sind denn die alten Junggesellen nicht noch lächer- licher, da die Mannspersonen die ungerechte Frey- heit haben, nach den Frauenzimmern zu gehen, und sich eine Frau nach ihrem guten Gefallen im Lande auszulesen; die armen eingesperrten Mäd- chen aber nur hinterm Vorhange lauern dürfen, ob jemand kommen und sie suchen will? Und diesem ungeachtet ist man so barbarisch, der armen Kin- der zu spotten, wenn sie bis in ihr vierzigstes Jahr vergebens aufgelauert haben! Jch nehme mich hiermit dieser Verlaßnen an, und bekenne vor der ganzen deutschen Welt, daß über eine Jungfer, welche weder durch ihre unvorsichtige Aufführung, noch durch ihre Sprödigkeit, ihr Glück, wie es die Mannspersonen nennen, von sich gestoßen hat, welche nur vielleicht aus Mangel der Schönheit, aus Mangel des Vermögens, oder aus einem ge- wöhnlichen Eigensinne, des Schicksals bis in ihr vierzigstes Jahr einsam, und doch bey ihrer gesit- teten Aufführung ungeändert geblieben ist; daß, sage ich, über dieses Frauenzimmer nur Thoren spotten, und daß sie bey Vernünftigen unendlich mehr Hochachtung verdient, als eine Frau, welche sich in die Arme des Mannes geworfen hat, um bey ihren Ausschweifungen desto sichrer zu seyn. Jch würde zu ihrer Vertheidigung noch viel mehr anführen können, wenn ich nicht befürchten müß- te, man möchte meinen Eifer für eigennütz hal- ten, und gewisse Absichten darunter suchen, da ich ein frischer Wittwer bin. Jch will also ge- genwärtig nur so viel noch sagen, daß alte Jung-
fern
S 3
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ſind denn die alten Junggeſellen nicht noch laͤcher- licher, da die Mannsperſonen die ungerechte Frey- heit haben, nach den Frauenzimmern zu gehen, und ſich eine Frau nach ihrem guten Gefallen im Lande auszuleſen; die armen eingeſperrten Maͤd- chen aber nur hinterm Vorhange lauern duͤrfen, ob jemand kommen und ſie ſuchen will? Und dieſem ungeachtet iſt man ſo barbariſch, der armen Kin- der zu ſpotten, wenn ſie bis in ihr vierzigſtes Jahr vergebens aufgelauert haben! Jch nehme mich hiermit dieſer Verlaßnen an, und bekenne vor der ganzen deutſchen Welt, daß uͤber eine Jungfer, welche weder durch ihre unvorſichtige Auffuͤhrung, noch durch ihre Sproͤdigkeit, ihr Gluͤck, wie es die Mannsperſonen nennen, von ſich geſtoßen hat, welche nur vielleicht aus Mangel der Schoͤnheit, aus Mangel des Vermoͤgens, oder aus einem ge- woͤhnlichen Eigenſinne, des Schickſals bis in ihr vierzigſtes Jahr einſam, und doch bey ihrer geſit- teten Auffuͤhrung ungeaͤndert geblieben iſt; daß, ſage ich, uͤber dieſes Frauenzimmer nur Thoren ſpotten, und daß ſie bey Vernuͤnftigen unendlich mehr Hochachtung verdient, als eine Frau, welche ſich in die Arme des Mannes geworfen hat, um bey ihren Ausſchweifungen deſto ſichrer zu ſeyn. Jch wuͤrde zu ihrer Vertheidigung noch viel mehr anfuͤhren koͤnnen, wenn ich nicht befuͤrchten muͤß- te, man moͤchte meinen Eifer fuͤr eigennuͤtz hal- ten, und gewiſſe Abſichten darunter ſuchen, da ich ein friſcher Wittwer bin. Jch will alſo ge- genwaͤrtig nur ſo viel noch ſagen, daß alte Jung-
fern
S 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0299"n="277"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.</hi></fw><lb/>ſind denn die alten Junggeſellen nicht noch laͤcher-<lb/>
licher, da die Mannsperſonen die ungerechte Frey-<lb/>
heit haben, nach den Frauenzimmern zu gehen,<lb/>
