Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch II. Regeneration des Katholicismus.
ten Contarini's und Seripando's konnte das Verdienst der
Werke nicht bestehen. Diese Ansicht rettete dasselbe. Es
war die alte Lehre der Scholastiker, daß die Seele mit
der Gnade bekleidet sich das ewige Leben verdiene 1). Der
Erzbischof von Bitonto, einer der gelehrtesten und bered-
testen dieser Väter, unterschied eine vorläufige Rechtferti-
gung, abhängig von dem Verdienst Christi, durch welche
der Gottlose von dem Stande der Verwerfung befreit werde;
und eine nachfolgende, die Erwerbung der eigentlichen Ge-
rechtigkeit, abhängig von der uns eingegossenen und inwoh-
nenden Gnade. In diesem Sinne sagte der Bischof von
Fano, der Glaube sey nur das Thor zur Rechtfertigung;
aber man dürfe nicht stehen bleiben: man müsse den gan-
zen Weg vollbringen.

So nahe diese Meinungen einander zu berühren schei-
nen, so sind sie einander doch völlig entgegengesetzt. Auch
die lutherische fordert die innere Wiedergeburt, bezeichnet
den Weg des Heiles und behauptet, daß gute Werke fol-
gen müssen; die göttliche Begnadigung aber leitet sie allein
von dem Verdienste Christi her. Das tridentinische Con-
cilium dagegen nimmt zwar auch das Verdienst Christi an,
aber die Rechtfertigung schreibt es demselben nur in sofern
zu, als es die innere Wiedergeburt, und mithin gute
Werke, auf die zuletzt alles ankommt, hervorbringt. Der
Gottlose, sagt es 2), wird gerechtfertigt, indem durch das
Verdienst des heiligsten Leidens, vermöge des h. Geistes,
die Liebe Gottes seinem Herzen eingepflanzt wird und dem-

1) Chemnitius examen concilii Tridentini I, 355.
2) Sessio VI, c. VII, X.

Buch II. Regeneration des Katholicismus.
ten Contarini’s und Seripando’s konnte das Verdienſt der
Werke nicht beſtehen. Dieſe Anſicht rettete daſſelbe. Es
war die alte Lehre der Scholaſtiker, daß die Seele mit
der Gnade bekleidet ſich das ewige Leben verdiene 1). Der
Erzbiſchof von Bitonto, einer der gelehrteſten und bered-
teſten dieſer Vaͤter, unterſchied eine vorlaͤufige Rechtferti-
gung, abhaͤngig von dem Verdienſt Chriſti, durch welche
der Gottloſe von dem Stande der Verwerfung befreit werde;
und eine nachfolgende, die Erwerbung der eigentlichen Ge-
rechtigkeit, abhaͤngig von der uns eingegoſſenen und inwoh-
nenden Gnade. In dieſem Sinne ſagte der Biſchof von
Fano, der Glaube ſey nur das Thor zur Rechtfertigung;
aber man duͤrfe nicht ſtehen bleiben: man muͤſſe den gan-
zen Weg vollbringen.

So nahe dieſe Meinungen einander zu beruͤhren ſchei-
nen, ſo ſind ſie einander doch voͤllig entgegengeſetzt. Auch
die lutheriſche fordert die innere Wiedergeburt, bezeichnet
den Weg des Heiles und behauptet, daß gute Werke fol-
gen muͤſſen; die goͤttliche Begnadigung aber leitet ſie allein
von dem Verdienſte Chriſti her. Das tridentiniſche Con-
cilium dagegen nimmt zwar auch das Verdienſt Chriſti an,
aber die Rechtfertigung ſchreibt es demſelben nur in ſofern
zu, als es die innere Wiedergeburt, und mithin gute
Werke, auf die zuletzt alles ankommt, hervorbringt. Der
Gottloſe, ſagt es 2), wird gerechtfertigt, indem durch das
Verdienſt des heiligſten Leidens, vermoͤge des h. Geiſtes,
die Liebe Gottes ſeinem Herzen eingepflanzt wird und dem-

