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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Neuntes Buch. Fünftes Capitel.

Wäre es auch nur aus Mitleid gewesen, so hätten schon
darum die deutschen Fürsten sich des Landgrafen in dieser
Bedrängniß annehmen müssen. Aber die beiden Churfürsten
Brandenburg und Sachsen hatten überdieß eine vertragsmäßige
Verpflichtung dazu; wiewohl der Kaiser dieselbe für nichtig
erklärte, konnten sie sich ihrer doch noch nicht erledigt glau-
ben. Ihre Gesandten bereisten die verschiedenen deutschen
Höfe, um auch alle andern zur Theilnahme an einer allge-
meinen Fürbitte zu vermögen. Im October 1551 vereinig-
ten sich hiezu in Augsburg oberländische und niederdeutsche
Abgeordnete, von Meklenburg, Holstein, den pfalzgräflichen
Höfen, Würtenberg, Baden; 1 die welche keine Gesandten
geschickt, Lauenburg, Lüneburg, gesellten sich wenigstens durch
feierliche Anschreiben hinzu; auch diejenigen traten bei, die
sich bisher eher feindlich gehalten, Baiern, wo ein sehr för-
derlicher Regierungswechsel eingetreten war, Östreich selbst,
das deutsche, in dem Bruder des Kaisers. Es waren beinahe
sämmtliche weltliche Fürsten: die Sache des Landgrafen er-
schien als die Sache des deutschen Fürstenthums.

Unter diesen Vorgängen breitete sich über die verschiede-
nen Landschaften und Bekenntnisse das Gefühl aus, daß das
alte freie Germanien überwältigt sey und gegen seinen Wil-
len nach einem ihm widerwärtigen Ziele geführt werde.

Der Haß der ursprünglich den Spaniern allein gegol-
ten, fiel allmählig auch auf den Kaiser. Er soll es selbst
bemerkt und dem Herzog von Alba wegen der Vernachläßi-

1 Die Instruction der Gesandten an den Kaiser ist auf einer
Zusammenkunft der brandenburgischen Abgeordneten (Ad. v. Tr. und
Lamp. Distelmeier) mit den sächsischen Räthen, Dresden Dienstag
nach Galli, berathschlagt worden.
Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Wäre es auch nur aus Mitleid geweſen, ſo hätten ſchon
darum die deutſchen Fürſten ſich des Landgrafen in dieſer
Bedrängniß annehmen müſſen. Aber die beiden Churfürſten
Brandenburg und Sachſen hatten überdieß eine vertragsmäßige
Verpflichtung dazu; wiewohl der Kaiſer dieſelbe für nichtig
erklärte, konnten ſie ſich ihrer doch noch nicht erledigt glau-
ben. Ihre Geſandten bereiſten die verſchiedenen deutſchen
Höfe, um auch alle andern zur Theilnahme an einer allge-
meinen Fürbitte zu vermögen. Im October 1551 vereinig-
ten ſich hiezu in Augsburg oberländiſche und niederdeutſche
Abgeordnete, von Meklenburg, Holſtein, den pfalzgräflichen
Höfen, Würtenberg, Baden; 1 die welche keine Geſandten
geſchickt, Lauenburg, Lüneburg, geſellten ſich wenigſtens durch
feierliche Anſchreiben hinzu; auch diejenigen traten bei, die
ſich bisher eher feindlich gehalten, Baiern, wo ein ſehr för-
derlicher Regierungswechſel eingetreten war, Öſtreich ſelbſt,
das deutſche, in dem Bruder des Kaiſers. Es waren beinahe
ſämmtliche weltliche Fürſten: die Sache des Landgrafen er-
ſchien als die Sache des deutſchen Fürſtenthums.

Unter dieſen Vorgängen breitete ſich über die verſchiede-
nen Landſchaften und Bekenntniſſe das Gefühl aus, daß das
alte freie Germanien überwältigt ſey und gegen ſeinen Wil-
len nach einem ihm widerwärtigen Ziele geführt werde.

Der Haß der urſprünglich den Spaniern allein gegol-
ten, fiel allmählig auch auf den Kaiſer. Er ſoll es ſelbſt
bemerkt und dem Herzog von Alba wegen der Vernachläßi-

1 Die Inſtruction der Geſandten an den Kaiſer iſt auf einer
Zuſammenkunft der brandenburgiſchen Abgeordneten (Ad. v. Tr. und
Lamp. Diſtelmeier) mit den ſaͤchſiſchen Raͤthen, Dresden Dienſtag
nach Galli, berathſchlagt worden.
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[198/0210] Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel. Wäre es auch nur aus Mitleid geweſen, ſo hätten ſchon darum die deutſchen Fürſten ſich des Landgrafen in dieſer Bedrängniß annehmen müſſen. Aber die beiden Churfürſten Brandenburg und Sachſen hatten überdieß eine vertragsmäßige Verpflichtung dazu; wiewohl der Kaiſer dieſelbe für nichtig erklärte, konnten ſie ſich ihrer doch noch nicht erledigt glau- ben. Ihre Geſandten bereiſten die verſchiedenen deutſchen Höfe, um auch alle andern zur Theilnahme an einer allge- meinen Fürbitte zu vermögen. Im October 1551 vereinig- ten ſich hiezu in Augsburg oberländiſche und niederdeutſche Abgeordnete, von Meklenburg, Holſtein, den pfalzgräflichen Höfen, Würtenberg, Baden; 1 die welche keine Geſandten geſchickt, Lauenburg, Lüneburg, geſellten ſich wenigſtens durch feierliche Anſchreiben hinzu; auch diejenigen traten bei, die ſich bisher eher feindlich gehalten, Baiern, wo ein ſehr för- derlicher Regierungswechſel eingetreten war, Öſtreich ſelbſt, das deutſche, in dem Bruder des Kaiſers. Es waren beinahe ſämmtliche weltliche Fürſten: die Sache des Landgrafen er- ſchien als die Sache des deutſchen Fürſtenthums. Unter dieſen Vorgängen breitete ſich über die verſchiede- nen Landſchaften und Bekenntniſſe das Gefühl aus, daß das alte freie Germanien überwältigt ſey und gegen ſeinen Wil- len nach einem ihm widerwärtigen Ziele geführt werde. Der Haß der urſprünglich den Spaniern allein gegol- ten, fiel allmählig auch auf den Kaiſer. Er ſoll es ſelbſt bemerkt und dem Herzog von Alba wegen der Vernachläßi- 1 Die Inſtruction der Geſandten an den Kaiſer iſt auf einer Zuſammenkunft der brandenburgiſchen Abgeordneten (Ad. v. Tr. und Lamp. Diſtelmeier) mit den ſaͤchſiſchen Raͤthen, Dresden Dienſtag nach Galli, berathſchlagt worden.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/210>, abgerufen am 24.11.2024.