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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Pallast Boccapaduli.

Eine andere Rücksicht sollte uns noch billiger
machen. Rembrandt und Paolo Veronese kleideten
ihre Figuren aus modernen Trödelbuden, oder mo-
dernen Kramladen; aber dieser Anzug war dem einen
zum Zauber seines Helldunklen, dem andern zur Ver-
führung durch glänzende Farben unentbehrlich. Hät-
ten sie über die Beobachtung historischer Treue jene
Vorzüge aufopfern müssen, und wahrscheinlich Nichts
für mein Vergnügen gethan; so weiß ich nicht, warum
ich über den Genuß, den sie mir einzig geben konnten,
die Entbehrung desjenigen nicht verschmerzen sollte,
der mein Vergnügen nur erhöhet, nicht einzig und
allein ausmächt.

Denn gewiß weder mechanische noch eigentlicheVerschieden-
heit des Ueb-
lichen von
mechanischer
und dichteri-
scher Wahr-
scheinlich-
keit, imglei-
chen von
dem Schick-
lichen.

dichterische Wahrscheinlichkeit, oder mahlerische Wür-
kung, hängen von der Beobachtung des Ueblichen ab:
nicht einst das Schickliche ist mit dem Ueblichen ei-
nerlei. Die mechanische Wahrscheinlichkeit beruhet
in den Bewegungen des Körpers nach den Gesetzen
der Statik, des Gleichgewichts, in den Veränderun-
gen die Licht und Schatten auf die beleuchteten Körper,
nach den Regeln der Optik, hervorbringt.

Die dichterische Wahrscheinlichkeit setzt Aeuße-
rungen der Seele durch den Körper zum Voraus, die
wir nach den Erfahrungen beurtheilen, die wir über
die Abwechselung des Ausdrucks einer theilnehmenden
Seele nach den Stuffen des Alters, nach der Ver-
schiedenheit des Geschlechts, des Standes, und der
Wichtigkeit des Gegenstandes, der sie beschäfftigt,
gemacht haben. Diese beiden Wahrscheinlichkeiten,
die in den bildenden Künsten nie getrennt seyn kön-

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Pallaſt Boccapaduli.

Eine andere Ruͤckſicht ſollte uns noch billiger
machen. Rembrandt und Paolo Veroneſe kleideten
ihre Figuren aus modernen Troͤdelbuden, oder mo-
dernen Kramladen; aber dieſer Anzug war dem einen
zum Zauber ſeines Helldunklen, dem andern zur Ver-
fuͤhrung durch glaͤnzende Farben unentbehrlich. Haͤt-
ten ſie uͤber die Beobachtung hiſtoriſcher Treue jene
Vorzuͤge aufopfern muͤſſen, und wahrſcheinlich Nichts
fuͤr mein Vergnuͤgen gethan; ſo weiß ich nicht, warum
ich uͤber den Genuß, den ſie mir einzig geben konnten,
die Entbehrung desjenigen nicht verſchmerzen ſollte,
der mein Vergnuͤgen nur erhoͤhet, nicht einzig und
allein ausmaͤcht.

Denn gewiß weder mechaniſche noch eigentlicheVerſchieden-
heit des Ueb-
lichen von
mechaniſcher
und dichteri-
ſcher Wahr-
ſcheinlich-
keit, imglei-
chen von
dem Schick-
lichen.

dichteriſche Wahrſcheinlichkeit, oder mahleriſche Wuͤr-
kung, haͤngen von der Beobachtung des Ueblichen ab:
nicht einſt das Schickliche iſt mit dem Ueblichen ei-
nerlei. Die mechaniſche Wahrſcheinlichkeit beruhet
in den Bewegungen des Koͤrpers nach den Geſetzen
der Statik, des Gleichgewichts, in den Veraͤnderun-
gen die Licht und Schatten auf die beleuchteten Koͤrper,
nach den Regeln der Optik, hervorbringt.

Die dichteriſche Wahrſcheinlichkeit ſetzt Aeuße-
rungen der Seele durch den Koͤrper zum Voraus, die
wir nach den Erfahrungen beurtheilen, die wir uͤber
die Abwechſelung des Ausdrucks einer theilnehmenden
Seele nach den Stuffen des Alters, nach der Ver-
ſchiedenheit des Geſchlechts, des Standes, und der
Wichtigkeit des Gegenſtandes, der ſie beſchaͤfftigt,
gemacht haben. Dieſe beiden Wahrſcheinlichkeiten,
die in den bildenden Kuͤnſten nie getrennt ſeyn koͤn-

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[229/0243] Pallaſt Boccapaduli. Eine andere Ruͤckſicht ſollte uns noch billiger machen. Rembrandt und Paolo Veroneſe kleideten ihre Figuren aus modernen Troͤdelbuden, oder mo- dernen Kramladen; aber dieſer Anzug war dem einen zum Zauber ſeines Helldunklen, dem andern zur Ver- fuͤhrung durch glaͤnzende Farben unentbehrlich. Haͤt- ten ſie uͤber die Beobachtung hiſtoriſcher Treue jene Vorzuͤge aufopfern muͤſſen, und wahrſcheinlich Nichts fuͤr mein Vergnuͤgen gethan; ſo weiß ich nicht, warum ich uͤber den Genuß, den ſie mir einzig geben konnten, die Entbehrung desjenigen nicht verſchmerzen ſollte, der mein Vergnuͤgen nur erhoͤhet, nicht einzig und allein ausmaͤcht. Denn gewiß weder mechaniſche noch eigentliche dichteriſche Wahrſcheinlichkeit, oder mahleriſche Wuͤr- kung, haͤngen von der Beobachtung des Ueblichen ab: nicht einſt das Schickliche iſt mit dem Ueblichen ei- nerlei. Die mechaniſche Wahrſcheinlichkeit beruhet in den Bewegungen des Koͤrpers nach den Geſetzen der Statik, des Gleichgewichts, in den Veraͤnderun- gen die Licht und Schatten auf die beleuchteten Koͤrper, nach den Regeln der Optik, hervorbringt. Verſchieden- heit des Ueb- lichen von mechaniſcher und dichteri- ſcher Wahr- ſcheinlich- keit, imglei- chen von dem Schick- lichen. Die dichteriſche Wahrſcheinlichkeit ſetzt Aeuße- rungen der Seele durch den Koͤrper zum Voraus, die wir nach den Erfahrungen beurtheilen, die wir uͤber die Abwechſelung des Ausdrucks einer theilnehmenden Seele nach den Stuffen des Alters, nach der Ver- ſchiedenheit des Geſchlechts, des Standes, und der Wichtigkeit des Gegenſtandes, der ſie beſchaͤfftigt, gemacht haben. Dieſe beiden Wahrſcheinlichkeiten, die in den bildenden Kuͤnſten nie getrennt ſeyn koͤn- nen, P 3

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/243>, abgerufen am 23.11.2024.