Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Das trident. Conc. Justificationslehre.
irren. Sie berühren es wohl, aber sie machen es nicht aus.
Der Gegensatz ist und bleibt: auf der einen Seite: das im
Laufe der Jahrhunderte zu Stande gekommene, Himmel und
Erde umfassende, als göttlich und unfehlbar betrachtete prie-
sterlich-hierarchische Institut; und auf der andern: Verwer-
fung der göttlichen Berechtigung dieses Institutes, das viel-
mehr als eine menschliche und zwar in Irrthümern befan-
gene, ihrem ursprünglichen Zwecke sogar widersprechende Ein-
richtung erscheint, -- Zurückgehn, theoretisch, auf die Urkunden
religiöser Belehrung, in denen sich die Gottheit den Menschen
offenbart hat, practisch, auf das unmittelbare Verhältniß zu
dem Erlöser, dem einzigen Haupte seiner Gemeinde. Dort
der Particularismus der in den letzten Jahrhunderten aus-
gebildeten, durch Schulmeinungen und Autorität festgesetzten
Formen; hier das Bestreben, das ursprüngliche allgemeine
christliche Bewußtseyn, das diesen Entwickelungen vorangieng,
herzustellen, die überkommenen Formen bis zur Übereinstim-
mung mit dem evangelischen Worte zurückzuführen. Wären
Bestrebungen wie sie sich im J. 1541 zeigten, durchgedrungen,
wäre vielleicht ein Papst von der Innerlichkeit und dem reli-
giösen Genius aufgetreten, die ihn fähig gemacht hätten, an
den Bedürfnissen aller seiner Obhut anvertrauten Nationen le-
bendig Theil zu nehmen, ihnen entgegenzukommen, der würde
jene Formen selber auf das Maaß des Haltbaren, Schrift-
gemäßen und allgemein Gültigen zurückgeführt und dadurch
erst der lateinischen Kirche die Möglichkeit gegeben haben, die
Welt zu bekehren. Aber eben das Gegentheil geschah. An
dem tridentinischen Concilium zeigte sich eine Mehrheit, deren
Haß gegen die Protestanten die Legaten zuweilen selber er-

Das trident. Conc. Juſtificationslehre.
irren. Sie berühren es wohl, aber ſie machen es nicht aus.
Der Gegenſatz iſt und bleibt: auf der einen Seite: das im
Laufe der Jahrhunderte zu Stande gekommene, Himmel und
Erde umfaſſende, als göttlich und unfehlbar betrachtete prie-
ſterlich-hierarchiſche Inſtitut; und auf der andern: Verwer-
fung der göttlichen Berechtigung dieſes Inſtitutes, das viel-
mehr als eine menſchliche und zwar in Irrthümern befan-
gene, ihrem urſprünglichen Zwecke ſogar widerſprechende Ein-
richtung erſcheint, — Zurückgehn, theoretiſch, auf die Urkunden
religiöſer Belehrung, in denen ſich die Gottheit den Menſchen
offenbart hat, practiſch, auf das unmittelbare Verhältniß zu
dem Erlöſer, dem einzigen Haupte ſeiner Gemeinde. Dort
der Particularismus der in den letzten Jahrhunderten aus-
gebildeten, durch Schulmeinungen und Autorität feſtgeſetzten
Formen; hier das Beſtreben, das urſprüngliche allgemeine
chriſtliche Bewußtſeyn, das dieſen Entwickelungen vorangieng,
herzuſtellen, die überkommenen Formen bis zur Übereinſtim-
mung mit dem evangeliſchen Worte zurückzuführen. Wären
Beſtrebungen wie ſie ſich im J. 1541 zeigten, durchgedrungen,
wäre vielleicht ein Papſt von der Innerlichkeit und dem reli-
giöſen Genius aufgetreten, die ihn fähig gemacht hätten, an
den Bedürfniſſen aller ſeiner Obhut anvertrauten Nationen le-
bendig Theil zu nehmen, ihnen entgegenzukommen, der würde
jene Formen ſelber auf das Maaß des Haltbaren, Schrift-
gemäßen und allgemein Gültigen zurückgeführt und dadurch
erſt der lateiniſchen Kirche die Möglichkeit gegeben haben, die
Welt zu bekehren. Aber eben das Gegentheil geſchah. An
dem tridentiniſchen Concilium zeigte ſich eine Mehrheit, deren
Haß gegen die Proteſtanten die Legaten zuweilen ſelber er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0497" n="485"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Das trident. Conc. Ju&#x017F;tificationslehre</hi>.</fw><lb/>
irren. Sie berühren es wohl, aber &#x017F;ie machen es nicht aus.<lb/>
Der Gegen&#x017F;atz i&#x017F;t und bleibt: auf der einen Seite: das im<lb/>
Laufe der Jahrhunderte zu Stande gekommene, Himmel und<lb/>
