Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.Neuntes Buch. Fünftes Capitel. herrichten. Allein der Lehnbrief den er darüber aufsetzen las-sen, wich so sehr von dem Herkömmlichen ab, daß die Chur- fürsten Bedenken trugen ihn anzunehmen. Bei einer und der andern Provinz war mit absichtlicher Unbestimmtheit von der Oberlehnsherrlichkeit des Reiches die Rede; für alle insge- sammt war der Anspruch erhoben daß sie auch durch Frauen vererbt werden sollten. Die kaiserlichen Minister entschuldig- ten das erste damit, daß die alten Lehenbriefe verloren ge- gangen, und man nicht mehr genau wisse was zum Reiche gehöre: das zweite mit dem Wunsche die Niederlande auf immer ungetrennt beisammen zu halten. Allein damit war der Erzcanzler des Reiches nicht zu befriedigen: er wandte ein, wenn der Kaiser z. B. Geldern nicht ausschließlich als Mannslehen anerkenne, so mache er seine eignen Rechte dazu zweifelhaft. Ein Widerspruch der so gut begründet war, daß der Kaiser sich entschließen mußte den Lehenstuhl wie- der abtragen zu lassen. Wollte er seinen Sohn belehnen, so mußte er es in seiner Wohnung thun. 1 Einen allgemeinen Widerwillen erweckte das Betragen 1 Dispaccio Fiorentino 26 Febr. Carlowitz an Moritz 16
Februar. Außer den beiden obigen Puncten hatten die Deutschen noch eingewendet, daß die Lehnsberechtigung auch auf die natürlichen Nachkommen ausgedehnt werde. Sie verstanden darunter Bastarde. Darin aber hatten sie ohne Zweifel Unrecht; die kaiserlichen Mini- ster erwiederten: "das Wort natürliche Erben wollten sie nicht uff Pastarden verstehen, sondern es solle zu dem Wort legitimis geho- ren und an dasselbig gehangen seind: wie man auch sage: natürli- cher Herr." Marillac bemerkt daß darüber grande mocquerie ent- standen. Je scai au vray que l'investiture que l'empereur bailla au prince d'Espagne sous la cheminee estait des pays bas se re- servant l'administration durant sa vie. Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel. herrichten. Allein der Lehnbrief den er darüber aufſetzen laſ-ſen, wich ſo ſehr von dem Herkömmlichen ab, daß die Chur- fürſten Bedenken trugen ihn anzunehmen. Bei einer und der andern Provinz war mit abſichtlicher Unbeſtimmtheit von der Oberlehnsherrlichkeit des Reiches die Rede; für alle insge- ſammt war der Anſpruch erhoben daß ſie auch durch Frauen vererbt werden ſollten. Die kaiſerlichen Miniſter entſchuldig- ten das erſte damit, daß die alten Lehenbriefe verloren ge- gangen, und man nicht mehr genau wiſſe was zum Reiche gehöre: das zweite mit dem Wunſche die Niederlande auf immer ungetrennt beiſammen zu halten. Allein damit war der Erzcanzler des Reiches nicht zu befriedigen: er wandte ein, wenn der Kaiſer z. B. Geldern nicht ausſchließlich als Mannslehen anerkenne, ſo mache er ſeine eignen Rechte dazu zweifelhaft. Ein Widerſpruch der ſo gut begründet war, daß der Kaiſer ſich entſchließen mußte den Lehenſtuhl wie- der abtragen zu laſſen. Wollte er ſeinen Sohn belehnen, ſo mußte er es in ſeiner Wohnung thun. 1 Einen allgemeinen Widerwillen erweckte das Betragen 1 Dispaccio Fiorentino 26 Febr. Carlowitz an Moritz 16
Februar. Außer den beiden obigen Puncten hatten die Deutſchen noch eingewendet, daß die Lehnsberechtigung auch auf die natuͤrlichen Nachkommen ausgedehnt werde. Sie verſtanden darunter Baſtarde. Darin aber hatten ſie ohne Zweifel Unrecht; die kaiſerlichen Mini- ſter erwiederten: „das Wort natuͤrliche Erben wollten ſie nicht uff Paſtarden verſtehen, ſondern es ſolle zu dem Wort legitimis geho- ren und an daſſelbig gehangen ſeind: wie man auch ſage: natuͤrli- cher Herr.“ Marillac bemerkt daß daruͤber grande mocquerie ent- ſtanden. Je scai au vray que l’investiture que l’empereur bailla au prince d’Espagne sous la cheminée estait des pays bas se re- servant l’administration durant sa vie. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0204" n="192"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel</hi>.