Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
Viertes Buch. Erstes Capitel.

Der Kaiser und der König sahen sich hierauf öfter,
ritten mit einander über Feld, ließen sich in Einer Sänfte
tragen, und nannten sich Brüder. Als sie sich von ein-
ander trennten, bei einem aufgerichteten Crucifix in der
Nähe von Illescas, wo die Wege nach Toledo und Madrid
sich scheiden, sagte der Kaiser: "Bruder, denkt daran was
wir einander zugesagt." Der König antwortete: "ich wollte
die Artikel hersagen, ohne in einem Wort zu fehlen."
"Sagt mir die Wahrheit," fuhr Carl fort, "seyd ihr Wil-
lens sie zu halten?" Franz versetzte: "nichts in meinem
Reiche soll mich daran hindern." Der Kaiser sagte hier-
auf: "Eins bitte ich Euch: wollt ihr mich in etwas hin-
tergehen, so betreffe es nicht meine Schwester eure Braut,
denn diese," setzte er hinzu, "würde sich nicht rächen können." 1

Man sieht welche Ungewitter hinter dieser Vertraulich-
keit schlummerten.

Auf einer Barke auf der Bidassoa wurde hierauf Kö-
nig Franz gegen seine beiden Söhne, den Dauphin und
den nachmaligen König Heinrich II, die als Geiseln sei-
ner Zusage dienen sollten, ausgewechselt. "Sire," sagte
Lannoy, "jetzt ist Eure Hoheit frey: erfülle sie nun auch
was sie versprochen." "Es wird alles erfüllt werden,"
sagte der König, und sprang in die französische Barke. Jetzt
war er wieder bei den Seinen und sah sich von der Ver-
ehrung empfangen, die er so lang entbehrt; jetzt kam er
wieder zu dem vollständigen Gefühle seines Selbst; er stieg,
als er an das Land trat, auf ein bereitstehendes türkisches

1 Erzählung bei Sandoval I, 717.
Viertes Buch. Erſtes Capitel.

Der Kaiſer und der König ſahen ſich hierauf öfter,
ritten mit einander über Feld, ließen ſich in Einer Sänfte
tragen, und nannten ſich Brüder. Als ſie ſich von ein-
ander trennten, bei einem aufgerichteten Crucifix in der
Nähe von Illescas, wo die Wege nach Toledo und Madrid
ſich ſcheiden, ſagte der Kaiſer: „Bruder, denkt daran was
wir einander zugeſagt.“ Der König antwortete: „ich wollte
die Artikel herſagen, ohne in einem Wort zu fehlen.“
„Sagt mir die Wahrheit,“ fuhr Carl fort, „ſeyd ihr Wil-
lens ſie zu halten?“ Franz verſetzte: „nichts in meinem
Reiche ſoll mich daran hindern.“ Der Kaiſer ſagte hier-
auf: „Eins bitte ich Euch: wollt ihr mich in etwas hin-
tergehen, ſo betreffe es nicht meine Schweſter eure Braut,
denn dieſe,“ ſetzte er hinzu, „würde ſich nicht rächen können.“ 1

Man ſieht welche Ungewitter hinter dieſer Vertraulich-
keit ſchlummerten.

Auf einer Barke auf der Bidaſſoa wurde hierauf Kö-
nig Franz gegen ſeine beiden Söhne, den Dauphin und
den nachmaligen König Heinrich II, die als Geiſeln ſei-
ner Zuſage dienen ſollten, ausgewechſelt. „Sire,“ ſagte
Lannoy, „jetzt iſt Eure Hoheit frey: erfülle ſie nun auch
was ſie verſprochen.“ „Es wird alles erfüllt werden,“
ſagte der König, und ſprang in die franzöſiſche Barke. Jetzt
war er wieder bei den Seinen und ſah ſich von der Ver-
ehrung empfangen, die er ſo lang entbehrt; jetzt kam er
wieder zu dem vollſtändigen Gefühle ſeines Selbſt; er ſtieg,
als er an das Land trat, auf ein bereitſtehendes türkiſches

