[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.Ein Traum desto deutlicher hörte man ihren Streit, so gar, daßihr Aufführer sich umkehren, und mit drohender Faust, und einem fürchterlichen: Me Dius fidius! Friede gebieten mußte. Dieser Aufzug schien die Seele des Cicero sehr zu befremden. Er vermu- thete sich eines wichtigen Antrags, und glaubte, wie ich nachdem erfuhr, daß es vielleicht Gesandten eines auswärtigen Volks, oder so genannter Bar- baren, wären, welche sich aus Hungersnoth ge- zwungen sähen, bey dem Rathe und Volke um Brod aus Sicilien oder Aegypten anzusuchen. Er empfieng sie mit einer mitleidigen Miene; Aber wie sehr erstaunte er nicht, als der Anführer dieser Proceßion ihm eine sehr wunderliche Verbeugung aus dem Alterthume machte, welche nach Grävs Be- richte zu den Zeiten des Ennius unter den jungen Herren in Rom Mode gewesen seyn soll. Cicero hielt diesen ersten Anfall standhaft aus, und es schien, daß er den Vortrag mit einiger Ungeduld er- wartete. Dieser erfolgte endlich, nachdem der Orator dieser Gesandschaft sich unter vielen Ver- zuckungen in die gewöhnliche rhetorische Positur ge- setzt, und mit wiederholter Verbeugung ihm ein erschrecklichgroßes Buch überreicht hatte, welches viere der stärksten seiner Collegen auf ihren Schul- tern trugen, und auf dessen Rücken die Worte glänzten: OPERA OMNIA. Cicero entsetzte sich ein wenig über diese ausländische Maschine, noch aufmerksamer aber ward er, als ihn der An- führer folgendergestalt anredete: Omnino, si quid est in me ingenii, quod sentio, quam sit exi- guum
Ein Traum deſto deutlicher hoͤrte man ihren Streit, ſo gar, daßihr Auffuͤhrer ſich umkehren, und mit drohender Fauſt, und einem fuͤrchterlichen: Me Dius fidius! Friede gebieten mußte. Dieſer Aufzug ſchien die Seele des Cicero ſehr zu befremden. Er vermu- thete ſich eines wichtigen Antrags, und glaubte, wie ich nachdem erfuhr, daß es vielleicht Geſandten eines auswaͤrtigen Volks, oder ſo genannter Bar- baren, waͤren, welche ſich aus Hungersnoth ge- zwungen ſaͤhen, bey dem Rathe und Volke um Brod aus Sicilien oder Aegypten anzuſuchen. Er empfieng ſie mit einer mitleidigen Miene; Aber wie ſehr erſtaunte er nicht, als der Anfuͤhrer dieſer Proceßion ihm eine ſehr wunderliche Verbeugung aus dem Alterthume machte, welche nach Graͤvs Be- richte zu den Zeiten des Ennius unter den jungen Herren in Rom Mode geweſen ſeyn ſoll. Cicero hielt dieſen erſten Anfall ſtandhaft aus, und es ſchien, daß er den Vortrag mit einiger Ungeduld er- wartete. Dieſer erfolgte endlich, nachdem der Orator dieſer Geſandſchaft ſich unter vielen Ver- zuckungen in die gewoͤhnliche rhetoriſche Poſitur ge- ſetzt, und mit wiederholter Verbeugung ihm ein erſchrecklichgroßes Buch uͤberreicht hatte, welches viere der ſtaͤrkſten ſeiner Collegen auf ihren Schul- tern trugen, und auf deſſen Ruͤcken die Worte glaͤnzten: OPERA OMNIA. Cicero entſetzte ſich ein wenig uͤber dieſe auslaͤndiſche Maſchine, noch aufmerkſamer aber ward er, als ihn der An- fuͤhrer folgendergeſtalt anredete: Omnino, ſi quid eſt in me ingenii, quod ſentio, quam ſit exi- guum
