Daher kommt es eben, daß die kirchliche Geschichte nicht ohne die politische, diese nicht ohne jene zu verstehn ist. Erst die Combination von beiden läßt die eine und die andre in ihrem wahren Lichte erscheinen und vermag vielleicht zur Ahndung des tieferen Lebens zu führen, aus dem sie beide hervorgehn.
Ist das nun bei allen Nationen der Fall, so liegt es doch besonders bei der deutschen am Tage, welche sich wohl von allen am anhaltendsten und selbständigsten mit kirchlichen und religiösen Dingen beschäftigt hat. Die Er- eignisse eines Jahrtausends gehen in den Gegensätzen zwi- schen Kaiserthum und Papstthum, zwischen Katholicismus und Protestantismus auf; wir in unsern Tagen stehen mitten in beiden.
Ich habe die Absicht, die Geschichte einer Epoche zu erzählen, in welcher die religiös-politische Lebensthätig- keit der deutschen Nation in ihren kraftvollsten und pro- ductivsten Trieben stand. Ich verberge mir nicht die ganze Schwierigkeit dieses Unternehmens, doch will ich mich daran wagen, es so weit bringen, als Gott mir verleihen wird. Ich versuche es zunächst, mir den Weg durch ei- nen Rückblick auf die früheren Zeiten zu bahnen.
Einleitung.
Daher kommt es eben, daß die kirchliche Geſchichte nicht ohne die politiſche, dieſe nicht ohne jene zu verſtehn iſt. Erſt die Combination von beiden läßt die eine und die andre in ihrem wahren Lichte erſcheinen und vermag vielleicht zur Ahndung des tieferen Lebens zu führen, aus dem ſie beide hervorgehn.
Iſt das nun bei allen Nationen der Fall, ſo liegt es doch beſonders bei der deutſchen am Tage, welche ſich wohl von allen am anhaltendſten und ſelbſtändigſten mit kirchlichen und religiöſen Dingen beſchäftigt hat. Die Er- eigniſſe eines Jahrtauſends gehen in den Gegenſätzen zwi- ſchen Kaiſerthum und Papſtthum, zwiſchen Katholicismus und Proteſtantismus auf; wir in unſern Tagen ſtehen mitten in beiden.
Ich habe die Abſicht, die Geſchichte einer Epoche zu erzählen, in welcher die religiös-politiſche Lebensthätig- keit der deutſchen Nation in ihren kraftvollſten und pro- ductivſten Trieben ſtand. Ich verberge mir nicht die ganze Schwierigkeit dieſes Unternehmens, doch will ich mich daran wagen, es ſo weit bringen, als Gott mir verleihen wird. Ich verſuche es zunächſt, mir den Weg durch ei- nen Rückblick auf die früheren Zeiten zu bahnen.
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Einleitung.
Daher kommt es eben, daß die kirchliche Geſchichte
nicht ohne die politiſche, dieſe nicht ohne jene zu verſtehn
iſt. Erſt die Combination von beiden läßt die eine und
die andre in ihrem wahren Lichte erſcheinen und vermag
vielleicht zur Ahndung des tieferen Lebens zu führen, aus
dem ſie beide hervorgehn.
Iſt das nun bei allen Nationen der Fall, ſo liegt
es doch beſonders bei der deutſchen am Tage, welche ſich
wohl von allen am anhaltendſten und ſelbſtändigſten mit
kirchlichen und religiöſen Dingen beſchäftigt hat. Die Er-
eigniſſe eines Jahrtauſends gehen in den Gegenſätzen zwi-
ſchen Kaiſerthum und Papſtthum, zwiſchen Katholicismus
und Proteſtantismus auf; wir in unſern Tagen ſtehen
mitten in beiden.
Ich habe die Abſicht, die Geſchichte einer Epoche
zu erzählen, in welcher die religiös-politiſche Lebensthätig-
keit der deutſchen Nation in ihren kraftvollſten und pro-
ductivſten Trieben ſtand. Ich verberge mir nicht die ganze
Schwierigkeit dieſes Unternehmens, doch will ich mich
daran wagen, es ſo weit bringen, als Gott mir verleihen
wird. Ich verſuche es zunächſt, mir den Weg durch ei-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/24>, abgerufen am 21.11.2024.
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