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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Viertes Buch. Erstes Capitel.
war ein Bedürfniß dafür nur erst in den literarischen Krei-
sen erwacht: die Masse der Nation war davon noch nicht
ergriffen: ein militärisches Selbstgefühl welches beleidigt ge-
wesen wäre, hatte sie nicht: vom verletzten Rechte war
eben so wenig die Rede: das Recht des Kaisers war ur-
alt und unbestreitbar. Daher zählten auch die Führer nicht
auf die eigentliche Nation. Sie dachten sich vor allem
der günstigen Lage der Umstände, fremder Kräfte, des
unerwarteten Abfalls zn bedienen: eine glückliche Combina-
tion der Politik sollte alles ausrichten.

Gar bald aber zeigte sich dieß zweifelhaft.

Von den Franzosen bemerkte Giberti schon im Sep-
tember 1525, 1 ihre Absicht sey wohl nur, sich der Verbin-
dung mit Italien zu bedienen, um eine günstige Abkunft
mit dem Kaiser zu treffen.

Indem man ferner auf den Abfall des kaiserlichen
Heerführers zählte, vernahm man daß im Mailändischen
an den Festungen gearbeitet werde: ein nach Frankreich ab-
gefertigter Courier verschwand in diesem Gebiete: ja vom
spanischen Hofe trafen Erklärungen ein, welche eine Andeu-
tung der Sache durchblicken ließen. Man wußte nicht,
was man denken sollte. War Morone ein Verräther?
Aber welchen Vortheil konnte er sich versprechen, der den
Haß aufgewogen hätte, den er von Italien erwarten mußte?
Oder spielte Pescara eine doppelte Rolle? "Ich kann es
nicht glauben," sagt Giberti. "Was er für den Kaiser ge-
than könnte man ihm mit keinem Königreich vergelten: sollte
er sich die Gnade desselben bei dieser Gelegenheit wieder er-

1 Al Vescovo di Bajusa 4 Stt. Ibid.

Viertes Buch. Erſtes Capitel.
war ein Bedürfniß dafür nur erſt in den literariſchen Krei-
ſen erwacht: die Maſſe der Nation war davon noch nicht
ergriffen: ein militäriſches Selbſtgefühl welches beleidigt ge-
weſen wäre, hatte ſie nicht: vom verletzten Rechte war
eben ſo wenig die Rede: das Recht des Kaiſers war ur-
alt und unbeſtreitbar. Daher zählten auch die Führer nicht
auf die eigentliche Nation. Sie dachten ſich vor allem
der günſtigen Lage der Umſtände, fremder Kräfte, des
unerwarteten Abfalls zn bedienen: eine glückliche Combina-
tion der Politik ſollte alles ausrichten.

Gar bald aber zeigte ſich dieß zweifelhaft.

Von den Franzoſen bemerkte Giberti ſchon im Sep-
tember 1525, 1 ihre Abſicht ſey wohl nur, ſich der Verbin-
dung mit Italien zu bedienen, um eine günſtige Abkunft
mit dem Kaiſer zu treffen.

Indem man ferner auf den Abfall des kaiſerlichen
Heerführers zählte, vernahm man daß im Mailändiſchen
an den Feſtungen gearbeitet werde: ein nach Frankreich ab-
gefertigter Courier verſchwand in dieſem Gebiete: ja vom
ſpaniſchen Hofe trafen Erklärungen ein, welche eine Andeu-
tung der Sache durchblicken ließen. Man wußte nicht,
was man denken ſollte. War Morone ein Verräther?
Aber welchen Vortheil konnte er ſich verſprechen, der den
Haß aufgewogen hätte, den er von Italien erwarten mußte?
Oder ſpielte Pescara eine doppelte Rolle? „Ich kann es
nicht glauben,“ ſagt Giberti. „Was er für den Kaiſer ge-
than könnte man ihm mit keinem Königreich vergelten: ſollte
er ſich die Gnade deſſelben bei dieſer Gelegenheit wieder er-

1 Al Vescovo di Bajusa 4 Stt. Ibid.
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[332/0342] Viertes Buch. Erſtes Capitel. war ein Bedürfniß dafür nur erſt in den literariſchen Krei- ſen erwacht: die Maſſe der Nation war davon noch nicht ergriffen: ein militäriſches Selbſtgefühl welches beleidigt ge- weſen wäre, hatte ſie nicht: vom verletzten Rechte war eben ſo wenig die Rede: das Recht des Kaiſers war ur- alt und unbeſtreitbar. Daher zählten auch die Führer nicht auf die eigentliche Nation. Sie dachten ſich vor allem der günſtigen Lage der Umſtände, fremder Kräfte, des unerwarteten Abfalls zn bedienen: eine glückliche Combina- tion der Politik ſollte alles ausrichten. Gar bald aber zeigte ſich dieß zweifelhaft. Von den Franzoſen bemerkte Giberti ſchon im Sep- tember 1525, 1 ihre Abſicht ſey wohl nur, ſich der Verbin- dung mit Italien zu bedienen, um eine günſtige Abkunft mit dem Kaiſer zu treffen. Indem man ferner auf den Abfall des kaiſerlichen Heerführers zählte, vernahm man daß im Mailändiſchen an den Feſtungen gearbeitet werde: ein nach Frankreich ab- gefertigter Courier verſchwand in dieſem Gebiete: ja vom ſpaniſchen Hofe trafen Erklärungen ein, welche eine Andeu- tung der Sache durchblicken ließen. Man wußte nicht, was man denken ſollte. War Morone ein Verräther? Aber welchen Vortheil konnte er ſich verſprechen, der den Haß aufgewogen hätte, den er von Italien erwarten mußte? Oder ſpielte Pescara eine doppelte Rolle? „Ich kann es nicht glauben,“ ſagt Giberti. „Was er für den Kaiſer ge- than könnte man ihm mit keinem Königreich vergelten: ſollte er ſich die Gnade deſſelben bei dieſer Gelegenheit wieder er- 1 Al Vescovo di Bajusa 4 Stt. Ibid.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/342>, abgerufen am 27.11.2024.