Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Abhandlung von Sprüchwörtern.
Sklaverey. Sie starb sehr jung; Ein Unglück,
das sonst nur kluge Kinder trifft. Jch sprach ihn
einige Wochen nach ihrem Tode; Er versicherte
mich, daß er in seiner ganzen Ehe nur zween ver-
gnügte Augenblicke gehabt habe: Jn der Braut-
nacht, und bey ihrem Tode.

Valentin Pinsel, dessen Vater ein berüch-
tigter Qvaker, und die Mutter eine Betschwester
gewesen war, hatte sich in Kopf gesetzt, daß die
meisten Ehen um deßwillen unglücklich wären,
weil bey der Wahl so viel Menschliches mit unter-
laufe, wie er es nannte, oder nach unserer Art
zu reden, weil man mit zu viel Vorsicht heirathe.
Diese Vorsicht hielt er für Sünde. Er wollte
also heirathen, ohne den Himmel zu versuchen.
Diesem überließ er die Wahl. Es war an einem
Sonntage sehr früh, als er sich mit vieler An-
dacht rüstete, der Person entgegen zu gehen, die
ihm der Himmel zu seiner künftigen Braut zufüh-
ren würde. Diese sollte nach seinem Gelübde, so
er gethan hatte, das erste unverheirathete Frau-
enzimmer seyn, das ihm begegnen würde. Er blieb
an der Kirchthüre stehen, und erwartete sein Glück
mit aufgesperrtem Maule. Das erste unverhei-
rathete Frauenzimmer, so an die Kirchthüre kam,
war eine Person von etlichen und zwanzig Jahren,
welche bisher so ausgeschweift hatte, daß auch die
ungesittetsten Mannspersonen öffentlich sich ihrer
schämten. Er wußte dieses, und eben darinnen
fand er einen besondern Wink des Himmels.

Noch

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Sklaverey. Sie ſtarb ſehr jung; Ein Ungluͤck,
das ſonſt nur kluge Kinder trifft. Jch ſprach ihn
einige Wochen nach ihrem Tode; Er verſicherte
mich, daß er in ſeiner ganzen Ehe nur zween ver-
gnuͤgte Augenblicke gehabt habe: Jn der Braut-
nacht, und bey ihrem Tode.

Valentin Pinſel, deſſen Vater ein beruͤch-
tigter Qvaker, und die Mutter eine Betſchweſter
geweſen war, hatte ſich in Kopf geſetzt, daß die
meiſten Ehen um deßwillen ungluͤcklich waͤren,
weil bey der Wahl ſo viel Menſchliches mit unter-
laufe, wie er es nannte, oder nach unſerer Art
zu reden, weil man mit zu viel Vorſicht heirathe.
Dieſe Vorſicht hielt er fuͤr Suͤnde. Er wollte
alſo heirathen, ohne den Himmel zu verſuchen.
Dieſem uͤberließ er die Wahl. Es war an einem
Sonntage ſehr fruͤh, als er ſich mit vieler An-
dacht ruͤſtete, der Perſon entgegen zu gehen, die
ihm der Himmel zu ſeiner kuͤnftigen Braut zufuͤh-
ren wuͤrde. Dieſe ſollte nach ſeinem Geluͤbde, ſo
er gethan hatte, das erſte unverheirathete Frau-
enzimmer ſeyn, das ihm begegnen wuͤrde. Er blieb
an der Kirchthuͤre ſtehen, und erwartete ſein Gluͤck
mit aufgeſperrtem Maule. Das erſte unverhei-
rathete Frauenzimmer, ſo an die Kirchthuͤre kam,
war eine Perſon von etlichen und zwanzig Jahren,
welche bisher ſo ausgeſchweift hatte, daß auch die
ungeſittetſten Mannsperſonen oͤffentlich ſich ihrer
ſchaͤmten. Er wußte dieſes, und eben darinnen
fand er einen beſondern Wink des Himmels.

