Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Abendmahlsstreitigkeit. dem Gefühl der allgemeinen Kirche, des Zusammenhangesmit den Doctrinen der verflossenen Jahrhunderte. Wir sa- hen schon, daß ihn, einen geborenen Republikaner, der Be- griff der Gemeinde um vieles mehr beschäftigte: wie er denn auch jetzt beschäftigt war, seine Zürcherische Gemeinde durch strengere Kirchenzucht zusammenzuhalten. Er suchte die öf- fentlichen Verbrecher zu entfernen, hob die Asyle auf, ließ unzüchtige Dirnen und Ehebrecherinnen aus der Stadt schaf- fen. Mit den Gesichtspuncten, die ihm daher entsprangen, verband er nun ein freies, von aller hergebrachten Dog- matik absehendes Studium der Schrift. Irre ich nicht, so bewieß er in der That für den Zusammenhang des ur- sprünglichen Gedankens derselben einen feinen und treffenden Sinn. Wie der Ritus bezeugt, den er einführte, sah er das Abendmahl als ein Mahl des Gedächtnisses und der Liebe an. Er hielt sich an das Wort Pauli, daß wir Ein Leib sind, weil wir von Einem Brode essen. Denn ein Je- der, sagt er, bekenne sich dadurch zu der Gemeinschaft, die in Christus ihren Heiland erkenne, in der alle Christen Ein Leib seyen; das sey die Gemeinschaft des Blutes Christi. Wenigstens er selbst wollte nicht Wort haben, daß er die Eucharistie für bloßes Brod halte. "Wenn Brod und Wein, "die durch Gottes Gnade geheiligt sind, ausgetheilt wer- "den, wird da," sagt er, "nicht der ganze Christus gleich- "sam fühlbar den Seinen dargeboten?" Es gereichte ihm zu besonderer Genugthuung, daß er durch diese Auffassung unmittelbar zu einer praktischen Wirkung gelangte. Denn wie sollte es nicht zu christlichem Leben und christlicher Liebe anleiten, wenn man wisse, daß man zu seinem Leibe gehöre? Abendmahlsſtreitigkeit. dem Gefühl der allgemeinen Kirche, des Zuſammenhangesmit den Doctrinen der verfloſſenen Jahrhunderte. Wir ſa- hen ſchon, daß ihn, einen geborenen Republikaner, der Be- griff der Gemeinde um vieles mehr beſchäftigte: wie er denn auch jetzt beſchäftigt war, ſeine Zürcheriſche Gemeinde durch ſtrengere Kirchenzucht zuſammenzuhalten. Er ſuchte die öf- fentlichen Verbrecher zu entfernen, hob die Aſyle auf, ließ unzüchtige Dirnen und Ehebrecherinnen aus der Stadt ſchaf- fen. Mit den Geſichtspuncten, die ihm daher entſprangen, verband er nun ein freies, von aller hergebrachten Dog- matik abſehendes Studium der Schrift. Irre ich nicht, ſo bewieß er in der That für den Zuſammenhang des ur- ſprünglichen Gedankens derſelben einen feinen und treffenden Sinn. Wie der Ritus bezeugt, den er einführte, ſah er das Abendmahl als ein Mahl des Gedächtniſſes und der Liebe an. Er hielt ſich an das Wort Pauli, daß wir Ein Leib ſind, weil wir von Einem Brode eſſen. Denn ein Je- der, ſagt er, bekenne ſich dadurch zu der Gemeinſchaft, die in Chriſtus ihren Heiland erkenne, in der alle Chriſten Ein Leib ſeyen; das ſey die Gemeinſchaft des Blutes Chriſti. Wenigſtens er ſelbſt wollte nicht Wort haben, daß er die Euchariſtie für bloßes Brod halte. „Wenn Brod und Wein, „die durch Gottes Gnade geheiligt ſind, ausgetheilt wer- „den, wird da,“ ſagt er, „nicht der ganze Chriſtus gleich- „ſam fühlbar den Seinen dargeboten?“ Es gereichte ihm zu beſonderer Genugthuung, daß er durch dieſe Auffaſſung unmittelbar zu einer praktiſchen Wirkung gelangte. Denn wie ſollte es nicht zu chriſtlichem Leben und chriſtlicher Liebe anleiten, wenn man wiſſe, daß man zu ſeinem Leibe gehöre? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0103" n="87"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Abendmahlsſtreitigkeit</hi>.</fw><lb/> dem Gefühl der allgemeinen Kirche, des Zuſammenhanges<lb/> mit den Doctrinen der verfloſſenen Jahrhunderte. 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Abendmahlsſtreitigkeit.
dem Gefühl der allgemeinen Kirche, des Zuſammenhanges
mit den Doctrinen der verfloſſenen Jahrhunderte. Wir ſa-
hen ſchon, daß ihn, einen geborenen Republikaner, der Be-
griff der Gemeinde um vieles mehr beſchäftigte: wie er denn
auch jetzt beſchäftigt war, ſeine Zürcheriſche Gemeinde durch
ſtrengere Kirchenzucht zuſammenzuhalten. Er ſuchte die öf-
fentlichen Verbrecher zu entfernen, hob die Aſyle auf, ließ
unzüchtige Dirnen und Ehebrecherinnen aus der Stadt ſchaf-
fen. Mit den Geſichtspuncten, die ihm daher entſprangen,
verband er nun ein freies, von aller hergebrachten Dog-
matik abſehendes Studium der Schrift. Irre ich nicht,
ſo bewieß er in der That für den Zuſammenhang des ur-
ſprünglichen Gedankens derſelben einen feinen und treffenden
Sinn. Wie der Ritus bezeugt, den er einführte, ſah er
das Abendmahl als ein Mahl des Gedächtniſſes und der
Liebe an. Er hielt ſich an das Wort Pauli, daß wir Ein
Leib ſind, weil wir von Einem Brode eſſen. Denn ein Je-
der, ſagt er, bekenne ſich dadurch zu der Gemeinſchaft, die
in Chriſtus ihren Heiland erkenne, in der alle Chriſten Ein
Leib ſeyen; das ſey die Gemeinſchaft des Blutes Chriſti.
Wenigſtens er ſelbſt wollte nicht Wort haben, daß er die
Euchariſtie für bloßes Brod halte. „Wenn Brod und Wein,
„die durch Gottes Gnade geheiligt ſind, ausgetheilt wer-
„den, wird da,“ ſagt er, „nicht der ganze Chriſtus gleich-
„ſam fühlbar den Seinen dargeboten?“ Es gereichte ihm
zu beſonderer Genugthuung, daß er durch dieſe Auffaſſung
unmittelbar zu einer praktiſchen Wirkung gelangte. Denn
wie ſollte es nicht zu chriſtlichem Leben und chriſtlicher Liebe
anleiten, wenn man wiſſe, daß man zu ſeinem Leibe gehöre?
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