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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Viertes Buch. Erstes Capitel.
Allein ihre Theilnahme war geringfügig, ihre Haltung in den
letzten Momenten selbst zweideutig gewesen: der Kaiser glaubte
hiedurch aller jener Verpflichtungen überhoben zu seyn.
Seinen Waffen allein war der Sieg zu Theil geworden:
er wollte auch allein den Vortheil haben: was hätte ihn
bewegen können, sich neuen Gefahren auszusetzen, um Ver-
bündete so zweifelhafter Art groß zu machen?

Das Verhältniß des Papstes war im Grunde nicht an-
ders, wie das von England; es bezeichnet den Geist dieser
Zeiten, daß der Papst es war, der zuerst den Muth hatte
sich der emporkommenden Weltmacht entgegenzustellen. Er
besorgte, das Kaiserthum möchte dem römischen Stuhle wie-
der zu mächtig werden: die Ideen der Wiederherstellung
der italienischen Unabhängigkeit regten sich in ihm, wie in
Julius II. Hatten die Päpste doch bisher immer den Im-
puls zu den großen politischen Veränderungen gegeben, und
ihre Absichten in der Regel durchgeführt. Clemens VII
wagte es, sich als den Mittelpunct des Widerstandes gegen
Carl V aufzustellen.

Da mußte ihm nun vor allem andern daran liegen, eine
Aussöhnung zwischen England und Frankreich zu Stande zu
bringen. Schon am 8ten März brachte Lodovico Canossa
einverstanden mit Giberti 1 die Sache in Frankreich in An-
regung. Am 16ten März forderte dieser selbst die päpstli-
chen Nuntien in England auf, allen ihren Einfluß bei Hein-
rich VIII und Wolsey aufzubieten, um ein gütliches Ab-
kommen mit Frankreich zu vermitteln. 2 Im April kannte

1 Vgl. ein späteres Schreiben Gibertis Lett. di pr. I, 171.
2 Lettere di principi 157.

Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Allein ihre Theilnahme war geringfügig, ihre Haltung in den
letzten Momenten ſelbſt zweideutig geweſen: der Kaiſer glaubte
hiedurch aller jener Verpflichtungen überhoben zu ſeyn.
Seinen Waffen allein war der Sieg zu Theil geworden:
er wollte auch allein den Vortheil haben: was hätte ihn
bewegen können, ſich neuen Gefahren auszuſetzen, um Ver-
bündete ſo zweifelhafter Art groß zu machen?

Das Verhältniß des Papſtes war im Grunde nicht an-
ders, wie das von England; es bezeichnet den Geiſt dieſer
Zeiten, daß der Papſt es war, der zuerſt den Muth hatte
ſich der emporkommenden Weltmacht entgegenzuſtellen. Er
beſorgte, das Kaiſerthum möchte dem römiſchen Stuhle wie-
der zu mächtig werden: die Ideen der Wiederherſtellung
der italieniſchen Unabhängigkeit regten ſich in ihm, wie in
Julius II. Hatten die Päpſte doch bisher immer den Im-
puls zu den großen politiſchen Veränderungen gegeben, und
ihre Abſichten in der Regel durchgeführt. Clemens VII
wagte es, ſich als den Mittelpunct des Widerſtandes gegen
Carl V aufzuſtellen.

Da mußte ihm nun vor allem andern daran liegen, eine
Ausſöhnung zwiſchen England und Frankreich zu Stande zu
bringen. Schon am 8ten März brachte Lodovico Canoſſa
einverſtanden mit Giberti 1 die Sache in Frankreich in An-
regung. Am 16ten März forderte dieſer ſelbſt die päpſtli-
chen Nuntien in England auf, allen ihren Einfluß bei Hein-
rich VIII und Wolſey aufzubieten, um ein gütliches Ab-
kommen mit Frankreich zu vermitteln. 2 Im April kannte

1 Vgl. ein ſpaͤteres Schreiben Gibertis Lett. di pr. I, 171.
2 Lettere di principi 157.
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[326/0336] Viertes Buch. Erſtes Capitel. Allein ihre Theilnahme war geringfügig, ihre Haltung in den letzten Momenten ſelbſt zweideutig geweſen: der Kaiſer glaubte hiedurch aller jener Verpflichtungen überhoben zu ſeyn. Seinen Waffen allein war der Sieg zu Theil geworden: er wollte auch allein den Vortheil haben: was hätte ihn bewegen können, ſich neuen Gefahren auszuſetzen, um Ver- bündete ſo zweifelhafter Art groß zu machen? Das Verhältniß des Papſtes war im Grunde nicht an- ders, wie das von England; es bezeichnet den Geiſt dieſer Zeiten, daß der Papſt es war, der zuerſt den Muth hatte ſich der emporkommenden Weltmacht entgegenzuſtellen. Er beſorgte, das Kaiſerthum möchte dem römiſchen Stuhle wie- der zu mächtig werden: die Ideen der Wiederherſtellung der italieniſchen Unabhängigkeit regten ſich in ihm, wie in Julius II. Hatten die Päpſte doch bisher immer den Im- puls zu den großen politiſchen Veränderungen gegeben, und ihre Abſichten in der Regel durchgeführt. Clemens VII wagte es, ſich als den Mittelpunct des Widerſtandes gegen Carl V aufzuſtellen. Da mußte ihm nun vor allem andern daran liegen, eine Ausſöhnung zwiſchen England und Frankreich zu Stande zu bringen. Schon am 8ten März brachte Lodovico Canoſſa einverſtanden mit Giberti 1 die Sache in Frankreich in An- regung. Am 16ten März forderte dieſer ſelbſt die päpſtli- chen Nuntien in England auf, allen ihren Einfluß bei Hein- rich VIII und Wolſey aufzubieten, um ein gütliches Ab- kommen mit Frankreich zu vermitteln. 2 Im April kannte 1 Vgl. ein ſpaͤteres Schreiben Gibertis Lett. di pr. I, 171. 2 Lettere di principi 157.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/336>, abgerufen am 27.11.2024.