Widerruf zu bringen. Sie kamen überein, daß die Sache einem deutschen Bischof übertragen und indeß beiden Thei- len Stillschweigen auferlegt werden solle. So, meinte Lu- ther, werde sie sich verbluten. 1 Nicht ohne Abschiedskuß schieden sie von einander.
Da ist nun die Erklärung sehr merkwürdig, welche Luther in Folge dieses Gesprächs kurz hierauf ausgehn ließ. Er berührt darin alle Streitfragen des Augenblicks. Ohne die freie Haltung aufzugeben, die er angenommen hat, zeigt er doch, daß er sich noch innerhalb der Grenzen der rö- mischen Kirche befindet. Z. B. will er, daß man die Hei- ligen mehr um geistlicher als leiblicher Güter willen an- rufe, aber er leugnet nicht, daß Gott bei ihren Gräbern Wunder thue; Fegfeuer und Ablaß erkennt er in einem gewissen Sinne noch an; er wünscht eine Milderung der Kirchen-Gebote, doch meint er, daß nur ein Concilium sie anordnen könne; wiewohl er das Heil in der Furcht Gottes und in der Gesinnung findet, so verwirft er doch die guten Werke noch nicht völlig. Man sieht er geht in allem von dem Äußerlichen auf das Innere zurück: aber sehr gemäßigt; auch die Äußerlichkeiten sucht er noch zu erhalten. In demselben Sinne spricht er sich auch über die Kirche aus. Er sieht ihr Wesen in "der inwendigen Einigkeit und Liebe;" aber darum verwirft er doch ihre Verfassung nicht: er erkennt die Hoheit der römischen Kirche an, "wo S. Peter und Paul, sechs und vierzig Päpste, Hun- derttausende von Märtyrern ihr Blut vergossen, Hölle und
1 "In ir selbs vorgehn." L. an den Churfürsten bei de Wette I, p. 218.
Miltitz.
Widerruf zu bringen. Sie kamen überein, daß die Sache einem deutſchen Biſchof übertragen und indeß beiden Thei- len Stillſchweigen auferlegt werden ſolle. So, meinte Lu- ther, werde ſie ſich verbluten. 1 Nicht ohne Abſchiedskuß ſchieden ſie von einander.
Da iſt nun die Erklärung ſehr merkwürdig, welche Luther in Folge dieſes Geſprächs kurz hierauf ausgehn ließ. Er berührt darin alle Streitfragen des Augenblicks. Ohne die freie Haltung aufzugeben, die er angenommen hat, zeigt er doch, daß er ſich noch innerhalb der Grenzen der rö- miſchen Kirche befindet. Z. B. will er, daß man die Hei- ligen mehr um geiſtlicher als leiblicher Güter willen an- rufe, aber er leugnet nicht, daß Gott bei ihren Gräbern Wunder thue; Fegfeuer und Ablaß erkennt er in einem gewiſſen Sinne noch an; er wünſcht eine Milderung der Kirchen-Gebote, doch meint er, daß nur ein Concilium ſie anordnen könne; wiewohl er das Heil in der Furcht Gottes und in der Geſinnung findet, ſo verwirft er doch die guten Werke noch nicht völlig. Man ſieht er geht in allem von dem Äußerlichen auf das Innere zurück: aber ſehr gemäßigt; auch die Äußerlichkeiten ſucht er noch zu erhalten. In demſelben Sinne ſpricht er ſich auch über die Kirche aus. Er ſieht ihr Weſen in „der inwendigen Einigkeit und Liebe;“ aber darum verwirft er doch ihre Verfaſſung nicht: er erkennt die Hoheit der römiſchen Kirche an, „wo S. Peter und Paul, ſechs und vierzig Päpſte, Hun- derttauſende von Märtyrern ihr Blut vergoſſen, Hölle und
1 „In ir ſelbs vorgehn.“ L. an den Churfuͤrſten bei de Wette I, p. 218.
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Miltitz.
Widerruf zu bringen. Sie kamen überein, daß die Sache
einem deutſchen Biſchof übertragen und indeß beiden Thei-
len Stillſchweigen auferlegt werden ſolle. So, meinte Lu-
ther, werde ſie ſich verbluten. 1 Nicht ohne Abſchiedskuß
ſchieden ſie von einander.
Da iſt nun die Erklärung ſehr merkwürdig, welche
Luther in Folge dieſes Geſprächs kurz hierauf ausgehn ließ.
Er berührt darin alle Streitfragen des Augenblicks. Ohne
die freie Haltung aufzugeben, die er angenommen hat, zeigt
er doch, daß er ſich noch innerhalb der Grenzen der rö-
miſchen Kirche befindet. Z. B. will er, daß man die Hei-
ligen mehr um geiſtlicher als leiblicher Güter willen an-
rufe, aber er leugnet nicht, daß Gott bei ihren Gräbern
Wunder thue; Fegfeuer und Ablaß erkennt er in einem
gewiſſen Sinne noch an; er wünſcht eine Milderung der
Kirchen-Gebote, doch meint er, daß nur ein Concilium
ſie anordnen könne; wiewohl er das Heil in der Furcht
Gottes und in der Geſinnung findet, ſo verwirft er doch
die guten Werke noch nicht völlig. Man ſieht er geht in
allem von dem Äußerlichen auf das Innere zurück: aber
ſehr gemäßigt; auch die Äußerlichkeiten ſucht er noch zu
erhalten. In demſelben Sinne ſpricht er ſich auch über
die Kirche aus. Er ſieht ihr Weſen in „der inwendigen
Einigkeit und Liebe;“ aber darum verwirft er doch ihre
Verfaſſung nicht: er erkennt die Hoheit der römiſchen Kirche
an, „wo S. Peter und Paul, ſechs und vierzig Päpſte, Hun-
derttauſende von Märtyrern ihr Blut vergoſſen, Hölle und
1 „In ir ſelbs vorgehn.“ L. an den Churfuͤrſten bei de Wette
I, p. 218.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/407>, abgerufen am 22.11.2024.
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