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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Ein Traum
"Jhnen schon einmal erzählen, wenn wir allein
"seyn werden. Vor dem Türken? Ach! der Blut-
"hund, der darf sich nicht breit machen! Was ich
"Jhnen sage. Das merkte ich gleich im voraus,
"ohne Flatterie. Meine Großmutter seliger - - -
"ich weis nicht, ob Sie sie werden gekannt haben.
"Es war eine kleine bucklichte Frau. Sie wohn-
"te hinten am Walle. Hören Sie, das war eine
"Frau! Sie hat mich noch aus der Taufe geho-
"ben. Es gieng bey ihrem Testamente auch mit
"Kräutern zu. Was geschehen ist, das ist gesche-
"hen. Jch habe, gottlob, auch mein Brod ge-
"habt. Jch spreche immer: Ehrlich währt am
"längsten; und mein kleiner Christel war noch da-
"zu ihr Pathe. Ja, was wollte ich denn sagen,
"ich habe es ganz drüber vergessen! Ja, der Tür-
"ke - - -" Ja, ja, der Türke, antwortete ich
voll Verdruß, ich kenne ihn wohl, aber hier läßt
es sich davon nicht gut reden. Wir sprechen ein-
ander schon weiter, itzt habe ich nicht Zeit, mich
länger aufzuhalten. Jch ließ ihn stehen, und
gieng fort.

Jndem hörte ich hinter mir ein lautes Geläch-
ter. Jch wandte mich um, und erblickte eine Seele,
welche so verhungert aussah, wie ein Goldmacher,
und so tückisch, wie ein Schatzgräber. Sie drück-
te mir sehr vertraulich die Hand, und sagte:
"Sie haben recht wohl gethan, daß Sie Sich
"den unsinnigen Schwätzer vom Halse geschafft

"haben.

Ein Traum
„Jhnen ſchon einmal erzaͤhlen, wenn wir allein
„ſeyn werden. Vor dem Tuͤrken? Ach! der Blut-
„hund, der darf ſich nicht breit machen! Was ich
„Jhnen ſage. Das merkte ich gleich im voraus,
„ohne Flatterie. Meine Großmutter ſeliger ‒ ‒ ‒
„ich weis nicht, ob Sie ſie werden gekannt haben.
„Es war eine kleine bucklichte Frau. Sie wohn-
„te hinten am Walle. Hoͤren Sie, das war eine
„Frau! Sie hat mich noch aus der Taufe geho-
„ben. Es gieng bey ihrem Teſtamente auch mit
„Kraͤutern zu. Was geſchehen iſt, das iſt geſche-
„hen. Jch habe, gottlob, auch mein Brod ge-
„habt. Jch ſpreche immer: Ehrlich waͤhrt am
„laͤngſten; und mein kleiner Chriſtel war noch da-
„zu ihr Pathe. Ja, was wollte ich denn ſagen,
„ich habe es ganz druͤber vergeſſen! Ja, der Tuͤr-
„ke ‒ ‒ ‒“ Ja, ja, der Tuͤrke, antwortete ich
voll Verdruß, ich kenne ihn wohl, aber hier laͤßt
es ſich davon nicht gut reden. Wir ſprechen ein-
ander ſchon weiter, itzt habe ich nicht Zeit, mich
laͤnger aufzuhalten. Jch ließ ihn ſtehen, und
gieng fort.

Jndem hoͤrte ich hinter mir ein lautes Gelaͤch-
ter. Jch wandte mich um, und erblickte eine Seele,
welche ſo verhungert ausſah, wie ein Goldmacher,
und ſo tuͤckiſch, wie ein Schatzgraͤber. Sie druͤck-
te mir ſehr vertraulich die Hand, und ſagte:
„Sie haben recht wohl gethan, daß Sie Sich
„den unſinnigen Schwaͤtzer vom Halſe geſchafft

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[66/0066] Ein Traum „Jhnen ſchon einmal erzaͤhlen, wenn wir allein „ſeyn werden. Vor dem Tuͤrken? Ach! der Blut- „hund, der darf ſich nicht breit machen! Was ich „Jhnen ſage. Das merkte ich gleich im voraus, „ohne Flatterie. Meine Großmutter ſeliger ‒ ‒ ‒ „ich weis nicht, ob Sie ſie werden gekannt haben. „Es war eine kleine bucklichte Frau. Sie wohn- „te hinten am Walle. Hoͤren Sie, das war eine „Frau! Sie hat mich noch aus der Taufe geho- „ben. Es gieng bey ihrem Teſtamente auch mit „Kraͤutern zu. Was geſchehen iſt, das iſt geſche- „hen. Jch habe, gottlob, auch mein Brod ge- „habt. Jch ſpreche immer: Ehrlich waͤhrt am „laͤngſten; und mein kleiner Chriſtel war noch da- „zu ihr Pathe. Ja, was wollte ich denn ſagen, „ich habe es ganz druͤber vergeſſen! Ja, der Tuͤr- „ke ‒ ‒ ‒“ Ja, ja, der Tuͤrke, antwortete ich voll Verdruß, ich kenne ihn wohl, aber hier laͤßt es ſich davon nicht gut reden. Wir ſprechen ein- ander ſchon weiter, itzt habe ich nicht Zeit, mich laͤnger aufzuhalten. Jch ließ ihn ſtehen, und gieng fort. Jndem hoͤrte ich hinter mir ein lautes Gelaͤch- ter. Jch wandte mich um, und erblickte eine Seele, welche ſo verhungert ausſah, wie ein Goldmacher, und ſo tuͤckiſch, wie ein Schatzgraͤber. Sie druͤck- te mir ſehr vertraulich die Hand, und ſagte: „Sie haben recht wohl gethan, daß Sie Sich „den unſinnigen Schwaͤtzer vom Halſe geſchafft „haben.

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/66>, abgerufen am 15.05.2024.