würfe machen muß, daß nur er durch die unbe- dachtsamen Erzählungen seiner jugendlichen Thor- heiten, sein Kind zur Bosheit gereizet habe, daß er selbst der Henker seines unglücklichen Soh- nes sey?
Weil eine dergleichen klägliche Erfahrung oft erst nach späten Jahren kömmt, und viele Aeltern sie nicht einmal erleben: so will ich versuchen, ob ich diesen traurigen Folgen durch meine Ge- dankensteuer vorbeugen kann.
Für eine jede Sünde ihrer Jugend, deren sie sich rühmen, erlegen sie - 5 fl. Und ist es nicht einmal wahr, daß sie diese Sünde begangen haben, wie es oft nicht wahr, und nur eine unbe- sonnene Eitelkeit ist, sich dergleichen zu rühmen; so geben sie diese Summe doppelt.
Für die schändliche Zufriedenheit, die diese alten Narren empfinden, daß sie Thoren gewesen sind, können sie weniger nicht geben, als - 1 fl. -
Wollen sie verlangen, daß ihre Kinder tugend- hafter seyn sollen, als sie selbst gewesen sind; so erlegen sie - - - - - - 2 fl. - -
Finden sie, daß ihre Kinder in ihre Fußtapfen treten, und sind noch so ungerecht, darüber zu jam- mern und mit einem albernen: Aber zu unsrer Zeit war es ganz anders! die Schuld von sich weg, und auf die verschlimmerten Zeiten zu schieben;
so
T
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
wuͤrfe machen muß, daß nur er durch die unbe- dachtſamen Erzaͤhlungen ſeiner jugendlichen Thor- heiten, ſein Kind zur Bosheit gereizet habe, daß er ſelbſt der Henker ſeines ungluͤcklichen Soh- nes ſey?
Weil eine dergleichen klaͤgliche Erfahrung oft erſt nach ſpaͤten Jahren koͤmmt, und viele Aeltern ſie nicht einmal erleben: ſo will ich verſuchen, ob ich dieſen traurigen Folgen durch meine Ge- dankenſteuer vorbeugen kann.
Fuͤr eine jede Suͤnde ihrer Jugend, deren ſie ſich ruͤhmen, erlegen ſie ‒ 5 fl. Und iſt es nicht einmal wahr, daß ſie dieſe Suͤnde begangen haben, wie es oft nicht wahr, und nur eine unbe- ſonnene Eitelkeit iſt, ſich dergleichen zu ruͤhmen; ſo geben ſie dieſe Summe doppelt.
Fuͤr die ſchaͤndliche Zufriedenheit, die dieſe alten Narren empfinden, daß ſie Thoren geweſen ſind, koͤnnen ſie weniger nicht geben, als ‒ 1 fl. ‒
Wollen ſie verlangen, daß ihre Kinder tugend- hafter ſeyn ſollen, als ſie ſelbſt geweſen ſind; ſo erlegen ſie ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 2 fl. ‒ ‒
Finden ſie, daß ihre Kinder in ihre Fußtapfen treten, und ſind noch ſo ungerecht, daruͤber zu jam- mern und mit einem albernen: Aber zu unſrer Zeit war es ganz anders! die Schuld von ſich weg, und auf die verſchlimmerten Zeiten zu ſchieben;
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
wuͤrfe machen muß, daß nur er durch die unbe-
dachtſamen Erzaͤhlungen ſeiner jugendlichen Thor-
heiten, ſein Kind zur Bosheit gereizet habe, daß
er ſelbſt der Henker ſeines ungluͤcklichen Soh-
nes ſey?
Weil eine dergleichen klaͤgliche Erfahrung oft
erſt nach ſpaͤten Jahren koͤmmt, und viele Aeltern
ſie nicht einmal erleben: ſo will ich verſuchen,
ob ich dieſen traurigen Folgen durch meine Ge-
dankenſteuer vorbeugen kann.
Fuͤr eine jede Suͤnde ihrer Jugend, deren ſie
ſich ruͤhmen, erlegen ſie ‒ 5 fl. Und iſt es
nicht einmal wahr, daß ſie dieſe Suͤnde begangen
haben, wie es oft nicht wahr, und nur eine unbe-
ſonnene Eitelkeit iſt, ſich dergleichen zu ruͤhmen;
ſo geben ſie dieſe Summe doppelt.
Fuͤr die ſchaͤndliche Zufriedenheit, die dieſe
alten Narren empfinden, daß ſie Thoren geweſen
ſind, koͤnnen ſie weniger nicht geben, als ‒ 1 fl. ‒
Wollen ſie verlangen, daß ihre Kinder tugend-
hafter ſeyn ſollen, als ſie ſelbſt geweſen ſind; ſo
erlegen ſie ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 2 fl. ‒ ‒
Finden ſie, daß ihre Kinder in ihre Fußtapfen
treten, und ſind noch ſo ungerecht, daruͤber zu jam-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/311>, abgerufen am 22.11.2024.
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