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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Achtes Buch. Erstes Capitel.
Verfolgungen welche in den Niederlanden vor sich giengen,
wiewohl Granvella sich jede Beziehung derselben auf die
Reichsangelegenheiten verbat, machten doch allgemeinen Ein-
druck und erregten die stärksten Besorgnisse. Längst hatten
sie ausgesprochen, daß ihr Glaube sich auf Concilien nicht
gründe. Einer der ersten Schritte ihres Abfalls lag darin,
daß sie die Unfehlbarkeit derselben leugneten.

Man hat wohl gesagt, die Protestanten seyen durch ihre
früheren Erklärungen zur Anerkennung des Conciliums ver-
pflichtet gewesen: aber wir wissen schon, wie wenig dieß
wahr ist. Sehr mit Absicht, und in der bestimmten Hof-
nung daß eine Abänderung der conciliaren Formen zu Gun-
sten der Laien zu erreichen sey, war in den Reichsabschieden
von 1524, 26, bei der Forderung eines gemeinen christli-
chen Concils das Wort "frei" hinzugefügt worden. 1 Was
damit gemeint sey, wußte auch die andre Partei sehr wohl;
eben so absichtlich ließ sie es in dem Reichsabschied von
1530 weg; bald darauf beklagte sich der Kaiser, daß die
Protestanten die Forderung erneuern die in jenem Worte
liegt. 2 Es bezeichnet den Moment ihres größten Einflusses
auf die Reichsangelegenheiten, daß sich der Kaiser im Jahr
1544 die Aufnahme dieses Wortes in den Reichsabschied
gefallen ließ. War hiedurch der Kaiser nicht vielmehr ihnen

1 1524 § 28. "Haben unser Statthalter, auch Churfürsten und
Stände als vor hochnothdürftig eines gemeinen freien Universalcon-
cilii der Christenheit (Anstellung) angesehen." 1526 § 1. "Haben
wir, auch Churfürsten etc. solches nicht fruchtbarer zu beschehen er-
messen dann durch ein frei Generalconcilium." Selbst noch 1529 § 1.
"Stände bitten den Kaiser, zu fördern, damit zum ehesten immer
möglich ein frei christlich Generalconcilium auszuschreiben." -- --
2 "Woe aber das Concilium nicht gehalten oder die Abtrün-

Achtes Buch. Erſtes Capitel.
Verfolgungen welche in den Niederlanden vor ſich giengen,
wiewohl Granvella ſich jede Beziehung derſelben auf die
Reichsangelegenheiten verbat, machten doch allgemeinen Ein-
druck und erregten die ſtärkſten Beſorgniſſe. Längſt hatten
ſie ausgeſprochen, daß ihr Glaube ſich auf Concilien nicht
gründe. Einer der erſten Schritte ihres Abfalls lag darin,
daß ſie die Unfehlbarkeit derſelben leugneten.

Man hat wohl geſagt, die Proteſtanten ſeyen durch ihre
früheren Erklärungen zur Anerkennung des Conciliums ver-
pflichtet geweſen: aber wir wiſſen ſchon, wie wenig dieß
wahr iſt. Sehr mit Abſicht, und in der beſtimmten Hof-
nung daß eine Abänderung der conciliaren Formen zu Gun-
ſten der Laien zu erreichen ſey, war in den Reichsabſchieden
von 1524, 26, bei der Forderung eines gemeinen chriſtli-
chen Concils das Wort „frei“ hinzugefügt worden. 1 Was
damit gemeint ſey, wußte auch die andre Partei ſehr wohl;
eben ſo abſichtlich ließ ſie es in dem Reichsabſchied von
1530 weg; bald darauf beklagte ſich der Kaiſer, daß die
Proteſtanten die Forderung erneuern die in jenem Worte
liegt. 2 Es bezeichnet den Moment ihres größten Einfluſſes
auf die Reichsangelegenheiten, daß ſich der Kaiſer im Jahr
1544 die Aufnahme dieſes Wortes in den Reichsabſchied
gefallen ließ. War hiedurch der Kaiſer nicht vielmehr ihnen

1 1524 § 28. „Haben unſer Statthalter, auch Churfuͤrſten und
Staͤnde als vor hochnothduͤrftig eines gemeinen freien Univerſalcon-
cilii der Chriſtenheit (Anſtellung) angeſehen.“ 1526 § 1. „Haben
wir, auch Churfuͤrſten ꝛc. ſolches nicht fruchtbarer zu beſchehen er-
meſſen dann durch ein frei Generalconcilium.“ Selbſt noch 1529 § 1.
„Staͤnde bitten den Kaiſer, zu foͤrdern, damit zum eheſten immer
moͤglich ein frei chriſtlich Generalconcilium auszuſchreiben.“ — —
2 „Woe aber das Concilium nicht gehalten oder die Abtruͤn-
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[356/0368] Achtes Buch. Erſtes Capitel. Verfolgungen welche in den Niederlanden vor ſich giengen, wiewohl Granvella ſich jede Beziehung derſelben auf die Reichsangelegenheiten verbat, machten doch allgemeinen Ein- druck und erregten die ſtärkſten Beſorgniſſe. Längſt hatten ſie ausgeſprochen, daß ihr Glaube ſich auf Concilien nicht gründe. Einer der erſten Schritte ihres Abfalls lag darin, daß ſie die Unfehlbarkeit derſelben leugneten. Man hat wohl geſagt, die Proteſtanten ſeyen durch ihre früheren Erklärungen zur Anerkennung des Conciliums ver- pflichtet geweſen: aber wir wiſſen ſchon, wie wenig dieß wahr iſt. Sehr mit Abſicht, und in der beſtimmten Hof- nung daß eine Abänderung der conciliaren Formen zu Gun- ſten der Laien zu erreichen ſey, war in den Reichsabſchieden von 1524, 26, bei der Forderung eines gemeinen chriſtli- chen Concils das Wort „frei“ hinzugefügt worden. 1 Was damit gemeint ſey, wußte auch die andre Partei ſehr wohl; eben ſo abſichtlich ließ ſie es in dem Reichsabſchied von 1530 weg; bald darauf beklagte ſich der Kaiſer, daß die Proteſtanten die Forderung erneuern die in jenem Worte liegt. 2 Es bezeichnet den Moment ihres größten Einfluſſes auf die Reichsangelegenheiten, daß ſich der Kaiſer im Jahr 1544 die Aufnahme dieſes Wortes in den Reichsabſchied gefallen ließ. War hiedurch der Kaiſer nicht vielmehr ihnen 1 1524 § 28. „Haben unſer Statthalter, auch Churfuͤrſten und Staͤnde als vor hochnothduͤrftig eines gemeinen freien Univerſalcon- cilii der Chriſtenheit (Anſtellung) angeſehen.“ 1526 § 1. „Haben wir, auch Churfuͤrſten ꝛc. ſolches nicht fruchtbarer zu beſchehen er- meſſen dann durch ein frei Generalconcilium.“ Selbſt noch 1529 § 1. „Staͤnde bitten den Kaiſer, zu foͤrdern, damit zum eheſten immer moͤglich ein frei chriſtlich Generalconcilium auszuſchreiben.“ — — 2 „Woe aber das Concilium nicht gehalten oder die Abtruͤn-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/368>, abgerufen am 22.11.2024.