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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
sich herum wahrnahm, und diese Traurigkeit ver-
mehrte sich, wenn sie an die künftigen Folgen die-
ser Einsamkeit gedachte. Endlich meldete sich ein
junger Mensch, der sich vornahm, auf Conto zu
lieben, und den Tod ihres Vaters zu erwarten.
Er hatte kein Vermögen; das war für einen gei-
zigen Vater Ursache genug, ihm die Tochter abzu-
schlagen. Diese Schwierigkeit machte ihn nun-
mehro im ganzen Ernste verliebt. Er versicherte
seine Schöne, daß seine Liebe aufrichtig, und ver-
nünftig, und seine Absichten christlich wären. Bey
einem Frauenzimmer von einer frommen und tu-
gendhaften Erziehung, ist diese ehrbare Sprache
eben so gefährlich, als bey einem leichtsinnigen
Frauenzimmer das Geschenk eines kostbaren, und
neumodischen Putzes. Jhre Standhaftigkeit
fieng an zu wanken. Jhres Vaters Haus ward
ihr alle Tage unerträglicher, und eben um deßwil-
len fand sie ihren Freund alle Tage liebenswürdi-
ger. Eine alte Mühme, (denn die alten Muh-
men sind immer die Ehestandsapostel,) diese ihre
alte Muhme mischte sich endlich in den Roman,
und machte ihr begreiflich, daß eine Ehe zwischen
einem jungen wohlgewachsenen Menschen, und der
Tochter eines reichen Vaters, dem Himmel nicht
anders, als angenehm seyn könne. Die vernünf-
tigen Lehren ihrer verstorbenen Mutter erhielten
das gute Kind noch einige Tage zweifelhaft.
Endlich kam die gefährliche Stunde. Der ver-
doppelte Eigensinn eines ungerechten Vaters, die
Schmeicheleyen eines wohlgebildeten Freundes,

den
Q

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ſich herum wahrnahm, und dieſe Traurigkeit ver-
mehrte ſich, wenn ſie an die kuͤnftigen Folgen die-
ſer Einſamkeit gedachte. Endlich meldete ſich ein
junger Menſch, der ſich vornahm, auf Conto zu
lieben, und den Tod ihres Vaters zu erwarten.
Er hatte kein Vermoͤgen; das war fuͤr einen gei-
zigen Vater Urſache genug, ihm die Tochter abzu-
ſchlagen. Dieſe Schwierigkeit machte ihn nun-
mehro im ganzen Ernſte verliebt. Er verſicherte
ſeine Schoͤne, daß ſeine Liebe aufrichtig, und ver-
nuͤnftig, und ſeine Abſichten chriſtlich waͤren. Bey
einem Frauenzimmer von einer frommen und tu-
gendhaften Erziehung, iſt dieſe ehrbare Sprache
eben ſo gefaͤhrlich, als bey einem leichtſinnigen
Frauenzimmer das Geſchenk eines koſtbaren, und
neumodiſchen Putzes. Jhre Standhaftigkeit
fieng an zu wanken. Jhres Vaters Haus ward
ihr alle Tage unertraͤglicher, und eben um deßwil-
len fand ſie ihren Freund alle Tage liebenswuͤrdi-
ger. Eine alte Muͤhme, (denn die alten Muh-
men ſind immer die Eheſtandsapoſtel,) dieſe ihre
alte Muhme miſchte ſich endlich in den Roman,
und machte ihr begreiflich, daß eine Ehe zwiſchen
einem jungen wohlgewachſenen Menſchen, und der
Tochter eines reichen Vaters, dem Himmel nicht
anders, als angenehm ſeyn koͤnne. Die vernuͤnf-
tigen Lehren ihrer verſtorbenen Mutter erhielten
das gute Kind noch einige Tage zweifelhaft.
Endlich kam die gefaͤhrliche Stunde. Der ver-
doppelte Eigenſinn eines ungerechten Vaters, die
Schmeicheleyen eines wohlgebildeten Freundes,

den
Q
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[241/0263] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ſich herum wahrnahm, und dieſe Traurigkeit ver- mehrte ſich, wenn ſie an die kuͤnftigen Folgen die- ſer Einſamkeit gedachte. Endlich meldete ſich ein junger Menſch, der ſich vornahm, auf Conto zu lieben, und den Tod ihres Vaters zu erwarten. Er hatte kein Vermoͤgen; das war fuͤr einen gei- zigen Vater Urſache genug, ihm die Tochter abzu- ſchlagen. Dieſe Schwierigkeit machte ihn nun- mehro im ganzen Ernſte verliebt. Er verſicherte ſeine Schoͤne, daß ſeine Liebe aufrichtig, und ver- nuͤnftig, und ſeine Abſichten chriſtlich waͤren. Bey einem Frauenzimmer von einer frommen und tu- gendhaften Erziehung, iſt dieſe ehrbare Sprache eben ſo gefaͤhrlich, als bey einem leichtſinnigen Frauenzimmer das Geſchenk eines koſtbaren, und neumodiſchen Putzes. Jhre Standhaftigkeit fieng an zu wanken. Jhres Vaters Haus ward ihr alle Tage unertraͤglicher, und eben um deßwil- len fand ſie ihren Freund alle Tage liebenswuͤrdi- ger. Eine alte Muͤhme, (denn die alten Muh- men ſind immer die Eheſtandsapoſtel,) dieſe ihre alte Muhme miſchte ſich endlich in den Roman, und machte ihr begreiflich, daß eine Ehe zwiſchen einem jungen wohlgewachſenen Menſchen, und der Tochter eines reichen Vaters, dem Himmel nicht anders, als angenehm ſeyn koͤnne. Die vernuͤnf- tigen Lehren ihrer verſtorbenen Mutter erhielten das gute Kind noch einige Tage zweifelhaft. Endlich kam die gefaͤhrliche Stunde. Der ver- doppelte Eigenſinn eines ungerechten Vaters, die Schmeicheleyen eines wohlgebildeten Freundes, den Q

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/263>, abgerufen am 22.11.2024.