</fw><lb/> herrichten. Allein der Lehnbrief den er darüber aufſetzen laſ-<lb/> ſen, wich ſo ſehr von dem Herkömmlichen ab, daß die Chur-<lb/> fürſten Bedenken trugen ihn anzunehmen. Bei einer und der<lb/> andern Provinz war mit abſichtlicher Unbeſtimmtheit von der<lb/> Oberlehnsherrlichkeit des Reiches die Rede; für alle insge-<lb/> ſammt war der Anſpruch erhoben daß ſie auch durch Frauen<lb/> vererbt werden ſollten. Die kaiſerlichen Miniſter entſchuldig-<lb/> ten das erſte damit, daß die alten Lehenbriefe verloren ge-<lb/> gangen, und man nicht mehr genau wiſſe was zum Reiche<lb/> gehöre: das zweite mit dem Wunſche die Niederlande auf<lb/> immer ungetrennt beiſammen zu halten. Allein damit war<lb/> der Erzcanzler des Reiches nicht zu befriedigen: er wandte<lb/> ein, wenn der Kaiſer z. B. Geldern nicht ausſchließlich als<lb/> Mannslehen anerkenne, ſo mache er ſeine eignen Rechte dazu<lb/> zweifelhaft. Ein Widerſpruch der ſo gut begründet war,<lb/> daß der Kaiſer ſich entſchließen mußte den Lehenſtuhl wie-<lb/> der abtragen zu laſſen. Wollte er ſeinen Sohn belehnen,<lb/> ſo mußte er es in ſeiner Wohnung thun. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Dispaccio Fiorentino 26 Febr.</hi> Carlowitz an Moritz 16<lb/> Februar. Außer den beiden obigen Puncten hatten die Deutſchen<lb/> noch eingewendet, daß die Lehnsberechtigung auch auf die natuͤrlichen<lb/> Nachkommen ausgedehnt werde. Sie verſtanden darunter Baſtarde.<lb/> Darin aber hatten ſie ohne Zweifel Unrecht; die kaiſerlichen Mini-<lb/> ſter erwiederten: „das Wort natuͤrliche Erben wollten ſie nicht uff<lb/> Paſtarden verſtehen, ſondern es ſolle zu dem Wort <hi rendition="#aq">legitimis</hi> geho-<lb/> ren und an daſſelbig gehangen ſeind: wie man auch ſage: natuͤrli-<lb/> cher Herr.“ Marillac bemerkt daß daruͤber <hi rendition="#aq">grande mocquerie</hi> ent-<lb/> ſtanden. <hi rendition="#aq">Je scai au vray que l’investiture que l’empereur bailla<lb/> au prince d’Espagne sous la cheminée estait des pays bas se re-<lb/> servant l’administration durant sa vie.</hi></note></p><lb/> <p>Einen allgemeinen Widerwillen erweckte das Betragen<lb/> der Spanier: — „obwohl ihrer nur eine Handvoll iſt,“ ſagt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [192/0204]
Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
herrichten. Allein der Lehnbrief den er darüber aufſetzen laſ-
ſen, wich ſo ſehr von dem Herkömmlichen ab, daß die Chur-
fürſten Bedenken trugen ihn anzunehmen. Bei einer und der
andern Provinz war mit abſichtlicher Unbeſtimmtheit von der
Oberlehnsherrlichkeit des Reiches die Rede; für alle insge-
ſammt war der Anſpruch erhoben daß ſie auch durch Frauen
vererbt werden ſollten. Die kaiſerlichen Miniſter entſchuldig-
ten das erſte damit, daß die alten Lehenbriefe verloren ge-
gangen, und man nicht mehr genau wiſſe was zum Reiche
gehöre: das zweite mit dem Wunſche die Niederlande auf
immer ungetrennt beiſammen zu halten. Allein damit war
der Erzcanzler des Reiches nicht zu befriedigen: er wandte
ein, wenn der Kaiſer z. B. Geldern nicht ausſchließlich als
Mannslehen anerkenne, ſo mache er ſeine eignen Rechte dazu
zweifelhaft. Ein Widerſpruch der ſo gut begründet war,
daß der Kaiſer ſich entſchließen mußte den Lehenſtuhl wie-
der abtragen zu laſſen. Wollte er ſeinen Sohn belehnen,
ſo mußte er es in ſeiner Wohnung thun. 1
Einen allgemeinen Widerwillen erweckte das Betragen
der Spanier: — „obwohl ihrer nur eine Handvoll iſt,“ ſagt
1 Dispaccio Fiorentino 26 Febr. Carlowitz an Moritz 16
Februar. Außer den beiden obigen Puncten hatten die Deutſchen
noch eingewendet, daß die Lehnsberechtigung auch auf die natuͤrlichen
Nachkommen ausgedehnt werde. Sie verſtanden darunter Baſtarde.
Darin aber hatten ſie ohne Zweifel Unrecht; die kaiſerlichen Mini-
ſter erwiederten: „das Wort natuͤrliche Erben wollten ſie nicht uff
Paſtarden verſtehen, ſondern es ſolle zu dem Wort legitimis geho-
ren und an daſſelbig gehangen ſeind: wie man auch ſage: natuͤrli-
cher Herr.“ Marillac bemerkt daß daruͤber grande mocquerie ent-
ſtanden. Je scai au vray que l’investiture que l’empereur bailla
au prince d’Espagne sous la cheminée estait des pays bas se re-
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