Erde umfa&#x017F;&#x017F;ende, als göttlich und unfehlbar betrachtete prie-<lb/>
&#x017F;terlich-hierarchi&#x017F;che In&#x017F;titut; und auf der andern: Verwer-<lb/>
fung der göttlichen Berechtigung die&#x017F;es In&#x017F;titutes, das viel-<lb/>
mehr als eine men&#x017F;chliche und zwar in Irrthümern befan-<lb/>
gene, ihrem ur&#x017F;prünglichen Zwecke &#x017F;ogar wider&#x017F;prechende Ein-<lb/>
richtung er&#x017F;cheint, &#x2014; Zurückgehn, theoreti&#x017F;ch, auf die Urkunden<lb/>
religiö&#x017F;er Belehrung, in denen &#x017F;ich die Gottheit den Men&#x017F;chen<lb/>
offenbart hat, practi&#x017F;ch, auf das unmittelbare Verhältniß zu<lb/>
dem Erlö&#x017F;er, dem einzigen Haupte &#x017F;einer Gemeinde. Dort<lb/>
der Particularismus der in den letzten Jahrhunderten aus-<lb/>
gebildeten, durch Schulmeinungen und Autorität fe&#x017F;tge&#x017F;etzten<lb/>
Formen; hier das Be&#x017F;treben, das ur&#x017F;prüngliche allgemeine<lb/>
chri&#x017F;tliche Bewußt&#x017F;eyn, das die&#x017F;en Entwickelungen vorangieng,<lb/>
herzu&#x017F;tellen, die überkommenen Formen bis zur Überein&#x017F;tim-<lb/>
mung mit dem evangeli&#x017F;chen Worte zurückzuführen. Wären<lb/>
Be&#x017F;trebungen wie &#x017F;ie &#x017F;ich im J. 1541 zeigten, durchgedrungen,<lb/>
wäre vielleicht ein Pap&#x017F;t von der Innerlichkeit und dem reli-<lb/>
giö&#x017F;en Genius aufgetreten, die ihn fähig gemacht hätten, an<lb/>
den Bedürfni&#x017F;&#x017F;en aller &#x017F;einer Obhut anvertrauten Nationen le-<lb/>
bendig Theil zu nehmen, ihnen entgegenzukommen, der würde<lb/>
jene Formen &#x017F;elber auf das Maaß des Haltbaren, Schrift-<lb/>
gemäßen und allgemein Gültigen zurückgeführt und dadurch<lb/>
er&#x017F;t der lateini&#x017F;chen Kirche die Möglichkeit gegeben haben, die<lb/>
Welt zu bekehren. Aber eben das Gegentheil ge&#x017F;chah. An<lb/>
dem tridentini&#x017F;chen Concilium zeigte &#x017F;ich eine Mehrheit, deren<lb/>
Haß gegen die Prote&#x017F;tanten die Legaten zuweilen &#x017F;elber er-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[485/0497] Das trident. Conc. Juſtificationslehre. irren. Sie berühren es wohl, aber ſie machen es nicht aus. Der Gegenſatz iſt und bleibt: auf der einen Seite: das im Laufe der Jahrhunderte zu Stande gekommene, Himmel und Erde umfaſſende, als göttlich und unfehlbar betrachtete prie- ſterlich-hierarchiſche Inſtitut; und auf der andern: Verwer- fung der göttlichen Berechtigung dieſes Inſtitutes, das viel- mehr als eine menſchliche und zwar in Irrthümern befan- gene, ihrem urſprünglichen Zwecke ſogar widerſprechende Ein- richtung erſcheint, — Zurückgehn, theoretiſch, auf die Urkunden religiöſer Belehrung, in denen ſich die Gottheit den Menſchen offenbart hat, practiſch, auf das unmittelbare Verhältniß zu dem Erlöſer, dem einzigen Haupte ſeiner Gemeinde. Dort der Particularismus der in den letzten Jahrhunderten aus- gebildeten, durch Schulmeinungen und Autorität feſtgeſetzten Formen; hier das Beſtreben, das urſprüngliche allgemeine chriſtliche Bewußtſeyn, das dieſen Entwickelungen vorangieng, herzuſtellen, die überkommenen Formen bis zur Übereinſtim- mung mit dem evangeliſchen Worte zurückzuführen. Wären Beſtrebungen wie ſie ſich im J. 1541 zeigten, durchgedrungen, wäre vielleicht ein Papſt von der Innerlichkeit und dem reli- giöſen Genius aufgetreten, die ihn fähig gemacht hätten, an den Bedürfniſſen aller ſeiner Obhut anvertrauten Nationen le- bendig Theil zu nehmen, ihnen entgegenzukommen, der würde jene Formen ſelber auf das Maaß des Haltbaren, Schrift- gemäßen und allgemein Gültigen zurückgeführt und dadurch erſt der lateiniſchen Kirche die Möglichkeit gegeben haben, die Welt zu bekehren. Aber eben das Gegentheil geſchah. An dem tridentiniſchen Concilium zeigte ſich eine Mehrheit, deren Haß gegen die Proteſtanten die Legaten zuweilen ſelber er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/497
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/497>, abgerufen am 22.11.2024.