Wenn Jhr Advocat die Sache besser versteht, als ich: so wollte ich, daß er an meiner Stelle Richter seyn müßte. Haben Sie gerechte Sache, so wird es sich zuletzt schon ausweisen; man muß der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen, wie es sich nach Vorschrift der Gesetze gehört. Das verstehe ich, und Sie verstehn es nicht, Madame. Mit Thränen und Klagen löst man weder einen Bericht, noch ein Urthel ab. Haben Sie kein Geld, so müssen Sie keinen Proceß führen. Hat Jhnen das Jhr Advocat nicht gesagt? Warum haben Sie so viel Kinder, wenn Sie solche nicht ernähren können? Meinen Kindern giebt niemand etwas, als was ich verdiene; und was mir gehört, das lasse ich mir nicht nehmen. Mit einem Wor- te: Sie sind noch fünf Thaler Gerichtsgebühren und baaren Verlag schuldig; und bezahlen Sie die- se binnen acht Tagen nicht: so lasse ich Sie aus- pfänden, oder ich will kein ehrlicher Mann seyn. Jch schwöre nicht vergebens, das wissen Sie.
Leben Sie wohl.
"Jch habe bisher größtentheils nur von der "unmittelbaren Bestechung geredet. Es ist nö- "thig, daß ich noch ein Wort von der mittelba- "ren sage, welche einen so großen und wichtigen "Theil von der Historie unsrer Processe ausmacht.
"Es gründet sich dieses auf den alten und "wahren Satz, daß eine große Anzahl unsrer
"Rich-
Satyriſche Briefe.
Madame,
Wenn Jhr Advocat die Sache beſſer verſteht, als ich: ſo wollte ich, daß er an meiner Stelle Richter ſeyn muͤßte. Haben Sie gerechte Sache, ſo wird es ſich zuletzt ſchon ausweiſen; man muß der Gerechtigkeit ihren Lauf laſſen, wie es ſich nach Vorſchrift der Geſetze gehoͤrt. Das verſtehe ich, und Sie verſtehn es nicht, Madame. Mit Thraͤnen und Klagen loͤſt man weder einen Bericht, noch ein Urthel ab. Haben Sie kein Geld, ſo muͤſſen Sie keinen Proceß fuͤhren. Hat Jhnen das Jhr Advocat nicht geſagt? Warum haben Sie ſo viel Kinder, wenn Sie ſolche nicht ernaͤhren koͤnnen? Meinen Kindern giebt niemand etwas, als was ich verdiene; und was mir gehoͤrt, das laſſe ich mir nicht nehmen. Mit einem Wor- te: Sie ſind noch fuͤnf Thaler Gerichtsgebuͤhren und baaren Verlag ſchuldig; und bezahlen Sie die- ſe binnen acht Tagen nicht: ſo laſſe ich Sie aus- pfaͤnden, oder ich will kein ehrlicher Mann ſeyn. Jch ſchwoͤre nicht vergebens, das wiſſen Sie.
Leben Sie wohl.
„Jch habe bisher groͤßtentheils nur von der „unmittelbaren Beſtechung geredet. Es iſt noͤ- „thig, daß ich noch ein Wort von der mittelba- „ren ſage, welche einen ſo großen und wichtigen „Theil von der Hiſtorie unſrer Proceſſe ausmacht.
