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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Sechstes Capitel.
in Deutschland verbreiten sollten. 1 Daß Münzer und Carl-
stadt, und zwar nicht ohne Zuthun Luthers, endlich aus
Sachsen entfernt wurden, trug zur Ausbreitung und Ver-
stärkung dieser Bewegung sogar noch bei. 2 Sie nahmen
beide ihren Weg nach dem Oberrhein. Erst jetzt trat Carl-
stadt mit seiner Lehre vom Abendmahl unumwunden her-
vor: so unhaltbar die Auslegung seyn mochte, die er sel-
ber vortrug, so mächtig und von unermeßlicher Wirksam-
keit war doch die Anregung die er damit gab. Münzer
nahm seinen Weg über Nürnberg nach dem Hegau und
Kletgau; wie um jenen die Gelehrten so sammelten sich
um diesen die Schwärmer: er predigte aber nicht allein
von der Verwerfung der Kindertaufe, was nun allmählig
das Wahrzeichen der auf einen allgemeinen Umsturz sin-
nenden Partei wurde, sondern von der Erlösung Israels
und der Aufrichtung eines himmlischen Reiches.

So kam zu dem Zerfall der herrschenden Gewalten
die Opposition der Meinung gegen alles Bestehende: einer
Meinung, welche unabsehbare Möglichkeiten einer neuen Ge-
staltung der Dinge in der Ferne zeigte.

Da geschah dann das Unvermeidliche.


1 Widemann Chron. Curiense bei Mencken III, 744.
2 Wer kennt nicht die Scenen in Jena, wo Luther dem Carl-
stadt einen Gulden darauf gab, daß er gegen ihn schreiben, sein
Feind seyn wolle. Acta Jenensia bei Walch XV, 2422. L. hat
sich über die Feindseligkeit dieser Erzählung immer beklagt. Daß
sie in L's Werke aufgenommen sind, kann ihre Wahrhaftigkeit nicht
beweisen, wie Füßli im Leben Carlstadts p. 65 meint. Luther ge-
rieth dadurch in eine falsche Stellung, daß er angedeutet hatte, auch
Carlstadts Meinungen seyen aufrührerisch, wie die von Münzer, was
so eigentlich nicht zu beweisen war.

Drittes Buch. Sechstes Capitel.
in Deutſchland verbreiten ſollten. 1 Daß Münzer und Carl-
ſtadt, und zwar nicht ohne Zuthun Luthers, endlich aus
Sachſen entfernt wurden, trug zur Ausbreitung und Ver-
ſtärkung dieſer Bewegung ſogar noch bei. 2 Sie nahmen
beide ihren Weg nach dem Oberrhein. Erſt jetzt trat Carl-
ſtadt mit ſeiner Lehre vom Abendmahl unumwunden her-
vor: ſo unhaltbar die Auslegung ſeyn mochte, die er ſel-
ber vortrug, ſo mächtig und von unermeßlicher Wirkſam-
keit war doch die Anregung die er damit gab. Münzer
nahm ſeinen Weg über Nürnberg nach dem Hegau und
Kletgau; wie um jenen die Gelehrten ſo ſammelten ſich
um dieſen die Schwärmer: er predigte aber nicht allein
von der Verwerfung der Kindertaufe, was nun allmählig
das Wahrzeichen der auf einen allgemeinen Umſturz ſin-
nenden Partei wurde, ſondern von der Erlöſung Iſraels
und der Aufrichtung eines himmliſchen Reiches.

So kam zu dem Zerfall der herrſchenden Gewalten
die Oppoſition der Meinung gegen alles Beſtehende: einer
Meinung, welche unabſehbare Möglichkeiten einer neuen Ge-
ſtaltung der Dinge in der Ferne zeigte.

Da geſchah dann das Unvermeidliche.


1 Widemann Chron. Curiense bei Mencken III, 744.
2 Wer kennt nicht die Scenen in Jena, wo Luther dem Carl-
ſtadt einen Gulden darauf gab, daß er gegen ihn ſchreiben, ſein
Feind ſeyn wolle. Acta Jenensia bei Walch XV, 2422. L. hat
ſich uͤber die Feindſeligkeit dieſer Erzaͤhlung immer beklagt. Daß
ſie in L’s Werke aufgenommen ſind, kann ihre Wahrhaftigkeit nicht
beweiſen, wie Fuͤßli im Leben Carlſtadts p. 65 meint. Luther ge-
rieth dadurch in eine falſche Stellung, daß er angedeutet hatte, auch
Carlſtadts Meinungen ſeyen aufruͤhreriſch, wie die von Muͤnzer, was
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[186/0196] Drittes Buch. Sechstes Capitel. in Deutſchland verbreiten ſollten. 1 Daß Münzer und Carl- ſtadt, und zwar nicht ohne Zuthun Luthers, endlich aus Sachſen entfernt wurden, trug zur Ausbreitung und Ver- ſtärkung dieſer Bewegung ſogar noch bei. 2 Sie nahmen beide ihren Weg nach dem Oberrhein. Erſt jetzt trat Carl- ſtadt mit ſeiner Lehre vom Abendmahl unumwunden her- vor: ſo unhaltbar die Auslegung ſeyn mochte, die er ſel- ber vortrug, ſo mächtig und von unermeßlicher Wirkſam- keit war doch die Anregung die er damit gab. Münzer nahm ſeinen Weg über Nürnberg nach dem Hegau und Kletgau; wie um jenen die Gelehrten ſo ſammelten ſich um dieſen die Schwärmer: er predigte aber nicht allein von der Verwerfung der Kindertaufe, was nun allmählig das Wahrzeichen der auf einen allgemeinen Umſturz ſin- nenden Partei wurde, ſondern von der Erlöſung Iſraels und der Aufrichtung eines himmliſchen Reiches. So kam zu dem Zerfall der herrſchenden Gewalten die Oppoſition der Meinung gegen alles Beſtehende: einer Meinung, welche unabſehbare Möglichkeiten einer neuen Ge- ſtaltung der Dinge in der Ferne zeigte. Da geſchah dann das Unvermeidliche. 1 Widemann Chron. Curiense bei Mencken III, 744. 2 Wer kennt nicht die Scenen in Jena, wo Luther dem Carl- ſtadt einen Gulden darauf gab, daß er gegen ihn ſchreiben, ſein Feind ſeyn wolle. Acta Jenensia bei Walch XV, 2422. L. hat ſich uͤber die Feindſeligkeit dieſer Erzaͤhlung immer beklagt. Daß ſie in L’s Werke aufgenommen ſind, kann ihre Wahrhaftigkeit nicht beweiſen, wie Fuͤßli im Leben Carlſtadts p. 65 meint. Luther ge- rieth dadurch in eine falſche Stellung, daß er angedeutet hatte, auch Carlſtadts Meinungen ſeyen aufruͤhreriſch, wie die von Muͤnzer, was ſo eigentlich nicht zu beweiſen war.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/196>, abgerufen am 27.11.2024.