Noch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0261" n="239"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abhandlung von Spru&#x0364;chwo&#x0364;rtern.</hi></fw><lb/>
Sklaverey. Sie &#x017F;tarb &#x017F;ehr jung; Ein Unglu&#x0364;ck,<lb/>
das &#x017F;on&#x017F;t nur kluge Kinder trifft. Jch &#x017F;prach ihn<lb/>
einige Wochen nach ihrem Tode; Er ver&#x017F;icherte<lb/>
mich, daß er in &#x017F;einer ganzen Ehe nur zween ver-<lb/>
gnu&#x0364;gte Augenblicke gehabt habe: Jn der Braut-<lb/>
nacht, und bey ihrem Tode.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Valentin Pin&#x017F;el</hi>, de&#x017F;&#x017F;en Vater ein beru&#x0364;ch-<lb/>
tigter Qvaker, und die Mutter eine Bet&#x017F;chwe&#x017F;ter<lb/>
gewe&#x017F;en war, hatte &#x017F;ich in Kopf ge&#x017F;etzt, daß die<lb/>
mei&#x017F;ten Ehen um deßwillen unglu&#x0364;cklich wa&#x0364;ren,<lb/>
weil bey der Wahl &#x017F;o viel Men&#x017F;chliches mit unter-<lb/>
laufe, wie er es nannte, oder nach un&#x017F;erer Art<lb/>
zu reden, weil man mit zu viel Vor&#x017F;icht heirathe.<lb/>
Die&#x017F;e Vor&#x017F;icht hielt er fu&#x0364;r Su&#x0364;nde. Er wollte<lb/>
al&#x017F;o heirathen, ohne den Himmel zu ver&#x017F;uchen.<lb/>
Die&#x017F;em u&#x0364;berließ er die Wahl. Es war an einem<lb/>
Sonntage &#x017F;ehr fru&#x0364;h, als er &#x017F;ich mit vieler An-<lb/>
dacht ru&#x0364;&#x017F;tete, der Per&#x017F;on entgegen zu gehen, die<lb/>
ihm der Himmel zu &#x017F;einer ku&#x0364;nftigen Braut zufu&#x0364;h-<lb/>
ren wu&#x0364;rde. Die&#x017F;e &#x017F;ollte nach &#x017F;einem Gelu&#x0364;bde, &#x017F;o<lb/>
er gethan hatte, das er&#x017F;te unverheirathete Frau-<lb/>
enzimmer &#x017F;eyn, das ihm begegnen wu&#x0364;rde. Er blieb<lb/>
an der Kirchthu&#x0364;re &#x017F;tehen, und erwartete &#x017F;ein Glu&#x0364;ck<lb/>
mit aufge&#x017F;perrtem Maule. Das er&#x017F;te unverhei-<lb/>
rathete Frauenzimmer, &#x017F;o an die Kirchthu&#x0364;re kam,<lb/>
war eine Per&#x017F;on von etlichen und zwanzig Jahren,<lb/>
welche bisher &#x017F;o ausge&#x017F;chweift hatte, daß auch die<lb/>
unge&#x017F;ittet&#x017F;ten Mannsper&#x017F;onen o&#x0364;ffentlich &#x017F;ich ihrer<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;mten. Er wußte die&#x017F;es, und eben darinnen<lb/>
fand er einen be&#x017F;ondern Wink des Himmels.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Noch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0261] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. Sklaverey. Sie ſtarb ſehr jung; Ein Ungluͤck, das ſonſt nur kluge Kinder trifft. Jch ſprach ihn einige Wochen nach ihrem Tode; Er verſicherte mich, daß er in ſeiner ganzen Ehe nur zween ver- gnuͤgte Augenblicke gehabt habe: Jn der Braut- nacht, und bey ihrem Tode. Valentin Pinſel, deſſen Vater ein beruͤch- tigter Qvaker, und die Mutter eine Betſchweſter geweſen war, hatte ſich in Kopf geſetzt, daß die meiſten Ehen um deßwillen ungluͤcklich waͤren, weil bey der Wahl ſo viel Menſchliches mit unter- laufe, wie er es nannte, oder nach unſerer Art zu reden, weil man mit zu viel Vorſicht heirathe. Dieſe Vorſicht hielt er fuͤr Suͤnde. Er wollte alſo heirathen, ohne den Himmel zu verſuchen. Dieſem uͤberließ er die Wahl. Es war an einem Sonntage ſehr fruͤh, als er ſich mit vieler An- dacht ruͤſtete, der Perſon entgegen zu gehen, die ihm der Himmel zu ſeiner kuͤnftigen Braut zufuͤh- ren wuͤrde. Dieſe ſollte nach ſeinem Geluͤbde, ſo er gethan hatte, das erſte unverheirathete Frau- enzimmer ſeyn, das ihm begegnen wuͤrde. Er blieb an der Kirchthuͤre ſtehen, und erwartete ſein Gluͤck mit aufgeſperrtem Maule. Das erſte unverhei- rathete Frauenzimmer, ſo an die Kirchthuͤre kam, war eine Perſon von etlichen und zwanzig Jahren, welche bisher ſo ausgeſchweift hatte, daß auch die ungeſittetſten Mannsperſonen oͤffentlich ſich ihrer ſchaͤmten. Er wußte dieſes, und eben darinnen fand er einen beſondern Wink des Himmels. Noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/261
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/261>, abgerufen am 22.11.2024.