Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuerungen Heinrichs VIII.
schenden corporativen und constitutionellen Geist kam alles auf
eine in dem Clerus selbst hervorzurufende Entschließung an.

Sehr wohl berechnet aber war das Verfahren das der
König hiebei einschlug.

Er begann damit, die abweichenden Meinungen welche
das bisherige kirchliche System bedrohten, statt sie zu begün-
stigen, vielmehr zu verfolgen; er erklärte, als Vertheidiger des
Glaubens könne er nicht gestatten daß eine böse Saat gesäet
werde die den Weizen des katholischen Glaubens überwachse.
Der Clerus, der wohl einsah daß er diesen Schutz nicht ent-
behren könne, vergalt denselben damit, daß er sich in der Ehe-
scheidungssache dem König anschloß. Die geistlichen Lords
empfahlen sie im Vereine mit den weltlichen dem römischen
Stuhle auf das dringendste: einmal aus dem nationalen Ge-
sichtspuncte, weil die Regelmäßigkeit der Thronfolge und die
Ruhe des Reiches davon abhange; sodann wegen der Ver-
dienste des Königs um die Religion. Sie bemerkten, wenn
der römische Stuhl noch ein gewisses Ansehen genieße, so sey
dieß allein dem König zuzuschreiben. Schon blieben sie aber
nicht bei einer einfachen Empfehlung stehn: sie sagten dem
Papst, wenn er ihnen nicht helfe, so würden sie sich selbst
helfen müssen. 1

Auf das engste verbündeten sich dergestalt die Krone und
die höhere Geistlichkeit in den beiden großen schwebenden Fra-
gen. Sie machten gegen Luther, welcher die Geistlichen, und
gegen den Papst, welcher den König angriff, so zu sagen
gemeinschaftliche Sache.


1 Adress of the lords spiritual and temporal, bei Collier
Ecclesiastical history of Great Britain II, Records nr. 14.

Neuerungen Heinrichs VIII.
ſchenden corporativen und conſtitutionellen Geiſt kam alles auf
eine in dem Clerus ſelbſt hervorzurufende Entſchließung an.

Sehr wohl berechnet aber war das Verfahren das der
König hiebei einſchlug.

Er begann damit, die abweichenden Meinungen welche
das bisherige kirchliche Syſtem bedrohten, ſtatt ſie zu begün-
ſtigen, vielmehr zu verfolgen; er erklärte, als Vertheidiger des
Glaubens könne er nicht geſtatten daß eine böſe Saat geſäet
werde die den Weizen des katholiſchen Glaubens überwachſe.
Der Clerus, der wohl einſah daß er dieſen Schutz nicht ent-
behren könne, vergalt denſelben damit, daß er ſich in der Ehe-
ſcheidungsſache dem König anſchloß. Die geiſtlichen Lords
empfahlen ſie im Vereine mit den weltlichen dem römiſchen
Stuhle auf das dringendſte: einmal aus dem nationalen Ge-
ſichtspuncte, weil die Regelmäßigkeit der Thronfolge und die
Ruhe des Reiches davon abhange; ſodann wegen der Ver-
dienſte des Königs um die Religion. Sie bemerkten, wenn
der römiſche Stuhl noch ein gewiſſes Anſehen genieße, ſo ſey
dieß allein dem König zuzuſchreiben. Schon blieben ſie aber
nicht bei einer einfachen Empfehlung ſtehn: ſie ſagten dem
Papſt, wenn er ihnen nicht helfe, ſo würden ſie ſich ſelbſt
helfen müſſen. 1

Auf das engſte verbündeten ſich dergeſtalt die Krone und
die höhere Geiſtlichkeit in den beiden großen ſchwebenden Fra-
gen. Sie machten gegen Luther, welcher die Geiſtlichen, und
gegen den Papſt, welcher den König angriff, ſo zu ſagen
gemeinſchaftliche Sache.


