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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Ein Traum
Arme hielt er ein Buch, welches sehr gebraucht zu
seyn schien. Jch konnte aber auf dem Titel wei-
ter nichts lesen, als die Worte: Der allzeit ferti-
ge etc.
Er schien sehr tiefsinnig zu seyn, und mur-
melte etwas zwischen den Zähnen, wovon ich noch
dieses ganz eigentlich verstund: Der Ketzer hätte
mir gar wohl acht pro Cent geben können! Jch
fragte meinen Begleiter, ob er diesen verkappten
Wuchrer kenne? Er legte mir aber die Hand auf
den Mund, und warnte mich, nicht ein Wort
mehr von ihm zu reden.

Die Nachricht, daß sich die Seele des Cicero in
Gesellschaft verschiedner Griechen und Römer in
dem Garten eines nicht weit von hier gelegnen Land-
guts habe blicken lassen, machte unter allen Geistern
eine große Bewegung. Ein jeder eilte aus Neu-
gier dahin, und ich selbst war unter dieser Zahl. Der
Anblick vergnügte mich, und seine Mienen, welche et-
was großes zeigten, prägten mir alle diejenige Ehr-
furcht ein, welche man dieser patriotischen Seele

schuldig
wenn man die ganze Stelle aufs sorgfältigste so drucken
ließe, wie sie in dem Manuscripte noch zu erkennen gewe-
sen. Vielleicht erlangt man dadurch bey denjenigen Ge-
lehrten einen großen Beyfall, welche in dergleichen Art
von verstümmelten Schriften, in denen kein Verstand ist,
die größte Weisheit suchen, und ihren Namen durch deren
mühsame und wichtige Ergänzung zu verewigen geden-
ken. Man erwartet von den deutschen Grutern und
Gronoven alle billige Erkenntlichkeit für diese kritische Auf-
gabe, und will nur wünschen, daß durch deren Untersu-
chung nicht zu neuer Heftigkeit und Verbitterung in der
gelehrten Republik Anlaß gegeben werden möge!

Ein Traum
Arme hielt er ein Buch, welches ſehr gebraucht zu
ſeyn ſchien. Jch konnte aber auf dem Titel wei-
ter nichts leſen, als die Worte: Der allzeit ferti-
ge ꝛc.
Er ſchien ſehr tiefſinnig zu ſeyn, und mur-
melte etwas zwiſchen den Zaͤhnen, wovon ich noch
dieſes ganz eigentlich verſtund: Der Ketzer haͤtte
mir gar wohl acht pro Cent geben koͤnnen! Jch
fragte meinen Begleiter, ob er dieſen verkappten
Wuchrer kenne? Er legte mir aber die Hand auf
den Mund, und warnte mich, nicht ein Wort
mehr von ihm zu reden.

Die Nachricht, daß ſich die Seele des Cicero in
Geſellſchaft verſchiedner Griechen und Roͤmer in
dem Garten eines nicht weit von hier gelegnen Land-
guts habe blicken laſſen, machte unter allen Geiſtern
eine große Bewegung. Ein jeder eilte aus Neu-
gier dahin, und ich ſelbſt war unter dieſer Zahl. Der
Anblick vergnuͤgte mich, und ſeine Mienen, welche et-
was großes zeigten, praͤgten mir alle diejenige Ehr-
furcht ein, welche man dieſer patriotiſchen Seele

ſchuldig
wenn man die ganze Stelle aufs ſorgfaͤltigſte ſo drucken
ließe, wie ſie in dem Manuſcripte noch zu erkennen gewe-
ſen. Vielleicht erlangt man dadurch bey denjenigen Ge-
lehrten einen großen Beyfall, welche in dergleichen Art
von verſtuͤmmelten Schriften, in denen kein Verſtand iſt,
die groͤßte Weisheit ſuchen, und ihren Namen durch deren
muͤhſame und wichtige Ergaͤnzung zu verewigen geden-
ken. Man erwartet von den deutſchen Grutern und
Gronoven alle billige Erkenntlichkeit fuͤr dieſe kritiſche Auf-
gabe, und will nur wuͤnſchen, daß durch deren Unterſu-
chung nicht zu neuer Heftigkeit und Verbitterung in der
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[48/0048] Ein Traum Arme hielt er ein Buch, welches ſehr gebraucht zu ſeyn ſchien. Jch konnte aber auf dem Titel wei- ter nichts leſen, als die Worte: Der allzeit ferti- ge ꝛc. Er ſchien ſehr tiefſinnig zu ſeyn, und mur- melte etwas zwiſchen den Zaͤhnen, wovon ich noch dieſes ganz eigentlich verſtund: Der Ketzer haͤtte mir gar wohl acht pro Cent geben koͤnnen! Jch fragte meinen Begleiter, ob er dieſen verkappten Wuchrer kenne? Er legte mir aber die Hand auf den Mund, und warnte mich, nicht ein Wort mehr von ihm zu reden. Die Nachricht, daß ſich die Seele des Cicero in Geſellſchaft verſchiedner Griechen und Roͤmer in dem Garten eines nicht weit von hier gelegnen Land- guts habe blicken laſſen, machte unter allen Geiſtern eine große Bewegung. Ein jeder eilte aus Neu- gier dahin, und ich ſelbſt war unter dieſer Zahl. Der Anblick vergnuͤgte mich, und ſeine Mienen, welche et- was großes zeigten, praͤgten mir alle diejenige Ehr- furcht ein, welche man dieſer patriotiſchen Seele ſchuldig wenn man die ganze Stelle aufs ſorgfaͤltigſte ſo drucken ließe, wie ſie in dem Manuſcripte noch zu erkennen gewe- ſen. Vielleicht erlangt man dadurch bey denjenigen Ge- lehrten einen großen Beyfall, welche in dergleichen Art von verſtuͤmmelten Schriften, in denen kein Verſtand iſt, die groͤßte Weisheit ſuchen, und ihren Namen durch deren muͤhſame und wichtige Ergaͤnzung zu verewigen geden- ken. Man erwartet von den deutſchen Grutern und Gronoven alle billige Erkenntlichkeit fuͤr dieſe kritiſche Auf- gabe, und will nur wuͤnſchen, daß durch deren Unterſu- chung nicht zu neuer Heftigkeit und Verbitterung in der gelehrten Republik Anlaß gegeben werden moͤge!

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/48>, abgerufen am 29.04.2024.