Reichstage zu Augsburg 1510, zu Trier und Cölln 1512.
Ich will, indem ich weiter gehe, das Geständniß nicht zurückhalten, daß meine Theilnahme an der Entwickelung der Reichsverfassung mitten in dem Studium an dieser Stelle abzunehmen anfängt.
Daß es in einem so wichtigen Augenblick, wo die er- wünschteste Eroberung angeboten ward, deren Besitz aller der Lasten, die man höchst ungern trug, überhoben, und ein gemeinschaftliches Interesse gesammter Stände consti- tuirt hätte, doch zu keiner Vereinbarung kam, zeigt eine in der Sache liegende Unmöglichkeit an, mit allen diesen Bestrebungen zum Ziel zu gelangen.
Obwohl der Kaiser an der Gründung nationaler Ein- richtungen keinesweges den selbstthätigen, schöpferischen An- theil nahm, den man ihm wohl zugeschrieben hat, so be- wies er doch viel Sinn für dieselben: er hatte einen ho- hen Begriff von der Einheit und Würde des Reiches: zu Zeiten unterwarf er sich Verfassungsformen, die ihn be- schränken mußten. Eben so gab es wohl niemals Stände, welche von der Nothwendigkeit zusammenhaltende Institu- tionen zu gründen so durchdrungen, dazu so bereit gewe- sen wären, wie die damaligen. Allein diese beiden Kräfte konnten den Punct nicht finden, in welchem sie überein- gestimmt, ihre Tendenzen verschmolzen hätten.
Die Stände sahen in sich selber, in ihrer Vereinigung auch die Einheit des Reiches. Sie hatten ein ständisches Re- giment im Sinn, wie es wohl schon in einzelnen Landschaften
Erſtes Buch.
Reichstage zu Augsburg 1510, zu Trier und Cölln 1512.
Ich will, indem ich weiter gehe, das Geſtändniß nicht zurückhalten, daß meine Theilnahme an der Entwickelung der Reichsverfaſſung mitten in dem Studium an dieſer Stelle abzunehmen anfängt.
Daß es in einem ſo wichtigen Augenblick, wo die er- wünſchteſte Eroberung angeboten ward, deren Beſitz aller der Laſten, die man höchſt ungern trug, überhoben, und ein gemeinſchaftliches Intereſſe geſammter Stände conſti- tuirt hätte, doch zu keiner Vereinbarung kam, zeigt eine in der Sache liegende Unmöglichkeit an, mit allen dieſen Beſtrebungen zum Ziel zu gelangen.
Obwohl der Kaiſer an der Gründung nationaler Ein- richtungen keinesweges den ſelbſtthätigen, ſchöpferiſchen An- theil nahm, den man ihm wohl zugeſchrieben hat, ſo be- wies er doch viel Sinn für dieſelben: er hatte einen ho- hen Begriff von der Einheit und Würde des Reiches: zu Zeiten unterwarf er ſich Verfaſſungsformen, die ihn be- ſchränken mußten. Eben ſo gab es wohl niemals Stände, welche von der Nothwendigkeit zuſammenhaltende Inſtitu- tionen zu gründen ſo durchdrungen, dazu ſo bereit gewe- ſen wären, wie die damaligen. Allein dieſe beiden Kräfte konnten den Punct nicht finden, in welchem ſie überein- geſtimmt, ihre Tendenzen verſchmolzen hätten.
Die Stände ſahen in ſich ſelber, in ihrer Vereinigung auch die Einheit des Reiches. Sie hatten ein ſtändiſches Re- giment im Sinn, wie es wohl ſchon in einzelnen Landſchaften
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Erſtes Buch.
Reichstage zu Augsburg 1510, zu Trier und
Cölln 1512.
Ich will, indem ich weiter gehe, das Geſtändniß nicht
zurückhalten, daß meine Theilnahme an der Entwickelung
der Reichsverfaſſung mitten in dem Studium an dieſer
Stelle abzunehmen anfängt.
Daß es in einem ſo wichtigen Augenblick, wo die er-
wünſchteſte Eroberung angeboten ward, deren Beſitz aller
der Laſten, die man höchſt ungern trug, überhoben, und
ein gemeinſchaftliches Intereſſe geſammter Stände conſti-
tuirt hätte, doch zu keiner Vereinbarung kam, zeigt eine
in der Sache liegende Unmöglichkeit an, mit allen dieſen
Beſtrebungen zum Ziel zu gelangen.
Obwohl der Kaiſer an der Gründung nationaler Ein-
richtungen keinesweges den ſelbſtthätigen, ſchöpferiſchen An-
theil nahm, den man ihm wohl zugeſchrieben hat, ſo be-
wies er doch viel Sinn für dieſelben: er hatte einen ho-
hen Begriff von der Einheit und Würde des Reiches: zu
Zeiten unterwarf er ſich Verfaſſungsformen, die ihn be-
ſchränken mußten. Eben ſo gab es wohl niemals Stände,
welche von der Nothwendigkeit zuſammenhaltende Inſtitu-
tionen zu gründen ſo durchdrungen, dazu ſo bereit gewe-
ſen wären, wie die damaligen. Allein dieſe beiden Kräfte
konnten den Punct nicht finden, in welchem ſie überein-
geſtimmt, ihre Tendenzen verſchmolzen hätten.
Die Stände ſahen in ſich ſelber, in ihrer Vereinigung
auch die Einheit des Reiches. Sie hatten ein ſtändiſches Re-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/208>, abgerufen am 21.11.2024.
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