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0050" n="50"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ein Traum</hi></fw><lb/> deſto deutlicher hoͤrte man ihren Streit, ſo gar, daß<lb/> ihr Auffuͤhrer ſich umkehren, und mit drohender<lb/> Fauſt, und einem fuͤrchterlichen: <hi rendition="#aq">Me Dius fidius!</hi><lb/> Friede gebieten mußte. Dieſer Aufzug ſchien die<lb/> Seele des Cicero ſehr zu befremden. Er vermu-<lb/> thete ſich eines wichtigen Antrags, und glaubte, wie<lb/> ich nachdem erfuhr, daß es vielleicht Geſandten<lb/> eines auswaͤrtigen Volks, oder ſo genannter Bar-<lb/> baren, waͤren, welche ſich aus Hungersnoth ge-<lb/> zwungen ſaͤhen, bey dem Rathe und Volke um<lb/> Brod aus Sicilien oder Aegypten anzuſuchen. Er<lb/> empfieng ſie mit einer mitleidigen Miene; Aber<lb/> wie ſehr erſtaunte er nicht, als der Anfuͤhrer dieſer<lb/> Proceßion ihm eine ſehr wunderliche Verbeugung<lb/> aus dem Alterthume machte, welche nach Graͤvs Be-<lb/> richte zu den Zeiten des Ennius unter den jungen<lb/> Herren in Rom Mode geweſen ſeyn ſoll. Cicero<lb/> hielt dieſen erſten Anfall ſtandhaft aus, und es<lb/> ſchien, daß er den Vortrag mit einiger Ungeduld er-<lb/> wartete. Dieſer erfolgte endlich, nachdem der<lb/> Orator dieſer Geſandſchaft ſich unter vielen Ver-<lb/> zuckungen in die gewoͤhnliche rhetoriſche Poſitur ge-<lb/> ſetzt, und mit wiederholter Verbeugung ihm ein<lb/> erſchrecklichgroßes Buch uͤberreicht hatte, welches<lb/> viere der ſtaͤrkſten ſeiner Collegen auf ihren Schul-<lb/> tern trugen, und auf deſſen Ruͤcken die Worte<lb/> glaͤnzten: <hi rendition="#aq">OPERA OMNIA.</hi> Cicero entſetzte<lb/> ſich ein wenig uͤber dieſe auslaͤndiſche Maſchine,<lb/> noch aufmerkſamer aber ward er, als ihn der An-<lb/> fuͤhrer folgendergeſtalt anredete: <hi rendition="#aq">Omnino, ſi quid<lb/> eſt in me ingenii, quod ſentio, quam ſit exi-</hi><lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">guum</hi></fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [50/0050]
Ein Traum
deſto deutlicher hoͤrte man ihren Streit, ſo gar, daß
ihr Auffuͤhrer ſich umkehren, und mit drohender
Fauſt, und einem fuͤrchterlichen: Me Dius fidius!
Friede gebieten mußte. Dieſer Aufzug ſchien die
Seele des Cicero ſehr zu befremden. Er vermu-
thete ſich eines wichtigen Antrags, und glaubte, wie
ich nachdem erfuhr, daß es vielleicht Geſandten
eines auswaͤrtigen Volks, oder ſo genannter Bar-
baren, waͤren, welche ſich aus Hungersnoth ge-
zwungen ſaͤhen, bey dem Rathe und Volke um
Brod aus Sicilien oder Aegypten anzuſuchen. Er
empfieng ſie mit einer mitleidigen Miene; Aber
wie ſehr erſtaunte er nicht, als der Anfuͤhrer dieſer
Proceßion ihm eine ſehr wunderliche Verbeugung
aus dem Alterthume machte, welche nach Graͤvs Be-
richte zu den Zeiten des Ennius unter den jungen
Herren in Rom Mode geweſen ſeyn ſoll. Cicero
hielt dieſen erſten Anfall ſtandhaft aus, und es
ſchien, daß er den Vortrag mit einiger Ungeduld er-
wartete. Dieſer erfolgte endlich, nachdem der
Orator dieſer Geſandſchaft ſich unter vielen Ver-
zuckungen in die gewoͤhnliche rhetoriſche Poſitur ge-
ſetzt, und mit wiederholter Verbeugung ihm ein
erſchrecklichgroßes Buch uͤberreicht hatte, welches
viere der ſtaͤrkſten ſeiner Collegen auf ihren Schul-
tern trugen, und auf deſſen Ruͤcken die Worte
glaͤnzten: OPERA OMNIA. Cicero entſetzte
ſich ein wenig uͤber dieſe auslaͤndiſche Maſchine,
noch aufmerkſamer aber ward er, als ihn der An-
fuͤhrer folgendergeſtalt anredete: Omnino, ſi quid
eſt in me ingenii, quod ſentio, quam ſit exi-
guum
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |