Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Abhandlung von Sprüchwörtern.
ben. Es ist unverantwortlich, die Natur in ih-
rem Laufe zu stören, oder in ihrem Werke zu mei-
stern. Sie haben wohlgestalte Kinder gezeugt,
und die wenigsten male war es ihre Absicht, sie
zu zeugen. Die Natur hat sie ohne ihre Vorsorge
so wohlgestalt hervor gebracht. Und da der Kör-
per das Vornehmste an den Menschen, wenig-
stens heut zu Tage, ist, so überlassen sie auch der
gütigen Natur lediglich die Bildung des Verstan-
des, als eines sehr zufälligen, und nicht unentbehr-
lichen Theils des Menschen. Jch kenne den Sohn
eines vornehmen Officiers. Er ist noch in seiner
zarten Kindheit von achtzehen Jahren; deßwegen
hat der gnädige Papa noch nicht so grausam seyn,
und ihn der Aufsicht der Französinn entreißen wol-
len, welche ihn noch alle Morgen anziehen und
waschen muß. Er ist ein vortrefflicher Kenner
von der Nätherey, und versteht die Schattirung
der bunten Nath besser, als irgend ein Sohn ei-
nes Officiers. Der Koch ist ein Sudler gegen
ihn. Er weis alle Gerichte zu beurtheilen, er
kocht selbst die schmackhaftesten Speisen, und un-
ter der ganzen Armee ist niemand, der die Paste-
ten so leckerhaft backen kann, als dieser junge
Herr. Wäre er der Sohn eines Unterofficiers,
oder elenden Gemeinen: so würde man ihn, nach
der Gewohnheit des bürgerlichen Pöbels, zu einer
Kenntniß des Christenthums, der nöthigsten Wis-
senschaften, und der Welt angeführt, und durch
beständige Arbeit zu seinen künftigen Diensten ab-
gehärtet haben. Aber so niederträchtig erzieht man

den
C 5

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ben. Es iſt unverantwortlich, die Natur in ih-
rem Laufe zu ſtoͤren, oder in ihrem Werke zu mei-
ſtern. Sie haben wohlgeſtalte Kinder gezeugt,
und die wenigſten male war es ihre Abſicht, ſie
zu zeugen. Die Natur hat ſie ohne ihre Vorſorge
ſo wohlgeſtalt hervor gebracht. Und da der Koͤr-
per das Vornehmſte an den Menſchen, wenig-
ſtens heut zu Tage, iſt, ſo uͤberlaſſen ſie auch der
guͤtigen Natur lediglich die Bildung des Verſtan-
des, als eines ſehr zufaͤlligen, und nicht unentbehr-
lichen Theils des Menſchen. Jch kenne den Sohn
eines vornehmen Officiers. Er iſt noch in ſeiner
zarten Kindheit von achtzehen Jahren; deßwegen
hat der gnaͤdige Papa noch nicht ſo grauſam ſeyn,
und ihn der Aufſicht der Franzoͤſinn entreißen wol-
len, welche ihn noch alle Morgen anziehen und
waſchen muß. Er iſt ein vortrefflicher Kenner
von der Naͤtherey, und verſteht die Schattirung
der bunten Nath beſſer, als irgend ein Sohn ei-
nes Officiers. Der Koch iſt ein Sudler gegen
ihn. Er weis alle Gerichte zu beurtheilen, er
kocht ſelbſt die ſchmackhafteſten Speiſen, und un-
ter der ganzen Armee iſt niemand, der die Paſte-
ten ſo leckerhaft backen kann, als dieſer junge
Herr. Waͤre er der Sohn eines Unterofficiers,
oder elenden Gemeinen: ſo wuͤrde man ihn, nach
der Gewohnheit des buͤrgerlichen Poͤbels, zu einer
Kenntniß des Chriſtenthums, der noͤthigſten Wiſ-
ſenſchaften, und der Welt angefuͤhrt, und durch
beſtaͤndige Arbeit zu ſeinen kuͤnftigen Dienſten ab-
gehaͤrtet haben. Aber ſo niedertraͤchtig erzieht man

den
C 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0063" n="41"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abhandlung von Spru&#x0364;chwo&#x0364;rtern.</hi></fw><lb/>
ben. Es i&#x017F;t unverantwortlich, die Natur in ih-<lb/>
rem Laufe zu &#x017F;to&#x0364;ren, oder in ihrem Werke zu mei-<lb/>
&#x017F;tern. Sie haben wohlge&#x017F;talte Kinder gezeugt,<lb/>
und die wenig&#x017F;ten male war es ihre Ab&#x017F;icht, &#x017F;ie<lb/>
zu zeugen. Die Natur hat &#x017F;ie ohne ihre Vor&#x017F;orge<lb/>
&#x017F;o wohlge&#x017F;talt hervor gebracht. Und da der Ko&#x0364;r-<lb/>
per das Vornehm&#x017F;te an den Men&#x017F;chen, wenig-<lb/>
&#x017F;tens heut zu Tage, i&#x017F;t, &#x017F;o u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie auch der<lb/>
gu&#x0364;tigen Natur lediglich die Bildung des Ver&#x017F;tan-<lb/>
des, als eines &#x017F;ehr zufa&#x0364;lligen, und nicht unentbehr-<lb/>
lichen Theils des Men&#x017F;chen. Jch kenne den Sohn<lb/>
eines vornehmen Officiers. Er i&#x017F;t noch in &#x017F;einer<lb/>
zarten Kindheit von achtzehen Jahren; deßwegen<lb/>
hat der gna&#x0364;dige Papa noch nicht &#x017F;o grau&#x017F;am &#x017F;eyn,<lb/>
und ihn der Auf&#x017F;icht der Franzo&#x0364;&#x017F;inn entreißen wol-<lb/>
len, welche ihn noch alle Morgen anziehen und<lb/>
wa&#x017F;chen muß. Er i&#x017F;t ein vortrefflicher Kenner<lb/>
von der Na&#x0364;therey, und ver&#x017F;teht die Schattirung<lb/>
der bunten Nath be&#x017F;&#x017F;er, als irgend ein Sohn ei-<lb/>
nes Officiers. Der Koch i&#x017F;t ein Sudler gegen<lb/>
ihn. Er weis alle Gerichte zu beurtheilen, er<lb/>
kocht &#x017F;elb&#x017F;t die &#x017F;chmackhafte&#x017F;ten Spei&#x017F;en, und un-<lb/>
ter der ganzen Armee i&#x017F;t niemand, der die Pa&#x017F;te-<lb/>
ten &#x017F;o leckerhaft backen kann, als die&#x017F;er junge<lb/>
Herr. Wa&#x0364;re er der Sohn eines Unterofficiers,<lb/>
oder elenden Gemeinen: &#x017F;o wu&#x0364;rde man ihn, nach<lb/>
der Gewohnheit des bu&#x0364;rgerlichen Po&#x0364;bels, zu einer<lb/>
Kenntniß des Chri&#x017F;tenthums, der no&#x0364;thig&#x017F;ten Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaften, und der Welt angefu&#x0364;hrt, und durch<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;ndige Arbeit zu &#x017F;einen ku&#x0364;nftigen Dien&#x017F;ten ab-<lb/>
geha&#x0364;rtet haben. Aber &#x017F;o niedertra&#x0364;chtig erzieht man<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 5</fw><fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0063] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ben. Es iſt unverantwortlich, die Natur in ih- rem Laufe zu ſtoͤren, oder in ihrem Werke zu mei- ſtern. Sie haben wohlgeſtalte Kinder gezeugt, und die wenigſten male war es ihre Abſicht, ſie zu zeugen. Die Natur hat ſie ohne ihre Vorſorge ſo wohlgeſtalt hervor gebracht. Und da der Koͤr- per das Vornehmſte an den Menſchen, wenig- ſtens heut zu Tage, iſt, ſo uͤberlaſſen ſie auch der guͤtigen Natur lediglich die Bildung des Verſtan- des, als eines ſehr zufaͤlligen, und nicht unentbehr- lichen Theils des Menſchen. Jch kenne den Sohn eines vornehmen Officiers. Er iſt noch in ſeiner zarten Kindheit von achtzehen Jahren; deßwegen hat der gnaͤdige Papa noch nicht ſo grauſam ſeyn, und ihn der Aufſicht der Franzoͤſinn entreißen wol- len, welche ihn noch alle Morgen anziehen und waſchen muß. Er iſt ein vortrefflicher Kenner von der Naͤtherey, und verſteht die Schattirung der bunten Nath beſſer, als irgend ein Sohn ei- nes Officiers. Der Koch iſt ein Sudler gegen ihn. Er weis alle Gerichte zu beurtheilen, er kocht ſelbſt die ſchmackhafteſten Speiſen, und un- ter der ganzen Armee iſt niemand, der die Paſte- ten ſo leckerhaft backen kann, als dieſer junge Herr. Waͤre er der Sohn eines Unterofficiers, oder elenden Gemeinen: ſo wuͤrde man ihn, nach der Gewohnheit des buͤrgerlichen Poͤbels, zu einer Kenntniß des Chriſtenthums, der noͤthigſten Wiſ- ſenſchaften, und der Welt angefuͤhrt, und durch beſtaͤndige Arbeit zu ſeinen kuͤnftigen Dienſten ab- gehaͤrtet haben. Aber ſo niedertraͤchtig erzieht man den C 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/63
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/63>, abgerufen am 21.11.2024.