1 Adress of the lords spiritual and temporal, bei Collier
Ecclesiastical history of Great Britain II, Records nr. 14.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0055" n="43"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuerungen <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118548204">Heinrichs <hi rendition="#aq">VIII.</hi></persName></hi></fw><lb/>
&#x017F;chenden corporativen und con&#x017F;titutionellen Gei&#x017F;t kam alles auf<lb/>
eine in dem Clerus &#x017F;elb&#x017F;t hervorzurufende Ent&#x017F;chließung an.</p><lb/>
            <p>Sehr wohl berechnet aber war das Verfahren das der<lb/>
König hiebei ein&#x017F;chlug.</p><lb/>
            <p>Er begann damit, die abweichenden Meinungen welche<lb/>
das bisherige kirchliche Sy&#x017F;tem bedrohten, &#x017F;tatt &#x017F;ie zu begün-<lb/>
&#x017F;tigen, vielmehr zu verfolgen; er erklärte, als Vertheidiger des<lb/>
Glaubens könne er nicht ge&#x017F;tatten daß eine bö&#x017F;e Saat ge&#x017F;äet<lb/>
werde die den Weizen des katholi&#x017F;chen Glaubens überwach&#x017F;e.<lb/>
Der Clerus, der wohl ein&#x017F;ah daß er die&#x017F;en Schutz nicht ent-<lb/>
behren könne, vergalt den&#x017F;elben damit, daß er &#x017F;ich in der Ehe-<lb/>
&#x017F;cheidungs&#x017F;ache dem König an&#x017F;chloß. Die gei&#x017F;tlichen Lords<lb/>
empfahlen &#x017F;ie im Vereine mit den weltlichen dem römi&#x017F;chen<lb/>
Stuhle auf das dringend&#x017F;te: einmal aus dem nationalen Ge-<lb/>
&#x017F;ichtspuncte, weil die Regelmäßigkeit der Thronfolge und die<lb/>
Ruhe des Reiches davon abhange; &#x017F;odann wegen der Ver-<lb/>
dien&#x017F;te des Königs um die Religion. Sie bemerkten, wenn<lb/>
der römi&#x017F;che Stuhl noch ein gewi&#x017F;&#x017F;es An&#x017F;ehen genieße, &#x017F;o &#x017F;ey<lb/>
dieß allein dem König zuzu&#x017F;chreiben. Schon blieben &#x017F;ie aber<lb/>
nicht bei einer einfachen Empfehlung &#x017F;tehn: &#x017F;ie &#x017F;agten dem<lb/>
Pap&#x017F;t, wenn er ihnen nicht helfe, &#x017F;o würden &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
helfen mü&#x017F;&#x017F;en. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Adress of the lords spiritual and temporal,</hi> bei <persName ref="http://d-nb.info/gnd/12246835X">Collier</persName><lb/><hi rendition="#aq">Ecclesiastical history of <placeName>Great Britain</placeName> II, Records nr.</hi> 14.</note></p><lb/>
            <p>Auf das eng&#x017F;te verbündeten &#x017F;ich derge&#x017F;talt die Krone und<lb/>
die höhere Gei&#x017F;tlichkeit in den beiden großen &#x017F;chwebenden Fra-<lb/>
gen. Sie machten gegen <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118575449">Luther</persName>, welcher die Gei&#x017F;tlichen, und<lb/>
gegen den Pap&#x017F;t, welcher den König angriff, &#x017F;o zu &#x017F;agen<lb/>
gemein&#x017F;chaftliche Sache.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0055] Neuerungen Heinrichs VIII. ſchenden corporativen und conſtitutionellen Geiſt kam alles auf eine in dem Clerus ſelbſt hervorzurufende Entſchließung an. Sehr wohl berechnet aber war das Verfahren das der König hiebei einſchlug. Er begann damit, die abweichenden Meinungen welche das bisherige kirchliche Syſtem bedrohten, ſtatt ſie zu begün- ſtigen, vielmehr zu verfolgen; er erklärte, als Vertheidiger des Glaubens könne er nicht geſtatten daß eine böſe Saat geſäet werde die den Weizen des katholiſchen Glaubens überwachſe. Der Clerus, der wohl einſah daß er dieſen Schutz nicht ent- behren könne, vergalt denſelben damit, daß er ſich in der Ehe- ſcheidungsſache dem König anſchloß. Die geiſtlichen Lords empfahlen ſie im Vereine mit den weltlichen dem römiſchen Stuhle auf das dringendſte: einmal aus dem nationalen Ge- ſichtspuncte, weil die Regelmäßigkeit der Thronfolge und die Ruhe des Reiches davon abhange; ſodann wegen der Ver- dienſte des Königs um die Religion. Sie bemerkten, wenn der römiſche Stuhl noch ein gewiſſes Anſehen genieße, ſo ſey dieß allein dem König zuzuſchreiben. Schon blieben ſie aber nicht bei einer einfachen Empfehlung ſtehn: ſie ſagten dem Papſt, wenn er ihnen nicht helfe, ſo würden ſie ſich ſelbſt helfen müſſen. 1 Auf das engſte verbündeten ſich dergeſtalt die Krone und die höhere Geiſtlichkeit in den beiden großen ſchwebenden Fra- gen. Sie machten gegen Luther, welcher die Geiſtlichen, und gegen den Papſt, welcher den König angriff, ſo zu ſagen gemeinſchaftliche Sache. 1 Adress of the lords spiritual and temporal, bei Collier Ecclesiastical history of Great Britain II, Records nr. 14.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/55
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/55>, abgerufen am 21.11.2024.