1) Chemnitius examen concilii Tridentini I, 355.
2) Sessio VI, c. VII, X.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0228" n="202"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Buch</hi><hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#g">Regeneration des Katholicismus</hi>.</fw><lb/>
ten Contarini&#x2019;s und Seripando&#x2019;s konnte das Verdien&#x017F;t der<lb/>
Werke nicht be&#x017F;tehen. Die&#x017F;e An&#x017F;icht rettete da&#x017F;&#x017F;elbe. Es<lb/>
war die alte Lehre der Schola&#x017F;tiker, daß die Seele mit<lb/>
der Gnade bekleidet &#x017F;ich das ewige Leben verdiene <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Chemnitius examen concilii Tridentini I,</hi> 355.</note>. Der<lb/>
Erzbi&#x017F;chof von Bitonto, einer der gelehrte&#x017F;ten und bered-<lb/>
te&#x017F;ten die&#x017F;er Va&#x0364;ter, unter&#x017F;chied eine vorla&#x0364;ufige Rechtferti-<lb/>
gung, abha&#x0364;ngig von dem Verdien&#x017F;t Chri&#x017F;ti, durch welche<lb/>
der Gottlo&#x017F;e von dem Stande der Verwerfung befreit werde;<lb/>
und eine nachfolgende, die Erwerbung der eigentlichen Ge-<lb/>
rechtigkeit, abha&#x0364;ngig von der uns eingego&#x017F;&#x017F;enen und inwoh-<lb/>
nenden Gnade. In die&#x017F;em Sinne &#x017F;agte der Bi&#x017F;chof von<lb/>
Fano, der Glaube &#x017F;ey nur das Thor zur Rechtfertigung;<lb/>
aber man du&#x0364;rfe nicht &#x017F;tehen bleiben: man mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e den gan-<lb/>
zen Weg vollbringen.</p><lb/>
          <p>So nahe die&#x017F;e Meinungen einander zu beru&#x0364;hren &#x017F;chei-<lb/>
nen, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie einander doch vo&#x0364;llig entgegenge&#x017F;etzt. Auch<lb/>
die lutheri&#x017F;che fordert die innere Wiedergeburt, bezeichnet<lb/>
den Weg des Heiles und behauptet, daß gute Werke fol-<lb/>
gen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; die go&#x0364;ttliche Begnadigung aber leitet &#x017F;ie allein<lb/>
von dem Verdien&#x017F;te Chri&#x017F;ti her. Das tridentini&#x017F;che Con-<lb/>
cilium dagegen nimmt zwar auch das Verdien&#x017F;t Chri&#x017F;ti an,<lb/>
aber die Rechtfertigung &#x017F;chreibt es dem&#x017F;elben nur in &#x017F;ofern<lb/>
zu, als es die innere Wiedergeburt, und mithin gute<lb/>
Werke, auf die zuletzt alles ankommt, hervorbringt. Der<lb/>
Gottlo&#x017F;e, &#x017F;agt es <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Sessio VI, c. VII, X.</hi></note>, wird gerechtfertigt, indem durch das<lb/>
Verdien&#x017F;t des heilig&#x017F;ten Leidens, vermo&#x0364;ge des h. Gei&#x017F;tes,<lb/>
die Liebe Gottes &#x017F;einem Herzen eingepflanzt wird und dem-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0228] Buch II. Regeneration des Katholicismus. ten Contarini’s und Seripando’s konnte das Verdienſt der Werke nicht beſtehen. Dieſe Anſicht rettete daſſelbe. Es war die alte Lehre der Scholaſtiker, daß die Seele mit der Gnade bekleidet ſich das ewige Leben verdiene 1). Der Erzbiſchof von Bitonto, einer der gelehrteſten und bered- teſten dieſer Vaͤter, unterſchied eine vorlaͤufige Rechtferti- gung, abhaͤngig von dem Verdienſt Chriſti, durch welche der Gottloſe von dem Stande der Verwerfung befreit werde; und eine nachfolgende, die Erwerbung der eigentlichen Ge- rechtigkeit, abhaͤngig von der uns eingegoſſenen und inwoh- nenden Gnade. In dieſem Sinne ſagte der Biſchof von Fano, der Glaube ſey nur das Thor zur Rechtfertigung; aber man duͤrfe nicht ſtehen bleiben: man muͤſſe den gan- zen Weg vollbringen. So nahe dieſe Meinungen einander zu beruͤhren ſchei- nen, ſo ſind ſie einander doch voͤllig entgegengeſetzt. Auch die lutheriſche fordert die innere Wiedergeburt, bezeichnet den Weg des Heiles und behauptet, daß gute Werke fol- gen muͤſſen; die goͤttliche Begnadigung aber leitet ſie allein von dem Verdienſte Chriſti her. Das tridentiniſche Con- cilium dagegen nimmt zwar auch das Verdienſt Chriſti an, aber die Rechtfertigung ſchreibt es demſelben nur in ſofern zu, als es die innere Wiedergeburt, und mithin gute Werke, auf die zuletzt alles ankommt, hervorbringt. Der Gottloſe, ſagt es 2), wird gerechtfertigt, indem durch das Verdienſt des heiligſten Leidens, vermoͤge des h. Geiſtes, die Liebe Gottes ſeinem Herzen eingepflanzt wird und dem- 1) Chemnitius examen concilii Tridentini I, 355. 2) Sessio VI, c. VII, X.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/228
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/228>, abgerufen am 21.11.2024.