn
koͤnnen, als dieſes? Wohl hundertmal verſuchte
ſie den Kutſcher vom Sitze zu werfen, aber vergebens.
Dieſer war zu koͤrperlich, und die Seele zu aͤtheriſch.

Sie
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[44/0044] Ein Traum Welt eine doppelte Berufsarbeit haben, und die Rei- ſenden entweder um ein Allmoſen anſprechen, oder beſtehlen. Allein ich merkte meinen Jrrthum, als ich naͤher kam, und ſah, daß es die wirthſchaftliche Seele des Vaters von dieſem jungen Kaufmanne war. Jch erinnerte mich, ihn in ſeinem Leben ge- kannt zu haben. Er war der Reichſte dieſer Stadt, und darum merkwuͤrdig, weil er ſich, mit oͤkonomi- ſchen Haͤnden, die Schuhe und Struͤmpfe ſelbſt ge- flickt, und es vor allen ſeinen Mitbuͤrgern in der Kunſt, zu hungern, am weiteſten gebracht hatte. Wohl nimmermehr haͤtte er geglaubt, daß ſein landuͤbli- cher Wucher und ſeine exemplariſche Sparſamkeit ſeinem Sohne Gelegenheit geben ſollte, ſich mit la- chendem Muthe, und vollen Haͤnden, desjenigen zu entſchuͤtten, was er unter Sorgen und Kummer ein- zeln zuſammen geſcharrt hatte. Und eben dieſes war die beſtaͤndige Marter, welche ſeine abgeſchiedne Seele ſeit ihrer Trennung vom Leibe gequaͤlt hatte. Jeder Tag gab dem Sohne eine neue Gelegenheit zur Verſchwendung, und alſo auch jeder Tag dieſer Seele eine neue Art von Peinigung. Eben itzt hatte ſich der Kaufmann eine Kutſche machen laſſen, welche gleich ſo viel koſtete, als ſein Vater durch eine vorſichtige Abſchwoͤrung eines ei- genhaͤndig ausgeſtellten Wechſels ſich und ſeinen Nachkommen zum Beſten verdient hatte. Haͤtte wohl unſrer Seele irgend etwas empfindlicher ſeyn koͤnnen, als dieſes? Wohl hundertmal verſuchte ſie den Kutſcher vom Sitze zu werfen, aber vergebens. Dieſer war zu koͤrperlich, und die Seele zu aͤtheriſch. Sie

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/44>, abgerufen am 29.04.2024.