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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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von den abgeschiednen Seelen.
ihm sein Seelsorger auf des Arztes Anrathen die
Nachricht gebracht, daß er sterben müsse. Er hat
durchaus davon nichts hören wollen. Bey den er-
baulichsten und tröstlichsten Beschreibungen von
der Glückseligkeit jenes Lebens, hat er mit dem
Kopfe geschüttelt. Als aber sein Beichtvater von
ohngefähr die Worte sagt: Wie glückselig sind die,
welche zur ewigen Ruhe gelangen, und selig ent-
schlafen! so drückt er ihm die Hände, gähnt ihn an,
und stirbt.

Diese Erzählung machte, daß ich noch einige
Zeit vor dieser träumenden Seele stehen blieb. Jch
konnte sie nicht ohne Mitleid ansehen. Wie un-
glückselig, dachte ich bey mir selbst, ist so ein Mensch,
welcher in der Welt lebt, ohne im geringsten die
Pflichten zu erfüllen, die er sich und seinen Mitbür-
gern schuldig ist. Seine Trägheit verhindert ihn,
des Vergnügens zu genießen, welches ihm tausend
angenehme Gegenstände zeigen. Wäre er nur ei-
nigermaaßen aufmerksam, so würde er nicht einen
Schritt thun können, ohne die Pracht der Natur
zu bewundern, in welcher sich die Größe des allge-
meinen Schöpfers entdeckt. Er genießt sein Ver-
mögen nicht, weil er es, wenn es hoch kömmt, nur
anwendet, sich durch unordentliches Essen und
Trinken in seiner Trägheit zu erhalten. Des
edeln Vergnügens muß er entbehren, welches die-
jenigen empfinden, die Gelegenheit suchen, auch
andre glücklich, und durch eine vorsichtige Aus-
theilung ihres Vermögens mehr, als eine Nach-
welt, sich verbindlich zu machen. Sein Leben ist

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von den abgeſchiednen Seelen.
ihm ſein Seelſorger auf des Arztes Anrathen die
Nachricht gebracht, daß er ſterben muͤſſe. Er hat
durchaus davon nichts hoͤren wollen. Bey den er-
baulichſten und troͤſtlichſten Beſchreibungen von
der Gluͤckſeligkeit jenes Lebens, hat er mit dem
Kopfe geſchuͤttelt. Als aber ſein Beichtvater von
ohngefaͤhr die Worte ſagt: Wie gluͤckſelig ſind die,
welche zur ewigen Ruhe gelangen, und ſelig ent-
ſchlafen! ſo druͤckt er ihm die Haͤnde, gaͤhnt ihn an,
und ſtirbt.

Dieſe Erzaͤhlung machte, daß ich noch einige
Zeit vor dieſer traͤumenden Seele ſtehen blieb. Jch
konnte ſie nicht ohne Mitleid anſehen. Wie un-
gluͤckſelig, dachte ich bey mir ſelbſt, iſt ſo ein Menſch,
welcher in der Welt lebt, ohne im geringſten die
Pflichten zu erfuͤllen, die er ſich und ſeinen Mitbuͤr-
gern ſchuldig iſt. Seine Traͤgheit verhindert ihn,
des Vergnuͤgens zu genießen, welches ihm tauſend
angenehme Gegenſtaͤnde zeigen. Waͤre er nur ei-
nigermaaßen aufmerkſam, ſo wuͤrde er nicht einen
Schritt thun koͤnnen, ohne die Pracht der Natur
zu bewundern, in welcher ſich die Groͤße des allge-
meinen Schoͤpfers entdeckt. Er genießt ſein Ver-
moͤgen nicht, weil er es, wenn es hoch koͤmmt, nur
anwendet, ſich durch unordentliches Eſſen und
Trinken in ſeiner Traͤgheit zu erhalten. Des
edeln Vergnuͤgens muß er entbehren, welches die-
jenigen empfinden, die Gelegenheit ſuchen, auch
andre gluͤcklich, und durch eine vorſichtige Aus-
theilung ihres Vermoͤgens mehr, als eine Nach-
welt, ſich verbindlich zu machen. Sein Leben iſt

ein
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[55/0055] von den abgeſchiednen Seelen. ihm ſein Seelſorger auf des Arztes Anrathen die Nachricht gebracht, daß er ſterben muͤſſe. Er hat durchaus davon nichts hoͤren wollen. Bey den er- baulichſten und troͤſtlichſten Beſchreibungen von der Gluͤckſeligkeit jenes Lebens, hat er mit dem Kopfe geſchuͤttelt. Als aber ſein Beichtvater von ohngefaͤhr die Worte ſagt: Wie gluͤckſelig ſind die, welche zur ewigen Ruhe gelangen, und ſelig ent- ſchlafen! ſo druͤckt er ihm die Haͤnde, gaͤhnt ihn an, und ſtirbt. Dieſe Erzaͤhlung machte, daß ich noch einige Zeit vor dieſer traͤumenden Seele ſtehen blieb. Jch konnte ſie nicht ohne Mitleid anſehen. Wie un- gluͤckſelig, dachte ich bey mir ſelbſt, iſt ſo ein Menſch, welcher in der Welt lebt, ohne im geringſten die Pflichten zu erfuͤllen, die er ſich und ſeinen Mitbuͤr- gern ſchuldig iſt. Seine Traͤgheit verhindert ihn, des Vergnuͤgens zu genießen, welches ihm tauſend angenehme Gegenſtaͤnde zeigen. Waͤre er nur ei- nigermaaßen aufmerkſam, ſo wuͤrde er nicht einen Schritt thun koͤnnen, ohne die Pracht der Natur zu bewundern, in welcher ſich die Groͤße des allge- meinen Schoͤpfers entdeckt. Er genießt ſein Ver- moͤgen nicht, weil er es, wenn es hoch koͤmmt, nur anwendet, ſich durch unordentliches Eſſen und Trinken in ſeiner Traͤgheit zu erhalten. Des edeln Vergnuͤgens muß er entbehren, welches die- jenigen empfinden, die Gelegenheit ſuchen, auch andre gluͤcklich, und durch eine vorſichtige Aus- theilung ihres Vermoͤgens mehr, als eine Nach- welt, ſich verbindlich zu machen. Sein Leben iſt ein D 4

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/55>, abgerufen am 22.11.2024.