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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Emancipation von d. geistlichen Element.
rigkeit das Amt zugesprochen, den Lästerungen und dem
äußern Aergerniß zu wehren. Zur Einführung eigentlicher
Kirchenzucht wollte sich jedoch der Rath nie verstehn. In
Sachen des Glaubens lasse sich mit Geboten nichts aus-
richten; da man sie doch nicht zu handhaben im Stande
sey, so ziehe man sich nur Verlust des Ansehens zu, wenn
man sie aufstelle. Für das einzige ausführbare Mittel hielt
man eine tadellose Aufführung der Geistlichen, -- die man
sehr ernstlich, einen jeden persönlich ermahnte, -- gutes
Beispiel der Vornehmen, Anmahnungen der Uebrigen durch
die Ammeister in den Zünften. 2

Man betrachtete die Kirche als ein Institut zur Ein-
führung der Religion, jedoch nicht sowohl einer äußern, als
der innerlichen. Man vermied noch alles, was zu nahe an
das Papstthum streifte. Sich von der Zwangsgewalt des
geistlichen Standes loszureißen, die, wenn sie ausgeübt
wurde, unendlich drückend, und wenn man sich davon ent-
band für die Moralität verderblich war, darin lag eine der
vornehmsten Tendenzen der gesammten Bewegung. Man
wollte den Einfluß und die geistliche Macht der hohen
Prälaten nicht mehr; aber dem von dem hierarchischen
System ausgetretenen niedern Clerus verwandte Rechte zu
übertragen fühlte man auch Bedenken. Der Forderung
einer strengen Kirchenzucht setzte sich sogleich die Idee ent-
gegen, daß das christliche Prinzip durch angeregte Freiwil-
ligkeit die Herzen durchdringen, nicht durch Gewalt und
Zwang sie entweder unterjochen oder entfremden solle.


1
2 Erklärung des Rathes v. 1534. Ebendas. II, p. 41.
1 Die Sechszehn Artikel der Synode von 1533 bei Röhrich II,
263, besonders Art. 15.

Emancipation von d. geiſtlichen Element.
rigkeit das Amt zugeſprochen, den Läſterungen und dem
äußern Aergerniß zu wehren. Zur Einführung eigentlicher
Kirchenzucht wollte ſich jedoch der Rath nie verſtehn. In
Sachen des Glaubens laſſe ſich mit Geboten nichts aus-
richten; da man ſie doch nicht zu handhaben im Stande
ſey, ſo ziehe man ſich nur Verluſt des Anſehens zu, wenn
man ſie aufſtelle. Für das einzige ausführbare Mittel hielt
man eine tadelloſe Aufführung der Geiſtlichen, — die man
ſehr ernſtlich, einen jeden perſönlich ermahnte, — gutes
Beiſpiel der Vornehmen, Anmahnungen der Uebrigen durch
die Ammeiſter in den Zünften. 2

Man betrachtete die Kirche als ein Inſtitut zur Ein-
führung der Religion, jedoch nicht ſowohl einer äußern, als
der innerlichen. Man vermied noch alles, was zu nahe an
das Papſtthum ſtreifte. Sich von der Zwangsgewalt des
geiſtlichen Standes loszureißen, die, wenn ſie ausgeübt
wurde, unendlich drückend, und wenn man ſich davon ent-
band für die Moralität verderblich war, darin lag eine der
vornehmſten Tendenzen der geſammten Bewegung. Man
wollte den Einfluß und die geiſtliche Macht der hohen
Prälaten nicht mehr; aber dem von dem hierarchiſchen
Syſtem ausgetretenen niedern Clerus verwandte Rechte zu
übertragen fühlte man auch Bedenken. Der Forderung
einer ſtrengen Kirchenzucht ſetzte ſich ſogleich die Idee ent-
gegen, daß das chriſtliche Prinzip durch angeregte Freiwil-
ligkeit die Herzen durchdringen, nicht durch Gewalt und
Zwang ſie entweder unterjochen oder entfremden ſolle.


1
2 Erklaͤrung des Rathes v. 1534. Ebendaſ. II, p. 41.
1 Die Sechszehn Artikel der Synode von 1533 bei Roͤhrich II,
263, beſonders Art. 15.
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[475/0491] Emancipation von d. geiſtlichen Element. rigkeit das Amt zugeſprochen, den Läſterungen und dem äußern Aergerniß zu wehren. Zur Einführung eigentlicher Kirchenzucht wollte ſich jedoch der Rath nie verſtehn. In Sachen des Glaubens laſſe ſich mit Geboten nichts aus- richten; da man ſie doch nicht zu handhaben im Stande ſey, ſo ziehe man ſich nur Verluſt des Anſehens zu, wenn man ſie aufſtelle. Für das einzige ausführbare Mittel hielt man eine tadelloſe Aufführung der Geiſtlichen, — die man ſehr ernſtlich, einen jeden perſönlich ermahnte, — gutes Beiſpiel der Vornehmen, Anmahnungen der Uebrigen durch die Ammeiſter in den Zünften. 2 Man betrachtete die Kirche als ein Inſtitut zur Ein- führung der Religion, jedoch nicht ſowohl einer äußern, als der innerlichen. Man vermied noch alles, was zu nahe an das Papſtthum ſtreifte. Sich von der Zwangsgewalt des geiſtlichen Standes loszureißen, die, wenn ſie ausgeübt wurde, unendlich drückend, und wenn man ſich davon ent- band für die Moralität verderblich war, darin lag eine der vornehmſten Tendenzen der geſammten Bewegung. Man wollte den Einfluß und die geiſtliche Macht der hohen Prälaten nicht mehr; aber dem von dem hierarchiſchen Syſtem ausgetretenen niedern Clerus verwandte Rechte zu übertragen fühlte man auch Bedenken. Der Forderung einer ſtrengen Kirchenzucht ſetzte ſich ſogleich die Idee ent- gegen, daß das chriſtliche Prinzip durch angeregte Freiwil- ligkeit die Herzen durchdringen, nicht durch Gewalt und Zwang ſie entweder unterjochen oder entfremden ſolle. 1 2 Erklaͤrung des Rathes v. 1534. Ebendaſ. II, p. 41. 1 Die Sechszehn Artikel der Synode von 1533 bei Roͤhrich II, 263, beſonders Art. 15.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/491>, abgerufen am 24.11.2024.