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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Siebentes Buch. Fünftes Capitel.
wirklich etwas auszurichten hoffen durfte. Aus den entge-
gengesetzten Parteien wußte er vermittelnde Tendenzen und
Persönlichkeiten zu Hülfe zu rufen.

Der tiefere Begriff von der Rechtfertigung hatte sich
auch in Italien Freunde gewonnen. Eine Genossenschaft
geistvoller und wohlgesinnter Männer hatte sich gebildet, die
von diesem Grundsatz aus die Lehre zu regeneriren, die Starr-
heit des dominicanischen Systems zu brechen, und zugleich
eine Reform der kirchlichen Institute von innen her zu be-
wirken gedachte, ohne darum die Ordnung der Hierarchie
aufzugeben. Eins der Oberhäupter dieser Gesinnung, in
dessen Seele sie ursprünglich entstanden, der Venezianer Ga-
spar Contarini
, ward jetzt von Paul III als Legat nach
Deutschland geschickt.

Ich habe ein ander Mal ausgeführt, wie viel sich von
dieser Annäherung für eine innere Wiedergeburt der römischen
Kirche erwarten ließ. Poole, ein Freund Contarini's, der
anfangs von den Schritten des Kaisers so viel gefürchtet,
knüpfte jetzt enthusiastische Hofnungen daran. Er sah darin
das wahre Heilmittel für alle Wunden der Christenheit.

Von der protestantischen Seite her kam man dem Kai-
ser sogar mit positiven Entwürfen entgegen.

Der nemliche Theolog, dessen Bemühungen die Union der
Evangelischen unter sich vornehmlich zu danken war, Martin
Butzer
, hatte jetzt, durch die Lage der Umstände und eine
innerliche Hinneigung bewogen, den Gedanken gefaßt, zwi-
schen Protestanten und Altgläubigen ebenfalls eine Vermit-
telung zu versuchen. Bei der Zusammenkunft in Worms
legte er seine Vorschläge dazu Granvella'n vor, der sie sehr

Siebentes Buch. Fuͤnftes Capitel.
wirklich etwas auszurichten hoffen durfte. Aus den entge-
gengeſetzten Parteien wußte er vermittelnde Tendenzen und
Perſönlichkeiten zu Hülfe zu rufen.

Der tiefere Begriff von der Rechtfertigung hatte ſich
auch in Italien Freunde gewonnen. Eine Genoſſenſchaft
geiſtvoller und wohlgeſinnter Männer hatte ſich gebildet, die
von dieſem Grundſatz aus die Lehre zu regeneriren, die Starr-
heit des dominicaniſchen Syſtems zu brechen, und zugleich
eine Reform der kirchlichen Inſtitute von innen her zu be-
wirken gedachte, ohne darum die Ordnung der Hierarchie
aufzugeben. Eins der Oberhäupter dieſer Geſinnung, in
deſſen Seele ſie urſprünglich entſtanden, der Venezianer Ga-
ſpar Contarini
, ward jetzt von Paul III als Legat nach
Deutſchland geſchickt.

Ich habe ein ander Mal ausgeführt, wie viel ſich von
dieſer Annäherung für eine innere Wiedergeburt der römiſchen
Kirche erwarten ließ. Poole, ein Freund Contarini’s, der
anfangs von den Schritten des Kaiſers ſo viel gefürchtet,
knüpfte jetzt enthuſiaſtiſche Hofnungen daran. Er ſah darin
das wahre Heilmittel für alle Wunden der Chriſtenheit.

Von der proteſtantiſchen Seite her kam man dem Kai-
ſer ſogar mit poſitiven Entwürfen entgegen.

Der nemliche Theolog, deſſen Bemühungen die Union der
Evangeliſchen unter ſich vornehmlich zu danken war, Martin
Butzer
, hatte jetzt, durch die Lage der Umſtände und eine
innerliche Hinneigung bewogen, den Gedanken gefaßt, zwi-
ſchen Proteſtanten und Altgläubigen ebenfalls eine Vermit-
telung zu verſuchen. Bei der Zuſammenkunft in Worms
legte er ſeine Vorſchläge dazu Granvella’n vor, der ſie ſehr

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[206/0218] Siebentes Buch. Fuͤnftes Capitel. wirklich etwas auszurichten hoffen durfte. Aus den entge- gengeſetzten Parteien wußte er vermittelnde Tendenzen und Perſönlichkeiten zu Hülfe zu rufen. Der tiefere Begriff von der Rechtfertigung hatte ſich auch in Italien Freunde gewonnen. Eine Genoſſenſchaft geiſtvoller und wohlgeſinnter Männer hatte ſich gebildet, die von dieſem Grundſatz aus die Lehre zu regeneriren, die Starr- heit des dominicaniſchen Syſtems zu brechen, und zugleich eine Reform der kirchlichen Inſtitute von innen her zu be- wirken gedachte, ohne darum die Ordnung der Hierarchie aufzugeben. Eins der Oberhäupter dieſer Geſinnung, in deſſen Seele ſie urſprünglich entſtanden, der Venezianer Ga- ſpar Contarini, ward jetzt von Paul III als Legat nach Deutſchland geſchickt. Ich habe ein ander Mal ausgeführt, wie viel ſich von dieſer Annäherung für eine innere Wiedergeburt der römiſchen Kirche erwarten ließ. Poole, ein Freund Contarini’s, der anfangs von den Schritten des Kaiſers ſo viel gefürchtet, knüpfte jetzt enthuſiaſtiſche Hofnungen daran. Er ſah darin das wahre Heilmittel für alle Wunden der Chriſtenheit. Von der proteſtantiſchen Seite her kam man dem Kai- ſer ſogar mit poſitiven Entwürfen entgegen. Der nemliche Theolog, deſſen Bemühungen die Union der Evangeliſchen unter ſich vornehmlich zu danken war, Martin Butzer, hatte jetzt, durch die Lage der Umſtände und eine innerliche Hinneigung bewogen, den Gedanken gefaßt, zwi- ſchen Proteſtanten und Altgläubigen ebenfalls eine Vermit- telung zu verſuchen. Bei der Zuſammenkunft in Worms legte er ſeine Vorſchläge dazu Granvella’n vor, der ſie ſehr

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/218>, abgerufen am 23.11.2024.