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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Luther in Worms.
Laute an: alle Politik lag außer seinem Gesichtskreis: über
jede persönliche Rücksicht, sogar auf sich selbst, war er er-
haben. Auf dem Wege vor ihm her waren die Decrete
angeschlagen worden, durch welche seine Bücher verdammt
wurden, so daß der Herold ihn schon zu Weimar fragte,
ob er fortziehen wolle. Er antwortete: er wolle sich des
kaiserlichen Geleites halten. Dann kam jene Einladung
Sickingens. Er erwiederte, habe der kaiserliche Beichtva-
ter mit ihm zu reden, so könne er das wohl in Worms
thun. Noch auf der letzten Station ließ ihm ein Rath
seines Churfürsten sagen: er möge doch lieber nicht kom-
men: leicht könne ihn das Schicksal Hussens treffen. "Huß,"
antwortete Luther, "ist verbrannt worden, aber nicht die
Wahrheit mit ihm: ich will hinein, und wenn so viel Teufel
auf mich zielten als Ziegel auf den Dächern sind." 1 So
langte er in Worms an: 16ten April 1521, eines Dien-
stags gegen Mittag, als man eben bei Tische war. Wie
der Thürmer vom Dom in die Trompete stieß, lief alles
auf die Straße den Mönch zu sehen. Er saß auf dem
offenen Rollwagen, den ihm der Rath zu Wittenberg zur
Reise gegeben, in seiner Augustinerkutte: vor ihm her ritt
der Herold, den Wappenrock mit dem Reichsadler über
den Arm. So zogen sie durch die verwunderte, mannich-
faltig bewegte, gaffende, theilnehmende Menge. Indem
Luther sie übersah, verwandelte sich in ihm der kühne

1 Müller Staatscabinet VIII, p. 296. Ich wähle die Wen-
dung des Gedankens, die er selbst in einem spätern Briefe ausspricht:
Wenn ich hätte gewußt, daß so viel Teufel auf mich gehalten hät-
ten, als Ziegel auf den Dächern sind, wäre ich dennoch mitten unter
sie gesprungen mit Freuden. Briefe II, 139.
Ranke d. Gesch. I. 31

Luther in Worms.
Laute an: alle Politik lag außer ſeinem Geſichtskreis: über
jede perſönliche Rückſicht, ſogar auf ſich ſelbſt, war er er-
haben. Auf dem Wege vor ihm her waren die Decrete
angeſchlagen worden, durch welche ſeine Bücher verdammt
wurden, ſo daß der Herold ihn ſchon zu Weimar fragte,
ob er fortziehen wolle. Er antwortete: er wolle ſich des
kaiſerlichen Geleites halten. Dann kam jene Einladung
Sickingens. Er erwiederte, habe der kaiſerliche Beichtva-
ter mit ihm zu reden, ſo könne er das wohl in Worms
thun. Noch auf der letzten Station ließ ihm ein Rath
ſeines Churfürſten ſagen: er möge doch lieber nicht kom-
men: leicht könne ihn das Schickſal Huſſens treffen. „Huß,“
antwortete Luther, „iſt verbrannt worden, aber nicht die
Wahrheit mit ihm: ich will hinein, und wenn ſo viel Teufel
auf mich zielten als Ziegel auf den Dächern ſind.“ 1 So
langte er in Worms an: 16ten April 1521, eines Dien-
ſtags gegen Mittag, als man eben bei Tiſche war. Wie
der Thürmer vom Dom in die Trompete ſtieß, lief alles
auf die Straße den Mönch zu ſehen. Er ſaß auf dem
offenen Rollwagen, den ihm der Rath zu Wittenberg zur
Reiſe gegeben, in ſeiner Auguſtinerkutte: vor ihm her ritt
der Herold, den Wappenrock mit dem Reichsadler über
den Arm. So zogen ſie durch die verwunderte, mannich-
faltig bewegte, gaffende, theilnehmende Menge. Indem
Luther ſie überſah, verwandelte ſich in ihm der kühne

1 Muͤller Staatscabinet VIII, p. 296. Ich waͤhle die Wen-
dung des Gedankens, die er ſelbſt in einem ſpaͤtern Briefe ausſpricht:
Wenn ich haͤtte gewußt, daß ſo viel Teufel auf mich gehalten haͤt-
ten, als Ziegel auf den Daͤchern ſind, waͤre ich dennoch mitten unter
ſie geſprungen mit Freuden. Briefe II, 139.
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[481/0499] Luther in Worms. Laute an: alle Politik lag außer ſeinem Geſichtskreis: über jede perſönliche Rückſicht, ſogar auf ſich ſelbſt, war er er- haben. Auf dem Wege vor ihm her waren die Decrete angeſchlagen worden, durch welche ſeine Bücher verdammt wurden, ſo daß der Herold ihn ſchon zu Weimar fragte, ob er fortziehen wolle. Er antwortete: er wolle ſich des kaiſerlichen Geleites halten. Dann kam jene Einladung Sickingens. Er erwiederte, habe der kaiſerliche Beichtva- ter mit ihm zu reden, ſo könne er das wohl in Worms thun. Noch auf der letzten Station ließ ihm ein Rath ſeines Churfürſten ſagen: er möge doch lieber nicht kom- men: leicht könne ihn das Schickſal Huſſens treffen. „Huß,“ antwortete Luther, „iſt verbrannt worden, aber nicht die Wahrheit mit ihm: ich will hinein, und wenn ſo viel Teufel auf mich zielten als Ziegel auf den Dächern ſind.“ 1 So langte er in Worms an: 16ten April 1521, eines Dien- ſtags gegen Mittag, als man eben bei Tiſche war. Wie der Thürmer vom Dom in die Trompete ſtieß, lief alles auf die Straße den Mönch zu ſehen. Er ſaß auf dem offenen Rollwagen, den ihm der Rath zu Wittenberg zur Reiſe gegeben, in ſeiner Auguſtinerkutte: vor ihm her ritt der Herold, den Wappenrock mit dem Reichsadler über den Arm. So zogen ſie durch die verwunderte, mannich- faltig bewegte, gaffende, theilnehmende Menge. Indem Luther ſie überſah, verwandelte ſich in ihm der kühne 1 Muͤller Staatscabinet VIII, p. 296. Ich waͤhle die Wen- dung des Gedankens, die er ſelbſt in einem ſpaͤtern Briefe ausſpricht: Wenn ich haͤtte gewußt, daß ſo viel Teufel auf mich gehalten haͤt- ten, als Ziegel auf den Daͤchern ſind, waͤre ich dennoch mitten unter ſie geſprungen mit Freuden. Briefe II, 139. Ranke d. Geſch. I. 31

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/499>, abgerufen am 22.11.2024.