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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Drittes Capitel.
wortung immer sehr zweifelhaft gewesen, und von der doch
das ganze System der Kirche und des Staates abhieng,
welche einmal angeregt, nothwendig die allgemeine Auf-
merksamkeit beschäftigen mußte: einen Gegner wagte er auf-
zureizen, der keine Zurückhaltung kannte, seine Überzeugung
aufs äußerste zu vertheidigen pflegte, und schon die Stimme
der Nation für sich hatte. In Beziehung auf eine wenig
bemerkte frühere Behauptung Luthers stellte Eck den Satz
auf, daß der Primat des römischen Papstes sich von
Christo selbst, und von den Zeiten Petri herschreibe, nicht
wie der Gegner angedeutet, von den Zeiten Constantins
und Silvesters. Es zeigte sich sogleich welche Folgen sich
davon erwarten ließen. Luther, der erst jetzt die Urkunden
des päpstlichen Rechtes, das Decret zu studiren angefan-
gen, und sich dabei oft in seinen christlichen Überzeugungen
verletzt gefühlt hatte, antwortete mit einem noch viel küh-
neren Streitsatz, daß nemlich der römische Primat erst durch
die Decrete der spätern Päpste in den vier letzten Jahr-
hunderten (er mochte meinen: seit Gregor VII) festge-
stellt worden sey, der frühere Gebrauch der Kirche aber
nichts davon wisse. 1

Man darf sich nicht wundern, wenn die kirchlichen
Gewalten in Sachsen, z. B. der Bischof von Merseburg,
und selbst die Theologen der Universität nicht eben ein gro-
ßes Gefallen daran hatten, daß eine Disputation dieses
Inhaltes, wie die Parteien endlich übereingekommen wa-

1 Contra novos et veteres errores defendet D. Martinus
Lutherus has sequentes positiones in studio Lipsensi.
Es ist
der dreizehnte Satz Opp. lat. Jen. I, 221.

Zweites Buch. Drittes Capitel.
wortung immer ſehr zweifelhaft geweſen, und von der doch
das ganze Syſtem der Kirche und des Staates abhieng,
welche einmal angeregt, nothwendig die allgemeine Auf-
merkſamkeit beſchäftigen mußte: einen Gegner wagte er auf-
zureizen, der keine Zurückhaltung kannte, ſeine Überzeugung
aufs äußerſte zu vertheidigen pflegte, und ſchon die Stimme
der Nation für ſich hatte. In Beziehung auf eine wenig
bemerkte frühere Behauptung Luthers ſtellte Eck den Satz
auf, daß der Primat des römiſchen Papſtes ſich von
Chriſto ſelbſt, und von den Zeiten Petri herſchreibe, nicht
wie der Gegner angedeutet, von den Zeiten Conſtantins
und Silveſters. Es zeigte ſich ſogleich welche Folgen ſich
davon erwarten ließen. Luther, der erſt jetzt die Urkunden
des päpſtlichen Rechtes, das Decret zu ſtudiren angefan-
gen, und ſich dabei oft in ſeinen chriſtlichen Überzeugungen
verletzt gefühlt hatte, antwortete mit einem noch viel küh-
neren Streitſatz, daß nemlich der römiſche Primat erſt durch
die Decrete der ſpätern Päpſte in den vier letzten Jahr-
hunderten (er mochte meinen: ſeit Gregor VII) feſtge-
ſtellt worden ſey, der frühere Gebrauch der Kirche aber
nichts davon wiſſe. 1

Man darf ſich nicht wundern, wenn die kirchlichen
Gewalten in Sachſen, z. B. der Biſchof von Merſeburg,
und ſelbſt die Theologen der Univerſität nicht eben ein gro-
ßes Gefallen daran hatten, daß eine Disputation dieſes
Inhaltes, wie die Parteien endlich übereingekommen wa-

1 Contra novos et veteres errores defendet D. Martinus
Lutherus has sequentes positiones in studio Lipsensi.
Es iſt
der dreizehnte Satz Opp. lat. Jen. I, 221.
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[398/0416] Zweites Buch. Drittes Capitel. wortung immer ſehr zweifelhaft geweſen, und von der doch das ganze Syſtem der Kirche und des Staates abhieng, welche einmal angeregt, nothwendig die allgemeine Auf- merkſamkeit beſchäftigen mußte: einen Gegner wagte er auf- zureizen, der keine Zurückhaltung kannte, ſeine Überzeugung aufs äußerſte zu vertheidigen pflegte, und ſchon die Stimme der Nation für ſich hatte. In Beziehung auf eine wenig bemerkte frühere Behauptung Luthers ſtellte Eck den Satz auf, daß der Primat des römiſchen Papſtes ſich von Chriſto ſelbſt, und von den Zeiten Petri herſchreibe, nicht wie der Gegner angedeutet, von den Zeiten Conſtantins und Silveſters. Es zeigte ſich ſogleich welche Folgen ſich davon erwarten ließen. Luther, der erſt jetzt die Urkunden des päpſtlichen Rechtes, das Decret zu ſtudiren angefan- gen, und ſich dabei oft in ſeinen chriſtlichen Überzeugungen verletzt gefühlt hatte, antwortete mit einem noch viel küh- neren Streitſatz, daß nemlich der römiſche Primat erſt durch die Decrete der ſpätern Päpſte in den vier letzten Jahr- hunderten (er mochte meinen: ſeit Gregor VII) feſtge- ſtellt worden ſey, der frühere Gebrauch der Kirche aber nichts davon wiſſe. 1 Man darf ſich nicht wundern, wenn die kirchlichen Gewalten in Sachſen, z. B. der Biſchof von Merſeburg, und ſelbſt die Theologen der Univerſität nicht eben ein gro- ßes Gefallen daran hatten, daß eine Disputation dieſes Inhaltes, wie die Parteien endlich übereingekommen wa- 1 Contra novos et veteres errores defendet D. Martinus Lutherus has sequentes positiones in studio Lipsensi. Es iſt der dreizehnte Satz Opp. lat. Jen. I, 221.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/416>, abgerufen am 22.11.2024.