und ſich eine Frau nach ihrem guten Gefallen im<lb/>
Lande auszuleſen; die armen eingeſperrten Maͤd-<lb/>
chen aber nur hinterm Vorhange lauern duͤrfen,<lb/>
ob jemand kommen und ſie ſuchen will? Und dieſem<lb/>
ungeachtet iſt man ſo barbariſch, der armen Kin-<lb/>
der zu ſpotten, wenn ſie bis in ihr vierzigſtes Jahr<lb/>
vergebens aufgelauert haben! Jch nehme mich<lb/>
hiermit dieſer Verlaßnen an, und bekenne vor der<lb/>
ganzen deutſchen Welt, daß uͤber eine Jungfer,<lb/>
welche weder durch ihre unvorſichtige Auffuͤhrung,<lb/>
noch durch ihre Sproͤdigkeit, ihr Gluͤck, wie es<lb/>
die Mannsperſonen nennen, von ſich geſtoßen hat,<lb/>
welche nur vielleicht aus Mangel der Schoͤnheit,<lb/>
aus Mangel des Vermoͤgens, oder aus einem ge-<lb/>
woͤhnlichen Eigenſinne, des Schickſals bis in ihr<lb/>
vierzigſtes Jahr einſam, und doch bey ihrer geſit-<lb/>
teten Auffuͤhrung ungeaͤndert geblieben iſt; daß,<lb/>ſage ich, uͤber dieſes Frauenzimmer nur Thoren<lb/>ſpotten, und daß ſie bey Vernuͤnftigen unendlich<lb/>
mehr Hochachtung verdient, als eine Frau, welche<lb/>ſich in die Arme des Mannes geworfen hat, um<lb/>
bey ihren Ausſchweifungen deſto ſichrer zu ſeyn.<lb/>
Jch wuͤrde zu ihrer Vertheidigung noch viel mehr<lb/>
anfuͤhren koͤnnen, wenn ich nicht befuͤrchten muͤß-<lb/>
te, man moͤchte meinen Eifer fuͤr eigennuͤtz hal-<lb/>
ten, und gewiſſe Abſichten darunter ſuchen, da<lb/>
ich ein friſcher Wittwer bin. Jch will alſo ge-<lb/>
genwaͤrtig nur ſo viel noch ſagen, daß alte Jung-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">S 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">fern</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[277/0299]
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ſind denn die alten Junggeſellen nicht noch laͤcher-
licher, da die Mannsperſonen die ungerechte Frey-
heit haben, nach den Frauenzimmern zu gehen,
und ſich eine Frau nach ihrem guten Gefallen im
Lande auszuleſen; die armen eingeſperrten Maͤd-
chen aber nur hinterm Vorhange lauern duͤrfen,
ob jemand kommen und ſie ſuchen will? Und dieſem
ungeachtet iſt man ſo barbariſch, der armen Kin-
der zu ſpotten, wenn ſie bis in ihr vierzigſtes Jahr
vergebens aufgelauert haben! Jch nehme mich
hiermit dieſer Verlaßnen an, und bekenne vor der
ganzen deutſchen Welt, daß uͤber eine Jungfer,
welche weder durch ihre unvorſichtige Auffuͤhrung,
noch durch ihre Sproͤdigkeit, ihr Gluͤck, wie es
die Mannsperſonen nennen, von ſich geſtoßen hat,
welche nur vielleicht aus Mangel der Schoͤnheit,
aus Mangel des Vermoͤgens, oder aus einem ge-
woͤhnlichen Eigenſinne, des Schickſals bis in ihr
vierzigſtes Jahr einſam, und doch bey ihrer geſit-
teten Auffuͤhrung ungeaͤndert geblieben iſt; daß,
ſage ich, uͤber dieſes Frauenzimmer nur Thoren
ſpotten, und daß ſie bey Vernuͤnftigen unendlich
mehr Hochachtung verdient, als eine Frau, welche
ſich in die Arme des Mannes geworfen hat, um
bey ihren Ausſchweifungen deſto ſichrer zu ſeyn.
Jch wuͤrde zu ihrer Vertheidigung noch viel mehr
anfuͤhren koͤnnen, wenn ich nicht befuͤrchten muͤß-
te, man moͤchte meinen Eifer fuͤr eigennuͤtz hal-
ten, und gewiſſe Abſichten darunter ſuchen, da
ich ein friſcher Wittwer bin. Jch will alſo ge-
genwaͤrtig nur ſo viel noch ſagen, daß alte Jung-
fern
S 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/299>, abgerufen am 23.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.