1 Erzaͤhlung bei Sandoval I, 717.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0350" n="340"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
            <p>Der Kai&#x017F;er und der König &#x017F;ahen &#x017F;ich hierauf öfter,<lb/>
ritten mit einander über Feld, ließen &#x017F;ich in Einer Sänfte<lb/>
tragen, und nannten &#x017F;ich Brüder. Als &#x017F;ie &#x017F;ich von ein-<lb/>
ander trennten, bei einem aufgerichteten Crucifix in der<lb/>
Nähe von Illescas, wo die Wege nach Toledo und Madrid<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;cheiden, &#x017F;agte der Kai&#x017F;er: &#x201E;Bruder, denkt daran was<lb/>
wir einander zuge&#x017F;agt.&#x201C; Der König antwortete: &#x201E;ich wollte<lb/>
die Artikel her&#x017F;agen, ohne in einem Wort zu fehlen.&#x201C;<lb/>
&#x201E;Sagt mir die Wahrheit,&#x201C; fuhr Carl fort, &#x201E;&#x017F;eyd ihr Wil-<lb/>
lens &#x017F;ie zu halten?&#x201C; Franz ver&#x017F;etzte: &#x201E;nichts in meinem<lb/>
Reiche &#x017F;oll mich daran hindern.&#x201C; Der Kai&#x017F;er &#x017F;agte hier-<lb/>
auf: &#x201E;Eins bitte ich Euch: wollt ihr mich in etwas hin-<lb/>
tergehen, &#x017F;o betreffe es nicht meine Schwe&#x017F;ter eure Braut,<lb/>
denn die&#x017F;e,&#x201C; &#x017F;etzte er hinzu, &#x201E;würde &#x017F;ich nicht rächen können.&#x201C; <note place="foot" n="1">Erza&#x0364;hlung bei Sandoval <hi rendition="#aq">I,</hi> 717.</note></p><lb/>
            <p>Man &#x017F;ieht welche Ungewitter hinter die&#x017F;er Vertraulich-<lb/>
keit &#x017F;chlummerten.</p><lb/>
            <p>Auf einer Barke auf der Bida&#x017F;&#x017F;oa wurde hierauf Kö-<lb/>
nig Franz gegen &#x017F;eine beiden Söhne, den Dauphin und<lb/>
den nachmaligen König Heinrich <hi rendition="#aq">II</hi>, die als Gei&#x017F;eln &#x017F;ei-<lb/>
ner Zu&#x017F;age dienen &#x017F;ollten, ausgewech&#x017F;elt. &#x201E;Sire,&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
Lannoy, &#x201E;jetzt i&#x017F;t Eure Hoheit frey: erfülle &#x017F;ie nun auch<lb/>
was &#x017F;ie ver&#x017F;prochen.&#x201C; &#x201E;Es wird alles erfüllt werden,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte der König, und &#x017F;prang in die franzö&#x017F;i&#x017F;che Barke. Jetzt<lb/>
war er wieder bei den Seinen und &#x017F;ah &#x017F;ich von der Ver-<lb/>
ehrung empfangen, die er &#x017F;o lang entbehrt; jetzt kam er<lb/>
wieder zu dem voll&#x017F;tändigen Gefühle &#x017F;eines Selb&#x017F;t; er &#x017F;tieg,<lb/>
als er an das Land trat, auf ein bereit&#x017F;tehendes türki&#x017F;ches<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0350] Viertes Buch. Erſtes Capitel. Der Kaiſer und der König ſahen ſich hierauf öfter, ritten mit einander über Feld, ließen ſich in Einer Sänfte tragen, und nannten ſich Brüder. Als ſie ſich von ein- ander trennten, bei einem aufgerichteten Crucifix in der Nähe von Illescas, wo die Wege nach Toledo und Madrid ſich ſcheiden, ſagte der Kaiſer: „Bruder, denkt daran was wir einander zugeſagt.“ Der König antwortete: „ich wollte die Artikel herſagen, ohne in einem Wort zu fehlen.“ „Sagt mir die Wahrheit,“ fuhr Carl fort, „ſeyd ihr Wil- lens ſie zu halten?“ Franz verſetzte: „nichts in meinem Reiche ſoll mich daran hindern.“ Der Kaiſer ſagte hier- auf: „Eins bitte ich Euch: wollt ihr mich in etwas hin- tergehen, ſo betreffe es nicht meine Schweſter eure Braut, denn dieſe,“ ſetzte er hinzu, „würde ſich nicht rächen können.“ 1 Man ſieht welche Ungewitter hinter dieſer Vertraulich- keit ſchlummerten. Auf einer Barke auf der Bidaſſoa wurde hierauf Kö- nig Franz gegen ſeine beiden Söhne, den Dauphin und den nachmaligen König Heinrich II, die als Geiſeln ſei- ner Zuſage dienen ſollten, ausgewechſelt. „Sire,“ ſagte Lannoy, „jetzt iſt Eure Hoheit frey: erfülle ſie nun auch was ſie verſprochen.“ „Es wird alles erfüllt werden,“ ſagte der König, und ſprang in die franzöſiſche Barke. Jetzt war er wieder bei den Seinen und ſah ſich von der Ver- ehrung empfangen, die er ſo lang entbehrt; jetzt kam er wieder zu dem vollſtändigen Gefühle ſeines Selbſt; er ſtieg, als er an das Land trat, auf ein bereitſtehendes türkiſches 1 Erzaͤhlung bei Sandoval I, 717.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/350
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/350>, abgerufen am 20.05.2024.