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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Erstes Buch.

Der alte König nahm sie bey der Hand, und
gieng mit ihr, und dem T' Siamma, in das
Zimmer, wo er sie also anredete: Jch sehe nun-
mehr, meine Kinder, daß die alten Drohungen
eines der mächtigsten Zauberer erfüllt sind: Aber
zu meiner Beruhigung weis ich auch dieses, daß
ich nur noch wenige Monden lebe, und mit meinem
Tode die Zauberey sich endigen wird. T' Siam-
ma,
sey großmüthig und gerecht; verstoß meine
Tochter nicht; liebe sie, und erwarte bald ein
beßres Vergnügen. Und du, meine Tochter, hier
umarmte er sie, du wirst nicht immer unglücklich
bleiben. Ertrage dein Unglück! Tugend und
Weisheit hat dir die Hand des mächtigsten Zau-
berers nicht rauben können; nur die vergängliche
Schönheit war es, die er auf einige Zeit verstö-
ren konnte. Hier stellte er seine Tochter vor den
Spiegel, damit sie die traurige Verwandlung
erfahren sollte. Sie sahe sich, sie erschrak, sie fiel
halb ohnmächtig in die Arme des Vaters zurück,
und vergoß über den Verlust ihrer Schönheit bit-
tere Thränen, denn sie war ein Frauenzimmer:
Aber sie faßte sich auch nach einigen Minuten wie-
der, denn sie war ein vernünftiges Frauenzim-
mer. Die Hand unsers Feindes, sagte sie, hat
eine Zerstörung angerichtet, die ich ohnedem eini-
ge Jahre später, vor der Zeit erwarten mußte.
Jch werde mich zu beruhigen suchen; aber, du,
Prinz, so redete sie den T' Siamma an, du bist
von deinem Versprechen befreyt. Jch kehre wie-
der mit meinem Vater zurück. Jch liebe dich zu

sehr,
Erſtes Buch.

Der alte Koͤnig nahm ſie bey der Hand, und
gieng mit ihr, und dem T’ Siamma, in das
Zimmer, wo er ſie alſo anredete: Jch ſehe nun-
mehr, meine Kinder, daß die alten Drohungen
eines der maͤchtigſten Zauberer erfuͤllt ſind: Aber
zu meiner Beruhigung weis ich auch dieſes, daß
ich nur noch wenige Monden lebe, und mit meinem
Tode die Zauberey ſich endigen wird. T’ Siam-
ma,
ſey großmuͤthig und gerecht; verſtoß meine
Tochter nicht; liebe ſie, und erwarte bald ein
beßres Vergnuͤgen. Und du, meine Tochter, hier
umarmte er ſie, du wirſt nicht immer ungluͤcklich
bleiben. Ertrage dein Ungluͤck! Tugend und
Weisheit hat dir die Hand des maͤchtigſten Zau-
berers nicht rauben koͤnnen; nur die vergaͤngliche
Schoͤnheit war es, die er auf einige Zeit verſtoͤ-
ren konnte. Hier ſtellte er ſeine Tochter vor den
Spiegel, damit ſie die traurige Verwandlung
erfahren ſollte. Sie ſahe ſich, ſie erſchrak, ſie fiel
halb ohnmaͤchtig in die Arme des Vaters zuruͤck,
und vergoß uͤber den Verluſt ihrer Schoͤnheit bit-
tere Thraͤnen, denn ſie war ein Frauenzimmer:
Aber ſie faßte ſich auch nach einigen Minuten wie-
der, denn ſie war ein vernuͤnftiges Frauenzim-
mer. Die Hand unſers Feindes, ſagte ſie, hat
eine Zerſtoͤrung angerichtet, die ich ohnedem eini-
ge Jahre ſpaͤter, vor der Zeit erwarten mußte.
Jch werde mich zu beruhigen ſuchen; aber, du,
Prinz, ſo redete ſie den T’ Siamma an, du biſt
von deinem Verſprechen befreyt. Jch kehre wie-
der mit meinem Vater zuruͤck. Jch liebe dich zu

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[479[477]/0501] Erſtes Buch. Der alte Koͤnig nahm ſie bey der Hand, und gieng mit ihr, und dem T’ Siamma, in das Zimmer, wo er ſie alſo anredete: Jch ſehe nun- mehr, meine Kinder, daß die alten Drohungen eines der maͤchtigſten Zauberer erfuͤllt ſind: Aber zu meiner Beruhigung weis ich auch dieſes, daß ich nur noch wenige Monden lebe, und mit meinem Tode die Zauberey ſich endigen wird. T’ Siam- ma, ſey großmuͤthig und gerecht; verſtoß meine Tochter nicht; liebe ſie, und erwarte bald ein beßres Vergnuͤgen. Und du, meine Tochter, hier umarmte er ſie, du wirſt nicht immer ungluͤcklich bleiben. Ertrage dein Ungluͤck! Tugend und Weisheit hat dir die Hand des maͤchtigſten Zau- berers nicht rauben koͤnnen; nur die vergaͤngliche Schoͤnheit war es, die er auf einige Zeit verſtoͤ- ren konnte. Hier ſtellte er ſeine Tochter vor den Spiegel, damit ſie die traurige Verwandlung erfahren ſollte. Sie ſahe ſich, ſie erſchrak, ſie fiel halb ohnmaͤchtig in die Arme des Vaters zuruͤck, und vergoß uͤber den Verluſt ihrer Schoͤnheit bit- tere Thraͤnen, denn ſie war ein Frauenzimmer: Aber ſie faßte ſich auch nach einigen Minuten wie- der, denn ſie war ein vernuͤnftiges Frauenzim- mer. Die Hand unſers Feindes, ſagte ſie, hat eine Zerſtoͤrung angerichtet, die ich ohnedem eini- ge Jahre ſpaͤter, vor der Zeit erwarten mußte. Jch werde mich zu beruhigen ſuchen; aber, du, Prinz, ſo redete ſie den T’ Siamma an, du biſt von deinem Verſprechen befreyt. Jch kehre wie- der mit meinem Vater zuruͤck. Jch liebe dich zu ſehr,

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 479[477]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/501>, abgerufen am 22.11.2024.