„Es gruͤndet ſich dieſes auf den alten und „wahren Satz, daß eine große Anzahl unſrer
„Rich-
<TEI><text><body><divn="1"><floatingText><body><pbfacs="#f0136"n="108"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Satyriſche Briefe.</hi></fw><lb/><divtype="letter"><salute><hirendition="#et"><hirendition="#fr">Madame,</hi></hi></salute><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>enn Jhr Advocat die Sache beſſer verſteht,<lb/>
als ich: ſo wollte ich, daß er an meiner<lb/>
Stelle Richter ſeyn muͤßte. Haben Sie gerechte<lb/>
Sache, ſo wird es ſich zuletzt ſchon ausweiſen;<lb/>
man muß der Gerechtigkeit ihren Lauf laſſen, wie<lb/>
es ſich nach Vorſchrift der Geſetze gehoͤrt. Das<lb/>
verſtehe ich, und Sie verſtehn es nicht, Madame.<lb/>
Mit Thraͤnen und Klagen loͤſt man weder einen<lb/>
Bericht, noch ein Urthel ab. Haben Sie kein<lb/>
Geld, ſo muͤſſen Sie keinen Proceß fuͤhren. Hat<lb/>
Jhnen das Jhr Advocat nicht geſagt? Warum<lb/>
haben Sie ſo viel Kinder, wenn Sie ſolche nicht<lb/>
ernaͤhren koͤnnen? Meinen Kindern giebt niemand<lb/>
etwas, als was ich verdiene; und was mir gehoͤrt,<lb/>
das laſſe ich mir nicht nehmen. Mit einem Wor-<lb/>
te: Sie ſind noch fuͤnf Thaler Gerichtsgebuͤhren<lb/>
und baaren Verlag ſchuldig; und bezahlen Sie die-<lb/>ſe binnen acht Tagen nicht: ſo laſſe ich Sie aus-<lb/>
pfaͤnden, oder ich will kein ehrlicher Mann ſeyn.<lb/>
Jch ſchwoͤre nicht vergebens, das wiſſen Sie.</p><lb/><closer><salute>Leben Sie wohl.</salute></closer></div></body></floatingText><lb/><p>„Jch habe bisher groͤßtentheils nur von der<lb/>„unmittelbaren Beſtechung geredet. Es iſt noͤ-<lb/>„thig, daß ich noch ein Wort von der mittelba-<lb/>„ren ſage, welche einen ſo großen und wichtigen<lb/>„Theil von der Hiſtorie unſrer Proceſſe ausmacht.</p><lb/><p>„Es gruͤndet ſich dieſes auf den alten und<lb/>„wahren Satz, daß eine große Anzahl unſrer<lb/><fwplace="bottom"type="catch">„Rich-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[108/0136]
Satyriſche Briefe.
Madame,
Wenn Jhr Advocat die Sache beſſer verſteht,
als ich: ſo wollte ich, daß er an meiner
Stelle Richter ſeyn muͤßte. Haben Sie gerechte
Sache, ſo wird es ſich zuletzt ſchon ausweiſen;
man muß der Gerechtigkeit ihren Lauf laſſen, wie
es ſich nach Vorſchrift der Geſetze gehoͤrt. Das
verſtehe ich, und Sie verſtehn es nicht, Madame.
Mit Thraͤnen und Klagen loͤſt man weder einen
Bericht, noch ein Urthel ab. Haben Sie kein
Geld, ſo muͤſſen Sie keinen Proceß fuͤhren. Hat
Jhnen das Jhr Advocat nicht geſagt? Warum
haben Sie ſo viel Kinder, wenn Sie ſolche nicht
ernaͤhren koͤnnen? Meinen Kindern giebt niemand
etwas, als was ich verdiene; und was mir gehoͤrt,
das laſſe ich mir nicht nehmen. Mit einem Wor-
te: Sie ſind noch fuͤnf Thaler Gerichtsgebuͤhren
und baaren Verlag ſchuldig; und bezahlen Sie die-
ſe binnen acht Tagen nicht: ſo laſſe ich Sie aus-
pfaͤnden, oder ich will kein ehrlicher Mann ſeyn.
Jch ſchwoͤre nicht vergebens, das wiſſen Sie.
Leben Sie wohl.
„Jch habe bisher groͤßtentheils nur von der
„unmittelbaren Beſtechung geredet. Es iſt noͤ-
„thig, daß ich noch ein Wort von der mittelba-
„ren ſage, welche einen ſo großen und wichtigen
„Theil von der Hiſtorie unſrer Proceſſe ausmacht.
„Es gruͤndet ſich dieſes auf den alten und
„wahren Satz, daß eine große Anzahl unſrer
„Rich-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/136>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.