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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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von den abgeschiednen Seelen.
Sie fiel den Pferden in den Zügel, sie brausten; wei-
ter konnte sie nichts thun.

Sie verließ also diesen unglückseligen Wagen
unter vielen Vermaledeyungen, und schwang sich auf
einmal in die Zimmer ihres Sohnes. Jch folgte
ihr aus Neugierde nach, und sahe Wunder. Was
konnte ihr erschrecklicher seyn, als der Anblick des
kostbaren Porcellans, der prächtige Aufsatz von
Gläsern, und der Glanz etlicher Spiegel, in welchem
allem leider ein todtes Capital von vielen hundert Tha-
lern steckte? Dreymal stampfte sie auf das sündliche
Canapee. Fünf und achzig Thaler! rief sie, und
seufzte. Eine vergoldete Tapete machte ihr eine
neue Beängstigung. Sie fiel auf das Gold zu, sie
suchte es abzukratzen; aber freylich vergebens. Hun-
dert Vorwürfe zeigten sich ihr, aber auch hundert
Höllenmartern. Endlich erblickte sie ein Contobuch.
Dieses schien ihr einige Erquickung zu geben. Sie
las, sie ward ruhig, aber diese Ruhe war nur von
kleiner Dauer. Dann in dem Augenblicke trat ihr
Sohn in das Zimmer, hielt ein sauberbeschriebnes
Pergament in der Hand, auf welchem ich das Wort,
Von, deutlich sehen konnte. Er gieng zur Casse,
vermuthlich in der Absicht, seine ritterlichen Verdien-
ste geltend zu machen. Welcher entsetzliche Anblick
für unsre Seele! So gar das Contobuch ließ sie lie-
gen. Sie eilte zur Casse, sie setzte sich drauf, sie
stemmte sich nach äußerstem Vermögen, deren Auf-
schließung zu verhindern, sie suchte sich des unglück-
seligen Pergaments zu bemächtigen; aber alles ver-

gebens!

von den abgeſchiednen Seelen.
Sie fiel den Pferden in den Zuͤgel, ſie brauſten; wei-
ter konnte ſie nichts thun.

Sie verließ alſo dieſen ungluͤckſeligen Wagen
unter vielen Vermaledeyungen, und ſchwang ſich auf
einmal in die Zimmer ihres Sohnes. Jch folgte
ihr aus Neugierde nach, und ſahe Wunder. Was
konnte ihr erſchrecklicher ſeyn, als der Anblick des
koſtbaren Porcellans, der praͤchtige Aufſatz von
Glaͤſern, und der Glanz etlicher Spiegel, in welchem
allem leider ein todtes Capital von vielẽ hundert Tha-
lern ſteckte? Dreymal ſtampfte ſie auf das ſuͤndliche
Canapee. Fuͤnf und achzig Thaler! rief ſie, und
ſeufzte. Eine vergoldete Tapete machte ihr eine
neue Beaͤngſtigung. Sie fiel auf das Gold zu, ſie
ſuchte es abzukratzen; aber freylich vergebens. Hun-
dert Vorwuͤrfe zeigten ſich ihr, aber auch hundert
Hoͤllenmartern. Endlich erblickte ſie ein Contobuch.
Dieſes ſchien ihr einige Erquickung zu geben. Sie
las, ſie ward ruhig, aber dieſe Ruhe war nur von
kleiner Dauer. Dann in dem Augenblicke trat ihr
Sohn in das Zimmer, hielt ein ſauberbeſchriebnes
Pergament in der Hand, auf welchem ich das Wort,
Von, deutlich ſehen konnte. Er gieng zur Caſſe,
vermuthlich in der Abſicht, ſeine ritterlichen Verdien-
ſte geltend zu machen. Welcher entſetzliche Anblick
fuͤr unſre Seele! So gar das Contobuch ließ ſie lie-
gen. Sie eilte zur Caſſe, ſie ſetzte ſich drauf, ſie
ſtemmte ſich nach aͤußerſtem Vermoͤgen, deren Auf-
ſchließung zu verhindern, ſie ſuchte ſich des ungluͤck-
ſeligen Pergaments zu bemaͤchtigen; aber alles ver-

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[45/0045] von den abgeſchiednen Seelen. Sie fiel den Pferden in den Zuͤgel, ſie brauſten; wei- ter konnte ſie nichts thun. Sie verließ alſo dieſen ungluͤckſeligen Wagen unter vielen Vermaledeyungen, und ſchwang ſich auf einmal in die Zimmer ihres Sohnes. Jch folgte ihr aus Neugierde nach, und ſahe Wunder. Was konnte ihr erſchrecklicher ſeyn, als der Anblick des koſtbaren Porcellans, der praͤchtige Aufſatz von Glaͤſern, und der Glanz etlicher Spiegel, in welchem allem leider ein todtes Capital von vielẽ hundert Tha- lern ſteckte? Dreymal ſtampfte ſie auf das ſuͤndliche Canapee. Fuͤnf und achzig Thaler! rief ſie, und ſeufzte. Eine vergoldete Tapete machte ihr eine neue Beaͤngſtigung. Sie fiel auf das Gold zu, ſie ſuchte es abzukratzen; aber freylich vergebens. Hun- dert Vorwuͤrfe zeigten ſich ihr, aber auch hundert Hoͤllenmartern. Endlich erblickte ſie ein Contobuch. Dieſes ſchien ihr einige Erquickung zu geben. Sie las, ſie ward ruhig, aber dieſe Ruhe war nur von kleiner Dauer. Dann in dem Augenblicke trat ihr Sohn in das Zimmer, hielt ein ſauberbeſchriebnes Pergament in der Hand, auf welchem ich das Wort, Von, deutlich ſehen konnte. Er gieng zur Caſſe, vermuthlich in der Abſicht, ſeine ritterlichen Verdien- ſte geltend zu machen. Welcher entſetzliche Anblick fuͤr unſre Seele! So gar das Contobuch ließ ſie lie- gen. Sie eilte zur Caſſe, ſie ſetzte ſich drauf, ſie ſtemmte ſich nach aͤußerſtem Vermoͤgen, deren Auf- ſchließung zu verhindern, ſie ſuchte ſich des ungluͤck- ſeligen Pergaments zu bemaͤchtigen; aber alles ver- gebens!

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/45>, abgerufen am 21.11.2024.