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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Pallast Colonna.
in der Bibliothek des Prinzen Chigi aufbewahrt
wird.

Genung, der ersteren Behauptung nach, hat
Guido Reni dieses Portrait nach der Mörderin in
dem Aufzuge gemahlt, wie sie zum Richtplatz geführt
worden, und diese Nachricht ist in Deutschland durch
Hrn. Lavaters physiognomische Fragmente besonders
ausgebreitet worden. Mir scheint sie sehr verdächtig.
Nicht zu gedenken, daß die eben angeführte Novelle
der Delinquentin am Tage ihrer Hinrichtung ein
schwarzes Gewand giebt, und daß sie hier im weis-
sen erscheint; daß zu Frescati in der Villa Mondra-
gone ein Bildniß der Cencia hängt, das, den Ab-
stand der Natur gegen das Ideal abgerechnet, mit
dem unsrigen nicht die geringste Aehnlichkeit hat: wie
lassen sich die heitere Ruhe, die reizvolle Unbefangen-
heit, die sanfte Zärtlichkeit, Hauptzüge in dem gegen-
wärtigen Kopfe, mit der Fassung der Unglücklichen
am Tage ihrer Hinrichtung reimen? Auch bei dem
höchsten Bewußtseyn von Unschuld würde doch ihr
Blick über den Tod ihres Vaters, über das Schick-
sal ihrer Mutter und ihres Bruders ernster und einge-
zogener geworden seyn. Kurz! ich glaube man geht
am sichersten, wenn man schlechtweg sagt: es ist ein
idealisirtes Portrait eines jungen Mädchens in dem
angegebenen Charakter.

So zweifelhaft wie die Bedeutung ist auch der
Nahme des Meisters. Man schreibt dies Bild dem
Guido Reni zu, aber die Behandlung ist ganz ver-
schieden von derjenigen, die wir ihm kennen. Die
Umrisse sind bis zur Ungewißheit verschmolzen, und

die

Pallaſt Colonna.
in der Bibliothek des Prinzen Chigi aufbewahrt
wird.

Genung, der erſteren Behauptung nach, hat
Guido Reni dieſes Portrait nach der Moͤrderin in
dem Aufzuge gemahlt, wie ſie zum Richtplatz gefuͤhrt
worden, und dieſe Nachricht iſt in Deutſchland durch
Hrn. Lavaters phyſiognomiſche Fragmente beſonders
ausgebreitet worden. Mir ſcheint ſie ſehr verdaͤchtig.
Nicht zu gedenken, daß die eben angefuͤhrte Novelle
der Delinquentin am Tage ihrer Hinrichtung ein
ſchwarzes Gewand giebt, und daß ſie hier im weiſ-
ſen erſcheint; daß zu Freſcati in der Villa Mondra-
gone ein Bildniß der Cencia haͤngt, das, den Ab-
ſtand der Natur gegen das Ideal abgerechnet, mit
dem unſrigen nicht die geringſte Aehnlichkeit hat: wie
laſſen ſich die heitere Ruhe, die reizvolle Unbefangen-
heit, die ſanfte Zaͤrtlichkeit, Hauptzuͤge in dem gegen-
waͤrtigen Kopfe, mit der Faſſung der Ungluͤcklichen
am Tage ihrer Hinrichtung reimen? Auch bei dem
hoͤchſten Bewußtſeyn von Unſchuld wuͤrde doch ihr
Blick uͤber den Tod ihres Vaters, uͤber das Schick-
ſal ihrer Mutter und ihres Bruders ernſter und einge-
zogener geworden ſeyn. Kurz! ich glaube man geht
am ſicherſten, wenn man ſchlechtweg ſagt: es iſt ein
idealiſirtes Portrait eines jungen Maͤdchens in dem
angegebenen Charakter.

So zweifelhaft wie die Bedeutung iſt auch der
Nahme des Meiſters. Man ſchreibt dies Bild dem
Guido Reni zu, aber die Behandlung iſt ganz ver-
ſchieden von derjenigen, die wir ihm kennen. Die
Umriſſe ſind bis zur Ungewißheit verſchmolzen, und

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[64/0078] Pallaſt Colonna. in der Bibliothek des Prinzen Chigi aufbewahrt wird. Genung, der erſteren Behauptung nach, hat Guido Reni dieſes Portrait nach der Moͤrderin in dem Aufzuge gemahlt, wie ſie zum Richtplatz gefuͤhrt worden, und dieſe Nachricht iſt in Deutſchland durch Hrn. Lavaters phyſiognomiſche Fragmente beſonders ausgebreitet worden. Mir ſcheint ſie ſehr verdaͤchtig. Nicht zu gedenken, daß die eben angefuͤhrte Novelle der Delinquentin am Tage ihrer Hinrichtung ein ſchwarzes Gewand giebt, und daß ſie hier im weiſ- ſen erſcheint; daß zu Freſcati in der Villa Mondra- gone ein Bildniß der Cencia haͤngt, das, den Ab- ſtand der Natur gegen das Ideal abgerechnet, mit dem unſrigen nicht die geringſte Aehnlichkeit hat: wie laſſen ſich die heitere Ruhe, die reizvolle Unbefangen- heit, die ſanfte Zaͤrtlichkeit, Hauptzuͤge in dem gegen- waͤrtigen Kopfe, mit der Faſſung der Ungluͤcklichen am Tage ihrer Hinrichtung reimen? Auch bei dem hoͤchſten Bewußtſeyn von Unſchuld wuͤrde doch ihr Blick uͤber den Tod ihres Vaters, uͤber das Schick- ſal ihrer Mutter und ihres Bruders ernſter und einge- zogener geworden ſeyn. Kurz! ich glaube man geht am ſicherſten, wenn man ſchlechtweg ſagt: es iſt ein idealiſirtes Portrait eines jungen Maͤdchens in dem angegebenen Charakter. So zweifelhaft wie die Bedeutung iſt auch der Nahme des Meiſters. Man ſchreibt dies Bild dem Guido Reni zu, aber die Behandlung iſt ganz ver- ſchieden von derjenigen, die wir ihm kennen. Die Umriſſe ſind bis zur Ungewißheit verſchmolzen, und die

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/78>, abgerufen am 09.11.2024.